Wenn hochrangige Regierungsmitglieder und Abgeordnete nach ihrer politische Karriere in die Wirtschaft wechseln, horcht die Öffentlichkeit auf. In Deutschland stoßen Seitenwechsler häufig auf Kritik. Der Grund: Kürzlich ausgeschiedene Politiker verfügen über Insider-Wissen und ein wertvolles Netzwerk an Kontakten. Unternehmen könnten dadurch einen einfacheren Zugang in die Politik erhalten und leichter Einfluss auf Gesetzgebungen nehmen, so die Kritik.
Wenn Politiker kurz vor dem Ausscheiden lukrative Jobangebote von Unternehmen erhalten, entsteht auch der Anreiz, politische Entscheidungen zugunsten ihrer zukünftigen Arbeitgeber zu treffen. Als prominentestes Beispiel gilt Gerhard Schröder: Als Kanzler setzte er sich für den Bau der Gaspipeline Nord Stream ein, nach seiner Kanzlerschaft wurde er Chef des Verwaltungsrates bei der Nord Stream AG. An dem Unternehmen hält der russische Erdgasriese Gazprom die Mehrheit.
Auch als Reaktion darauf verabschiedete der Bundestag im Juli 2015 ein Gesetz, das Kabinettsmitgliedern eine Sperrzeit von 18 Monaten vorschreibt. Während dieser Zeit dürfen sie nicht in die Wirtschaft wechseln. Für Organisationen wie Lobbycontrol dauert diese Sperrzeit nicht lang genug: Sie fordert eine Karenzzeit für einen Zeitraum von drei Jahren . Das sind einige der bekanntesten Seitenwechsler vor:
Seitenwechsel: Diese Politiker arbeiten heute in der Wirtschaft
Roland Koch war von 1999 bis 2010 Ministerpräsident von Hessen und Landesvorsitzender der CDU. Von 2011 bis 2014 war Koch Vorstandschef des Bau- und Dienstleistungskonzerns Bilfinger. Heute ist er Aufsichtsratschef der Bank UBS Europe und Mitglied im Aufsichtsrat von Vodafone Deutschland . Seit 2018 unterrichtet er auch an der privaten Frankfurt School of Finance & Management.
Knapp ein Jahr war Stefan Mappus (CDU) Ministerpräsident von Baden-Württemberg bis er 2011 nach einer historischen Wahlniederlage abgelöst wurde. Im selben Jahr wechselte er zum Chemie- und Pharmakonzern Merck, wurde aber kurz darauf entlassen. 2012 stieg er als Berater des Vorstands beim IT-Beratungsunternehmen pmOne ein, seit 2015 ist Mappus Vorstand.
Viel Kritik entfachte der Seitenwechsel von Dirk Niebel (FDP). Von 2009 bis 2013 war er Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Nachdem seine Partei den Einzug in den Bundestag verfehlte, begann er 2015 seine Tätigkeit als Berater und Lobbyist für das Rüstungsunternehmen Rheinmetall.
Von 2012 bis 2017 war Torsten Albig (SPD) Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Nach der Wahlniederlage 2017 zog er sich aus der Politik zurück. Seitdem arbeitet er als Cheflobbyist für die Deutsche Post-DHL in Brüssel.
Sigmar Gabriel (SPD) war niedersächsischer Ministerpräsident, Bundesumweltminister, SPD-Vorsitzender und von 2013 bis 2017 Bundeswirtschaftsminister und später Außenminister. Nach seiner Amtszeit arbeitete er als Autor für verschiedene Tageszeitungen. Im Frühjahr war sein Antritt im Verwaltungsrat des neuen Eisenbahnkonzerns Siemens Alstom geplant, bis die EU-Kommission im Februar die Fusion beider Zugsparten untersagte. Aber schon winkt ein neuer Nebenjob: Gabriel soll künftig die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte beraten.
Eckart von Klaeden (CDU) war von 2009 bis 2013 Staatsminister des Bundeskanzleramtes. Seit 2014 ist er Leiter der Abteilung Politik und Außenbeziehung der Daimler AG. Laut Spiegel-Recherchen hat von Klaeden sich als Cheflobbyist des Konzerns im Bundeskanzleramt erfolgreich gegen strenge Abgastests bei Dieselautos eingesetzt.
Ronald Pofalla saß 23 Jahre im Bundestag, war vier Jahre Generalsekretär der CDU und von 2009 bis 2013 Chef des Bundeskanzleramtes sowie Bundesminister für besondere Aufgaben. 2015 wechselte er als Generalbevollmächtigter für politische und internationale Beziehungen zur Deutschen Bahn. Ein halbes Jahr später wurde er Vorstandsmitglied zuständig für Wirtschaft, Recht und Regulierung. Seit 2017 ist er Vorstand für Infrastruktur.
Der ehemalige Grünen-Politiker war von 2001 bis 2005 Staatssekretär im Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Berninger blieb danach seinem Themengebiet treu - als Leiter für Gesundheits- und Ernährungsfragen beim Nahrungsmittelkonzern Mars. Seit 2019 ist er Cheflobbyist bei der Bayer AG.
Gerhard Schröder gilt vermutlich als der prominenteste Seitenwechsler. Nach seiner Amtszeit wechselte er in den Vorstand der Nord Stream AG. Das sorgte für massive Kritik, da Schröder sich bereits in seiner Amtszeit für den Bau der Ostseepipeline eingesetzt hatte. Seit 2018 ist er zudem Chef des Aufsichtsrates des russischen Ölkonzerns Rosneft, welcher zu mehr als 50 Prozent dem russischen Staat gehört.