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Interview „Wir brauchen stabile Einkaufsmärkte“

Helena Helmersson erklärt, warum sich für H&M bessere Arbeitsbedingungen lohnen.
Helena Halmersson
Helena Halmersson
© H&M

Beim Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch starben vergangenes Jahr mehr als 1000 Menschen. Seither wollen das Land und die Branche mit einem einzigartigen Programm die Standards in den Fabriken verbessern. Welchen Wandel die Sicherheitsinspektionen bisher bewirken, ist in der neuen Capital nachzulesen.

Warum Modeketten wie H&M den Plan unterstützen, erklärt die Nachhaltigkeitsbeauftragte des schwedischen Konzerns, Helena Helmersson, im Interview. Sie leitet in der Konzernführung des Bekleidungskonzerns seit 2010 den Bereich Nachhaltigkeit. Das schwedische Wirtschaftsmagazin „Veckans Affärer“ kürte sie 2014 zur einflussreichsten Geschäftsfrau Schwedens.

Beim Einsturz des Rana-Plaza starben mehr als 1000 Textilarbeiter
Beim Einsturz des Rana-Plaza starben mehr als 1000 Textilarbeiter

Frau Helmersson, H&M hat nicht in der Unglücksfabrik Rana Plaza fertigen lassen. Warum engagieren Sie sich dennoch für Entschädigungen, besseren Arbeitsschutz und – mittelfristig – für höhere Löhne in dem südasiatischen Land?
Helmersson: H&M möchte einen Beitrag leisten für dauerhafte Verbesserungen. Wir arbeiten seit mehreren Jahren mit verschiedenen Initiativen daran, die Stabilität in unseren Einkaufsmärkten zu verbessern. Dazu gehört, die Textilarbeiter zu stärken. Die Produzenten von Rana Plaza gehörten nicht zu unseren Lieferanten. Aber die Katastrophe unterstreicht, wie wichtig unsere schon zuvor begonnenen Bemühungen sind, Gebäudesicherheit und Brandschutz in dem Land zu verbessern.
Das von 180 Firmen getragene Bündnis für Gebäudesicherheit und Brandschutz (Bangladesh Accord) hat die ersten 1000 von 1500 der direkten Lieferanten auf Mängel in Bausubstanz, Elektrik und Brandschutz geprüft. Wie schneiden Ihre Lieferanten ab?
Als einer der größten Einkäufer haben wir etwa 200 Fabriken, die erfasst werden. 174 von ihnen wurden durch den Accord inspiziert – zusätzlich zu unseren eigenen regelmäßigen Audits, die unsere hohen Nachhaltigkeitsstandards prüfen. Jede mögliche Verbesserung ist willkommen, die einzelne Fabriken und damit die ganze Textilindustrie in ihrer Sicherheit stärkt. Werden dennoch Mängel gefunden, muss Abhilfe geschaffen werden.

Versammlungsfreiheit vielerorts nicht gewährleistet

Wie stehen Sie Lieferanten bei, wenn Reparaturen oder Nachrüstung verordnet werden?
Ziel des Branchenbunds ist es, die Arbeitsplätze in der Bekleidungsindustrie von Bangladesch in fünf Jahren sicher und nachhaltig zu machen. Wie andere große Marken unterstützen wir das Sicherheitsprogramm mit jährlich 500.000 Dollar. Wir Einkäufer haben uns darin vertraglich verpflichtet, unseren Lieferanten zwei Jahre gleiche oder größere Mengen abzunehmen. Außerdem stehen wir in der Verantwortung, dass ausreichend Mittel für Reparaturen oder Umbauten verfügbar sind. Es werden also Konditionen ausgehandelt, die sicherstellen, dass es für den Fabrikbetreiber finanziell machbar ist, die Auflagen zu erfüllen. Wo angemessen können auch gemeinsame Investitionen, Darlehen, oder Anträge für staatliche Unterstützung zum Zug kommen.
Wie kann erreicht werden, dass Bangladeschs Textilarbeiter in Sicherheitsfragen mehr Gehör finden? Die meisten Industriellen tolerieren keine Arbeitnehmervertreter.
Zum einen führen wir seit 2011 mit mehr als 300.000 Beschäftigten unserer Lieferanten Brandschutztrainings durch. Zum anderen enthält unser Verhaltenskodex, den alle Lieferanten unterzeichnen, das Recht der Angestellten, Vertretungen zu gründen und auch Löhne zu verhandeln. Wir tolerieren keine disziplinären oder diskriminierenden Schritte gegen Angestellte, die sich friedlich und legal organisieren wollen. Dennoch bleibt die Versammlungsfreiheit in vielen unserer Märkte aus politischen Gründen eine Herausforderung.
Was tun Sie als Unternehmen konkret dagegen?
Wir haben die Stärkung von Gewerkschaftsfreiheit und Kollektivverhandlungen zu einem Schwerpunkt unserer Arbeit gemacht. In Bangladesch arbeiten wir daran, dass all unsere dortigen Lieferanten bis spätestens 2018 über wirksame und demokratisch gewählte Arbeitnehmervertretungen verfügen. In Kambodscha gibt es verhältnismäßig gut entwickelte Gewerkschaftsstrukturen, jedoch enden Tarifverhandlungen meist ohne Ergebnis. In einem Projekt mit der schwedischen Gewerkschaft IF Metall und SIDA, der staatlichen Entwicklungshilfeorganisation, schulen wir daher Gewerkschaften wie auch Arbeitgeber in sozialem Dialog. Das zielt auf eine höhere Zahl von Tarifverträgen und letztlich auch auf mehr Stabilität in dem Markt ab.

