Gastkommentar Energiewende - keine Angst vor dem Zappelstrom-Tsunami

Symbolbild Energiewende
Symbolbild Energiewende
© Pixabay
Die Kohlelobby macht gegen die Energiewende mobil - mit fadenscheinigen Argumenten. Claudia Kemfert erklärt, warum die Energiewende technisch machbar sowie ökonomisch sinnvoll und rentabel sein kann

Die Generation Fossil macht der jungen schnell wachsenden Energie-Jugend das Leben schwer: Sonne, Wind, Wasser, Geothermie werden als modischer Schnickschnack abgetan. Stattdessen gilt die Eiche-rustikal-Schrankwand als ultimatives Leitbild einer blühenden Industrie und Wirtschaft. Welch ein Irrtum! Die besitzstandswahrende Altertümlichkeit einer mächtigen und privilegierten Minderheit wird leider zur Belastung der globalen, aber zunehmend auch der deutschen Wirtschaftskraft. Wer sich den wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht verschließt, weiß, wie dringend wir angesichts der Unsicherheiten durch geopolitisch-fossile Konflikte, Kosten von Klimawandel und Ressourcenzerstörung endlich die richtigen Weichenstellungen für eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien benötigen. Wir brauchen zukunftsorientierte Innovationen statt rückwärtsgewandter Borniertheit.

Satt wissenschaftlich fundierte und faktenbasierte Lösungen für die absehbaren ökonomischen Herausforderungen einer klugen Energiewende zu entwickeln, werden immer mehr Mythen kreiert, warum die Energiewende angeblich nicht funktionieren kann. Das Ziel ist klar: Innovationen sollen verhindert werden, alles soll so bleiben wie es war.

Da müssen plötzlich dringend „Stromautobahnen“ gebaut werden, ohne die der Windstrom aus dem Norden nicht in den Bayrischen Süden fließen könne. Ein fossiles Ammenmärchen: Bayerns Süden bezieht seinen Strom, wenn nicht aus eigenen Kapazitäten, vor allem aus Österreich. Die Energiewende kann auch ohne den angeblich so nötigen Netzausbau munter weiter gehen.

Ökoenergien sind „grundlastfähig“

Genauso dringend brauchen wir angeblich „Grundlast-Kraftwerke“. Ein tolles Wort, das vornehmlich mit Kohleenergie verknüpft ist, ohne die unsere Welt spätestens bei „Dunkelflaute“ angeblich der Saft ausgeht. Fakt ist, dass auch erneuerbare Energien „grundlastfähig“ sind – beispielsweise Wasserkraft- oder Biomasse-Kraftwerke. Das heißt, sie produzieren versorgungssicher Strom Tag und Nacht. Der „Mythos Grundlast“ hält sich aber hartnäckig und ignoriert, dass auch erneuerbare Energien inklusive Wind und Sonne bei klugem und flexiblem Energiemanagement immer Energie liefern können.

Aber auch diese Fakten werden in der Diskussion gern vernachlässigt. Sonst käme ja heraus, dass für unsere sichere Energieversorgung die Dynamik und Flexibilität von erneuerbaren Energien viel sinnvoller und nützlicher ist als die Behäbigkeit fossiler Kraftwerke, die ohne Unterlass laufen, weil es zu lange dauert, sie nach Bedarf runter- und wieder hochzufahren. Die störenden Treibhausgase sind in diesem Zusammenhang zwar faktisch relevant, aber auch – als nerviges Gutmensch-Totschlagargument – irgendwie zu vernachlässigen.

Eine wirklich hollywoodreife Erfindung fossiler Geister sind die Horrorszenarien, in denen Deutschland in überschüssigem Wind- und Solarstrom, im so genannten „Zappelstrom“, nahezu versinkt. An windigen und sonnigen Tagen nämlich – das Wort „Sonnensturm“ ist offenbar noch nicht erfunden – gäbe es nicht ausreichend Speicher, um die Massen an Wind- und Solarstrom zu bewältigen. Vor dem inneren Auge spielt sich ein Albtraum ab: Ein gewaltiger Tsunami an Zappelstrom flutet die deutschen Netze und bringt die hiesige Wirtschaft zum aalgleichen Zittern. Zappelstromschlag an Zappelstromschlag vernichtet unsere Existenz. Schuld ist selbstredend die Energiewende: Mit Milliardensubventionen werde aus erneuerbaren Energien Strom generiert, den man – weil überflüssig und nicht speicherbar – komplett „wegwerfen“ müsse.

