Emily Oster ist Professorin für Ökonomie an der Brown University und Autorin. Ihr neuestes Buch "Cribsheet" verfolgt einen datengestützten Ansatz in frühkindlicher Erziehung. Oster ist mit dem Ökonomen Jesse Shapiro verheiratet und hat zwei Kinder.
Frau Oster, auf den ersten Blick passen Kleinkinder und Ökonomie nicht zusammen. Wie hat Ihr ökonomischer Hintergrund Ihnen geholfen ein Erziehungsbuch zu schreiben?
Wenn ich an Ökonomie denke, denke ich an die Mikroökonomie, was auch mein Forschungsgebiet ist. Grundsätzlich glaube ich, dass die Ökonomie eine Wissenschaft über Entscheidungsfindungen ist. Da ich und mein Mann Ökonomen sind, war es für uns natürlich, die Werkzeuge aus dem Beruf mit nach Hause zu nehmen und auf die Erziehung unserer Kinder anzuwenden.
In welchem Erziehungsstadium waren denn Ihre Kinder, als Sie dieses Buch geschrieben haben?
Meine Kinder sind gerade vier und acht Jahre alt geworden, ich habe das Buch geschrieben, als sie zwei und sechs Jahre alt waren. Sie sind jetzt also gerade aus dem Alter herausgewachsen mit dem sich "Cribsheet" beschäftigt.
Im Internet findet man unendlich viele Erziehungstipps und Studien, als Elternteil kann das sehr verwirrend sein. Würden Sie Eltern empfehlen, überhaupt nach Ratschlägen im Internet zu suchen?
Das Internet kann nützlich sein, um zu erfahren, dass andere Eltern dieselben Erfahrungen machen. Frühkindliche Erziehung kann sehr frustrierend, ermüdend und angstauslösend sein. Daher ist es beruhigend zu wissen, auch andere Eltern bis um drei Uhr morgens mit ihren Kindern wach bleiben. Problematisch wird es nur, wenn man sich zu sehr auf diese Ratschläge verlässt und nicht mehr selbst die Entscheidung trifft.
Sie untersuchen in Ihrem Buch nicht nur eine besondere Studie, sondern sehr viele Studien zum Thema frühkindlicher Erziehung. Wie unterscheiden Sie zwischen einer guten und einer schlechten Studie?
Es gibt einige grundlegenden Richtlinien. Generell sind randomisierte Studien gut. Das sind Studien, die Probanden zufällig einer Behandlungs- und Kontrollgruppe zuordnet. Auch Studien mit vielen Teilnehmenden sind in der Regel besser. Das wichtigste an einer Studie ist, dass sie sich auf die Unterschiede zwischen Menschen einstellt. Zum Beispiel haben manche Studien detailliertere Informationen über Familien und es ist einfacher "ähnlichere" Familien zu vergleichen.
Vor einigen Wochen hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Richtlinie herausgegeben, empfiehlt wie viel Zeit ein Kind maximal am Bildschirm verbringen sollte. Ist die WHO in diesem Fall eine zuverlässige Quelle?
An sich ist die WHO eine absolut gute Informationsquelle, in diesem Fall ist es aber ein wenig knifflig. Diese Vorgabe kann für manche Familien perfekt funktionieren, sie basiert nicht aber nicht auf Beweisen. Niemand weiß, wie sich die Zeit am Bildschirm tatsächlich auf Kinder auswirkt. Die WHO fühlt sich aber verpflichtet, Empfehlungen zu geben. Es ist verlockend zu glauben, dass die WHO als wichtige internationale Organisation über geheime Informationen über das Thema verfügt – das tut sie aber nicht.
Was sollen also Eltern machen, wenn sie verschiedene Erziehungstipps aus unterschiedlichen verlässlichen Quellen erhalten?
Ich denke, dass die Präferenzen der Familien sehr wichtig für die Entscheidungen sind. Es ist schwer, sich nur auf Ratschläge zu verlassen - denn es gibt niemanden, der so tickt wie die eigene Familie. Man sollte sich so entscheiden, wie es für einen selbst funktioniert und zuversichtlich mit dieser Entscheidung sein.
Trotzdem zeigen Sie eine klare Haltung zum Impfen und zeigen in ihrem Buch auf, dass es keinen Zusammenhang zwischen Autismus und Impfung gibt. Warum gibt es Impfgegner, trotz der eindeutigen Beweise?
Es gibt leider einige Risiken von Impfstoffen, die von Experten nur schwer zu widerlegen sind. Impfgegner haben es auch geschafft, mit dem Argument "Wir können es nie mit Sicherheit wissen" zu überzeugen. Sie übersehen aber die Tatsache, dass alle verfügbaren Befunde stark darauf hinweisen, dass Impfstoffe sicher und wirksam sind.
In den USA gab es ja auch kürzlich einen Ausbruch von Masern .
Eine weitere Sache ist, dass Menschen weniger die Vorteile von Impfungen verstehen. Bisher haben Experten erfolgreich vermittelt, dass man keine Masern bekommt, wenn man sich impfen lässt. Viele Impfgegner glauben aber, dass ihre Kinder auch keine Masern bekommen wenn sie ungeimpft sind. Der jüngste Masernausbruch hat die Debatte jedoch verschärft und es wird für Impfgegner schwerer, ihre Position zu verteidigen.
Von allen Studien und Daten, was war Ihre überraschendste Erkenntnis?
In meinem Buch schreibe ich über eine Studie, die zeigt, dass der frühe Kontakt mit Erdnüssen, das Risiko von Erdnussallergien reduziert. Ich war überrascht, wie stark diese Beweise waren. Es gibt in den USA den Ratschlag, Kindern keine Erdnüsse zu geben damit sie keine Allergien zu entwickeln. Die Studie bewies aber das genaue Gegenteil. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass Probleme auftreten, sobald man sich auf Ratschläge verlässt die durch wenige Beweise gestützt werden.
Im letzten Kapitel schreiben Sie über den besten Erziehungsratschlag, den Sie von einer Kinderärztin erhielten. Was riet sie Ihnen?
Als meine Tochter zwei Jahre alt war, fuhren wir an einen Ort in Europa, von dem ich wusste, dass es dort viele Bienen gab. Meine Tochter hatte bisher keinen Bienenstich gehabt und wir wussten daher nicht, ob sie eine Bienenstichallergie hatte. Also gingen wir zu einer Kinderärztin um zu fragen und ich hatte im Kopf bereits ein ausgeklügeltes Worst-Case-Szenario, was passieren könnte, wenn meine Tochter gestochen wird. Meine Kinderärztin schaute mich an und sagte: "Ja, ich würde versuchen, einfach nicht daran zu denken." Der Ratschlag war perfekt für mich: Es gibt nämlich so viele Dinge in der frühkindlichen Erziehung, die einen total aufwühlen können. Und manchmal muss man einfach loslassen.