Psychische Erkrankungen zählen im 21. Jahrhundert zu den Volkskrankheiten: Im Schnitt hat jeder vierte Erwachsene in Deutschland einmal im Jahr mit einer psychischen Störung zu kämpfen, zeigt eine Studie der Technischen Universität Dresden. Abhilfe kann eine Psychotherapie schaffen, wären da nicht die langen Wartezeiten auf die begehrten Therapieplätze. Laut Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) dauert es durchschnittlich fünf Wochen bis zum Erstgespräch, in dem Patient und Therapeut sich kennenlernen und der Experte eine Diagnose stellt. Stellt der Therapeut dann ein psychisches Leiden fest, warten Patienten im Schnitt noch einmal fast fünf Monate, bis ihre Therapie tatsächlich beginnt.
Hier setzen Online-Therapieportale wie Hellobetter, Selfapy und Deprexis an. Ihr Werbeversprechen: „psychologische Soforthilfe kostenfrei und ohne Wartezeit“, wie es bei einem der Anbieter heißt. Allerdings haben die Portale nicht einfach klassische Therapieformen in den virtuellen Raum verlagert. Stattdessen bieten die allermeisten von ihnen lediglich vorgefertigte Online-Videos an. Kunden lernen mit ihnen quasi im Selbststudium, wie sie ihre Seele heilen. Das hat durchaus einen Vorteil: Betroffene erhalten schnelle Hilfe, können die Apps und Webseiten jederzeit flexibel nutzen.
„In leichten Fällen kann ein Online-Kurs eine klassische Therapie nicht notwendig werden lassen“, sagt Daniela Hubloher, Medizinerin bei der Verbraucherzentrale Hessen. „Vor allem können die Kurse aber helfen, die Wartezeit auf einen Therapieplatz zu überbrücken.“ Voraussetzung ist natürlich, dass Patienten einen Computer, ein Tablet oder ein Smartphone besitzen, auf dem die Apps laufen, und dass sie mit der Technik umgehen können. Das scheint nicht allzu gut zu klappen: Die Abbruchquoten sind höher als bei einer klassischen Therapie, warnt die Verbraucherschützerin.
Nicht für schwere Fälle geeignet
Hubloher betont, dass die Online-Kurse längst nicht immer eine klassische Therapie ersetzen können. Der Grund: Es fehlt der persönliche Austausch. Dieser ist ein maßgeblicher Erfolgsfaktor für die Behandlung psychischer Leiden. „In schweren Fällen rate ich deshalb unbedingt dazu, sich persönliche Hilfe in der Nähe zu holen“, sagt sie. Ein Therapeut könne im Ernstfall auch vorbeikommen, wenn der Patient in einer Krise steckt. Als Kombi-Produkt aus klassischer Therapie und Online-Programm scheinen die Plattformen aber gut zu funktionieren: Laut einer Studie der Universität Salzburg haben sie begleitend zu einer psychotherapeutischen Behandlung einen ähnlichen Zusatznutzen wie Psychopharmaka.
Die Krankenkasse übernimmt die Kosten der Online-Kurse, auch zusätzlich zum Besuch beim Therapeuten. Die Voraussetzung dafür: Der Anbieter ist im Verzeichnis für Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGa-Verzeichnis) des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte gelistet. Das Verzeichnis führt aktuell zehn Anbieter mit insgesamt 14 Programmen für psychische Erkrankungen. Behandlungswillige können sich die Online-Kurse beispielsweise von ihrem Hausarzt verschreiben lassen. Einige der Anbieter kooperieren speziell dafür mit Arzttermin-Portalen wie etwa Teleclinic.com und Doctor.de, damit Behandlungswillige schneller einen entsprechenden Beratungstermin bekommen. Patienten reichen ihr Rezept bei ihrer Krankenkasse ein und erhalten nach einigen Tagen einen Code, mit dem sie das Online-Programm starten und die Videos direkt in der App oder im Browser ansehen können. Wer den Kurs nicht über die Krankenkasse abrechnet, bekommt den Code nach Überweisung der Gebühr.
Selbstzahler sollten sich ebenfalls am DiGa-Verzeichnis orientieren, rät Verbraucherschützerin Hubloher. „Ich empfehle jedem, sich an diese Liste zu halten. So kann man sichergehen, dass der Anbieter auch gewisse Mindeststandards erfüllt.“ Es gibt zwar zahlreiche Player am Markt, aber nur wenige sind mit Blick auf ihre Wirksamkeit und Datenschutz vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte überprüft.
Zwölfwöchige Kurse
In den Online-Kursen geht es beispielsweise um Depressionen, Angststörungen oder Abhängigkeiten von Tabak und Alkohol. Ein Depressionskurs dauert bei einem DiGa-zertifizierten Anbieter zwölf Wochen. Teilnehmer sollten die Online-Video-Kurse laut Anbieter ein bis zwei Mal pro Woche mindestens eine halbe Stunde nutzen. Der Kurs beginnt mit einer Lektion zu den Symptomen und Ursachen der Erkrankung. Später geht es darum, wie negative Gedanken entstehen, und in der Folgesession, wie man diese beeinflusst und ändert. Persönliche Betreuung gibt es nur auf Anfrage und gegen einen Preisaufschlag. Diese zusätzliche Gebühr übernimmt die Krankenkasse meistens nicht. Drei Telefongespräche á 30 Minuten mit „unserem Team aus erfahrenen Psycholog*innen“ kosten bei einem der Anbieter etwa 99 Euro. Für eine zusätzliche schriftliche Begleitung per Chat über den gesamten Kurszeitraum sind 180 Euro fällig.
Wer sich auf die Selbsttherapie einlassen möchte, für den hat Verbraucherschützerin Hubloher noch einen Ratschlag: „Behandlungswillige sollten einen ruhigen, geschlossenen Raum aufsuchen, in dem sie sich voll auf die Therapie konzentrieren können“, empfiehlt sie. Schließlich sitzt einem kein Therapeut gegenüber, der dafür sorgt, dass man bei der Sache bleibt.