"Wir glauben, dass die Lohnentwicklung zu langsam vorangeht"

Bangladesch ist für die Bekleidungsindustrie so attraktiv, weil es in Asien die billigste Nähstube ist. Der Mindestlohn wurde 2014 auf 68 Dollar erhöht. Hat H&M diese Kosten an den Verbraucher weitergegeben?
Nachhaltigkeit ist für uns sehr, sehr wichtig. H&M hatte sich bei der Regierung Bangladeschs für eine Erhöhung der Mindestlöhne eingesetzt, und wir begrüßen sie. Im zweiten Quartal 2014 haben höhere Personalkosten in all unseren Einkaufsmärkten auch unsere Kosten in die Höhe getrieben. Die Einzelhandelspreise haben wir in der Folge nicht erhöht. Wir betrachten das als Investition, da wir wissen, dass Kunden diese Dinge wichtig sind.
H&M hat sich vor einem Jahr selbst auf die Fahne geschrieben, bis 2018 sicherzustellen, dass alle strategischen Lieferanten faire Existenzlöhne zahlen. Wie weit sind damit?
Wir glauben, dass die Lohnentwicklung zu langsam vorangeht. Deshalb haben wir die so genannte Fair Living Wage Roadmap begonnen, die letztlich der gesamten Industrie als Anreiz dienen soll. Unsere Lieferanten sollen Löhne zahlen, die die Grundbedürfnisse abdecken, und H&M ist bereit, höhere Kosten in seinen Preisverhandlungen und durch langfristige Partnerschaften zu berücksichtigen.
So weit die hehre Absicht. Welche Fortschritte machen Sie?
Auch dafür sind Belegschaften, die ihre Löhne über demokratisch gewählte Vertreter aushandeln und jährlich anpassen, eine Grundlage. Erste Erfahrungen mit drei Modellfabriken - zwei in Bangladesch und eine in Kambodscha -, denen wir über fünf Jahre volle Auslastung garantieren, sind positiv: Die Fähigkeit zum sozialen Dialog steigt, Arbeitgeber und –nehmer entwickeln Lohnstrukturen, die Kenntnisse und Erfahrung berücksichtigen, das Management erkennt den beidseitigen Nutzen. Das Modell soll bis 2018 auf die 750 Fabriken unserer 150 Stammlieferanten, davon 80 Fabriken in Bangladesch – insgesamt rund 850.000 Arbeiter - ausgebaut werden.
Und woran soll sich die Höhe der Löhne orientieren?
Selbst die Uno-Arbeitsorganisation (ILO) gibt für eine Berechnung keine universelle Leitplanke. Wir glauben, dass Löhne zwischen Industrie, Arbeitnehmern und der Regierung verhandelt werden sollten. Aber jeder sollte von seinem Lohn leben können. Und wir werden auch in Bangladesch aktiv auf die Industrie und die Regierung einwirken, das Lohnniveau jährlich anzupassen. Es ist lebenswichtig für die weitere Entwicklung dieser Länder, dass verantwortliche Einkäufer im Land bleiben, und wir hoffen, dass wir einen Beitrag leisten für mehr Stabilität.

Lesen Sie in der aktuellen Capital „Die Gefahrensucher“. Nach dem Einsturz des Rana-Plaza wollten das Land und die Branche die Standards in den Fabriken verbessern. Wir haben ein Inspektorenteam nach Bangladesch begleitet. Hier können Sie sich die iPad-Ausgabe der neuen Capital herunterladen. Hier geht es zum Abo-Shop, wenn Sie die Print-Ausgabe bestellen möchten.

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