Nouriel Roubini ist Vorsitzender von Roubini Global Economics und Professor an der Stern School of Business der New York University. Er ist als "Dr. Doom" bekannt. Der Name wurde Roubini verliehen, weil er 2008 die Immobilienblase vorhersagte. Sie können ihm hier auf Twitter folgen.
Seit der weltweiten Finanzkrise 2008 prägt ein Paradox die Finanzmärkte der Industrieländer. Die unkonventionelle Geldpolitik hat einen massiven Liquiditätsüberhang geschaffen. Doch eine Reihe aktueller Schocks lässt darauf schließen, dass die Makroliquidität jetzt mit einer ernsthaften Marktilliquidität einhergeht.
Die Leitzinsen befinden sich in den meisten Industriestaaten in der Nähe von Null – und zeitweise noch darunter. Und die monetäre Basis (das von den Zentralbanken in Form von Bargeld und liquiden Reserven der Geschäftsbanken geschaffene Geld) wird immer größer. Verglichen mit der Zeit vor der Krise hat sie sich verdoppelt, verdreifacht und in den USA sogar vervierfacht. Dadurch blieben die kurz- und langfristigen Zinssätze niedrig – und in Regionen wie Europa und Japan sogar negativ. Weiterhin folgte daraus eine Verringerung der Volatilität der Anleihenmärkte und die Erhöhung der Preise vieler Anlagegüter – darunter Aktien, Immobilien und festverzinsliche Anleihen des privaten und öffentlichen Sektors.
Und trotzdem haben die Investoren Grund zur Sorge. Es begann mit dem „Flash-Crash“ im Mai 2010, als große US-Aktienindizes innerhalb von 30 Minuten um fast zehn Prozent in die Tiefe rauschten, bevor sie sich schnell wieder erholten. Dann kam der „Rückführungsschock“ im Frühjahr 2013, als der damalige Fed-Vorsitzende Ben Bernanke das Ende der monatlichen Zentralbankkäufe langfristiger Wertpapiere in Aussicht stellte und die langfristigen US-Zinsen daraufhin um 100 Basispunkte in die Höhe schnellten.
Und im Oktober 2014 fielen die Erträge der US-Staatsanleihen innerhalb von Minuten um fast 40 Basispunkte, was laut Statistikern nur einmal in drei Milliarden Jahren vorkommen sollte. Die jüngste Episode fand im vergangenen Monat statt, als innerhalb weniger Tage die Erträge deutscher Staatsanleihen von fünf Basispunkten auf beinahe 80 stiegen.
Einfluss durch Hochfrequenztrader
Diese Ereignisse riefen Ängste hervor, dass selbst sehr tiefe und liquide Märkte – wie diejenigen für US-Aktien und Staatsanleihen in den USA und Deutschland – nicht liquide genug sein könnten. Was also ist für die Kombination von Makroliquidität und Marktilliquidität verantwortlich?
Zunächst einmal werden die Aktienmärkte in zunehmendem Maß durch Hochfrequenztrader (HFT) beeinflusst, die Computeralgorithmen verwenden, um Markttendenzen zu folgen. Das führt natürlich zu einem Herdentrieb. Tatsächlich konzentriert sich der Handel in den USA heute auf den Beginn und die letzte Stunde des Handelstages, wenn die HFT am aktivsten sind. Für den Rest des Tages sind die Märkte illiquide, es finden nur wenige Transaktionen statt.
Ein zweiter Grund ist die Tatsache, dass festverzinsliche Wertpapiere – wie Anleihen von Staaten, Unternehmen und Entwicklungsländern – nicht wie Aktien an den liquideren Börsen gehandelt werden. Stattdessen sind sie im Freiverkehr in illiquiden Märkten notiert.
Drittens sind festverzinsliche Anleihen, die sich wegen der zunehmenden Vergabe privater und öffentlicher Kredite vor und nach der Finanzkrise enorm vermehrt haben, nicht nur illiquider, sie werden meistens auch in offenen Fonds verwaltet, die Investoren einen sofortigen Ausstieg ermöglichen. Stellen wir uns eine Bank vor, die in illiquide Anlagen investiert, aber den Sparern erlaubt, ihr Geld jederzeit abzuziehen: Bei einem Ansturm auf die Bank muss sie die illiquiden Anlagen verkaufen, was sehr schnell zu einem starken Preisverfall durch Panikverkäufe führen kann.
Viertens waren die Banken vor der Krise im Jahr 2008 die Primärhändler für festverzinsliche Wertpapiere. Sie hielten große Vorräte dieser Instrumente, was die Liquidität förderte und übermäßige Preisvolatilität ausglich. Aber aufgrund neuer Regulierungen, die diesen Handel (über höhere Kapitalkosten) bestrafen, haben Banken und andere Finanzinstitute ihre Primärhandelsaktivitäten eingeschränkt. Also können die Kreditinstitute in unruhigen Zeiten mit starken Preisausschlägen bei den Anleihen nicht mehr stabilisierend wirken.
Herdentrieb verstärkt Marktbewegungen
Kurz gesagt, obwohl die hohe Makroliquidität der Zentralbanken die Erträge der Anleihen und die Volatilität niedrig halten, hat sie auch zur Verengung des Handels (bei durch HFT verstärktem, trendfolgendem Herdenverhalten) und zu vermehrten Investitionen in illiquide Anleihenfonds geführt. Gleichzeitig führen strengere Regulierungen dazu, dass die Primärhändler ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen können.
Daher können Überraschungen – wenn beispielsweise die Fed früher als erwartet eine Abkehr von der Nullzinspolitik signalisiert, die Ölpreise stark steigen oder das Wachstum der Eurozone in Gang kommt – dazu führen, dass Aktien und insbesondere Anleihen abrupt und dramatisch neu bewertet werden: Alle Teilnehmer der engen Märkte müssen gleichzeitig verkaufen. Auch in die andere Richtung findet Herdenverhalten statt, aber da viele Investitionen in illiquiden Fonds stecken und die traditionellen Primärhändler ihre volatilitätssenkende Aufgabe nicht mehr erfüllen können, sind die Verkäufer zu Panikverkäufen gezwungen.
Diese Kombination von Makroliquidität und Marktilliquidität ist eine Zeitbombe. Bis jetzt hat sie lediglich zu volatilen „Flash-Crashs“ und plötzlichen Veränderungen der Anleihen- und Aktienpreise geführt. Je länger aber die Zentralbanken zusätzliche Liquidität schaffen, um die kurzfristige Volatilität zu unterdrücken, desto mehr werden die Preisblasen in den Aktien-, Anleihe- und sonstigen Märkten aufgebläht. Je mehr Investoren in überbewertete, immer illiquidere Anlagen – wie Anleihen – investieren, desto größer wird das Risiko eines langfristigen Crashs.
Dies ist das paradoxe Ergebnis der politischen Antwort auf die Finanzkrise. Die Makroliquidität führt zu immer größeren Preisblasen, aber durch die Illiquidität der Märkte werden diese irgendwann zum Platzen gebracht.
Aus dem Englischen von Harald Eckhoff
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