Fakten sind bei diesem Drama unerwünscht

Welch Tragödie! Denn selbst wenn man diesen Zappelstrom-Tsunami an irgendeiner Stelle auffangen wollte – so wird von interessierter Seite mit ebenso großer Akribie wie Phantasie errechnet –, dann beläuft sich in einer Energiewelt aus 100 Prozent erneuerbaren Energien der angebliche Speicherbedarf auf die sagenhafte 400-fache Pumpspeicherkapazität Deutschlands, welche damit weit höher sein müsse als das gesamte Pumpspeicherpotential Europas! Na klar sind derartige Speicherkapazitäten undenkbar und eben deswegen soll die gesamte Energiewende Mumpitz sein. Quod erat demonstrandum. Man denke sich angesichts eines schlüssigen Gedankens etwas Undenkbares als Gegenargument aus, berechne kompliziert die Unberechenbarkeit dieses Undenkbaren, bis allen der Kopf schwirrt, um dann den ersten Gedanken als „Seht Ihr: Quatsch!“ vom Tisch zu wischen.

Fakten sind bei diesem Drama unerwünscht, denn sonst müsste man zugeben, dass diese Zappelstrom- und Speichermangel-Szenarien komplett unrealistisch sind. Es ist geradezu banal, dass erneuerbare Energien in begrenztem Umfang kostenminimal abgeregelt werden, ja, mehr noch: Diese Art der Flexibilisierung des Stromsystems ist sogar notwendig, um die Dynamik effektiv einzubinden. Keine Angst vor dem Zappelstrom-Tsunami!

Und, nein, die Energiewende wird sicher auch nicht an fehlenden Stromspeichern scheitern. Neben Pumpspeichern, die nur einige Stunden als Speicher dienen können, werden mittelfristig Langzeitspeicher die Energie länger vorhalten. So kann aus Ökostrom beispielsweise Wasserstoff generiert werden, der dann als Treibstoff für die Mobilität dient oder der, mit CO2 angereichert und methanisiert, als Ökogas zum Treibstoff in allen Sektoren wird.

Die Energiewende ist technisch machbar und ökonomisch sinnvoll

Genau das ist nämlich das Ziel der „Sektorkopplung“ – zugegeben ein etwas sperriges Wort –, nämlich dass mit Hilfe von Ökoenergien Treibstoffe für die Mobilität hergestellt werden oder auch die Gebäudeenergie für Wärme und Kühlung Teil der Speicherlösung sind. Selbst Elektroautos können bei kluger Steuerung zur Netzstabilisierung beitragen, wenn auch vermutlich nur in begrenztem Umfang.

Derlei klingt heute in etwa so utopisch wie vor zehn Jahren ein Handy, mit dem man seine Bahnfahrkarte kauft oder die Lieblingsmusik streamt. Aber Fakt ist, dass schon heute große Batterien als Speicher eingesetzt werden, etwa in Norddeutschland oder von mutigen Unternehmern selbst in Oberbayern. Fakt sind neuste Forschungserkenntnisse aus Energiesystemmodellen. Fakt sind technologische Innovationen und wegweisende Prototypen aus Forschung und Entwicklung. Sie alle zeigen, dass die Energiewende nicht nur politisch und moralisch nötig, sondern auch technisch machbar sowie ökonomisch sinnvoll und rentabel sein kann – wenn man nur endlich mal entschlossen mit der Umsetzung anfinge.

Stattdessen gibt es eine fast endlose Liste an Mythen, warum die Energiewende angeblich nicht funktionieren könne. Das alles ist pures Energiewende-Mobbing. Die ewig gestrigen Störmanöver haben nur ein Ziel: Menschen in Politik und Gesellschaft zu verunsichern und die Energiewende dadurch zu blockieren.

Das unternehmerische Motto, das sonst in jedem Chefbüro hängt „Geht nicht, gibt’s nicht!“ ist in der angeblich so tatkräftigen Welt der fossilen Energien ein Tabu. Der technische Fortschritt würde das Ende der fossilen Dinosaurier-Industrie bedeuten. Also werden keine Kosten und Mühen gescheut, den Untergang hinauszuzögern. Die lebensverlängernden Beatmungsgeräte der fossilen Propagandamaschinerie laufen auf Hochtouren. Für die Vergangenheit der Kohleindustrie ist jeder Tag Gold wert. Aber für die Zukunft der deutschen Wirtschaft ist derselbe Tag verloren. Und das ist die wahre Tragödie dieses absurden Theaters.

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