Das Titelthema der neuen Capital beschäftigt sich mit den Visionären der Wirtschaft. Es geht um die Frage, warum uns Deutschen die Träumer ausgegangen sind, während in anderen Ländern das Recht zum Spinnen hoch im Kurs steht. Die neue Capital liegt am 19. September am Kiosk.
Ohne James Dyson hätte Dyson nie den Staubsaugermarkt aufgemischt. Steve Jobs war Apple. Sind Unternehmen abhängig von einzelnen Visionären?
Wenn man sich James Dyson und unser Unternehmen anschaut, dann ist natürlich alles sehr eng miteinander verbunden. Alles, was wir heute machen, besteht nur, weil James die Kraft und die Ausdauer hatte, sich durchzusetzen. Über zehn Jahre hinweg war er ja ein wirklich einsamer Erfinder – ohne Geld, ohne Risikokapital, ohne diese Dinge, die den Start einfacher machen. Aber James und viele andere um ihn herum haben es geschafft, seine Stärken für eine ganze Organisation zu übersetzen. Das ist Dyson heute. Von unseren weltweit 4500 Mitarbeitern sind 1500 Ingenieure. Sie entwickeln Ideen auf ganz, ganz vielen Feldern. James ist in der Entwicklung immer noch sehr präsent. Aber er kann nicht alles alleine machen.
Wie sorgen Sie dafür, dass Dyson ohne James Dyson nicht die Ideen ausgehen?
Ein Erfinder muss sich Gleichgesinnte suchen. Erfinden bedeutet ja nicht, die nächste Generation von irgendwas zu entwickeln oder bestehende Geräte mit einer neuen Farbe anzustreichen. Beim Erfinden geht es meistens darum, das Gegenteil des Konventionellen zu entwickeln. Wir fördern das, indem wir junge Leute direkt von der Universität holen. Gerade sind wir dabei, noch einmal 650 junge Ingenieure zu rekrutieren. Diese Leute haben noch nicht gelernt, wie man sich in anderen Firmen verhält. Und wir wollen auch nicht, dass sie das lernen, denn sonst müssten wir es ihnen danach wieder wegtrainieren. Junge Ingenieure haben eine fröhliche, jugendliche Naivität und Angriffslust. Sie sind noch nicht abgehärmt und glauben nicht, dass die Probleme der Welt unlösbar seien.
Lassen sich große Visionen und Erfindungen durch Geld erkaufen?
Nein, das glaube ich nicht. Aber natürlich muss man eine große Stehkraft und Beharrlichkeit haben. Unser Ansatz als Design-Ingenieure ist fokussiert auf Produkte, die Alltagsprobleme lösen. Wenn etwas nicht funktioniert, dann fragen wir uns: Könnte man das nicht völlig anders machen? Manche dieser Probleme lösen wir in ein, zwei Jahren, andere lösen wir in zehn Jahren. Wir haben Ingenieure, die arbeiten schon an den gleichen Problemen, seit James Dyson das Unternehmen gegründet hat.
Aber so viel Geduld muss man sich erst einmal leisten können.
Ja. Das Unternehmen braucht eine Philosophie, eine DNA, die Erfindungen wertschätzt, über alles andere hinaus. Letztlich muss ein Unternehmen wie Dyson in erster Linie von Technologie und Ingenieuren getrieben sein und nur in zweiter Linie von kommerziellen Belangen. Natürlich wollen wir unsere Geräte auch erfolgreich verkaufen. Aber unsere Logik ist relativ einfach: Wenn wir Probleme lösen, die uns frustrieren und die andere frustrieren, dann gibt es schon genügend Leute, die unsere Geräte kaufen wollen.
Und was ist Ihr Job als Unternehmenschef?
Meine Hauptaufgabe ist es, sicherzustellen, dass wir in unserer Ingenieurskapazität richtig aufgestellt sind und dass wir die besten jungen Leute anziehen. Dafür ist es notwendig, dass wir das, was wir verdienen, auch wieder in unsere Ingenieursbasis investieren. Aber auch der Prozess des Erfindens braucht Führung. Sie können nicht 20 Leute in einen Raum schmeißen und sagen: Kommt mal mit Ideen. So funktioniert das nicht. Erfinden ist sehr disziplinierte und sehr harte Arbeit. Sie müssen definieren, was das Problem ist und was die möglichen Wege sind, wie man es lösen kann. Und dann müssen Sie Schritt für Schritt gehen, über viele Konzeptideen und Prototypen. Am Ende muss das Management dann sicherstellen, dass wir die fertigen Produkte in der Welt anbieten können. Das ist im Grunde der einfachere Job.
Hilft es, wenn Topmanager selbst Tüftler sind? So wie VW-Chef Martin Winterkorn, der studierter Physiker ist und sich gerne in die Autos setzt, um noch die kleinsten Details zu überprüfen.
Es ist unheimlich wichtig, dass alle die gleiche Passion haben. Es müssen nicht alle die gleiche Expertise haben. Ich kann unsere Staubsauger nicht bauen. Deshalb habe ich eine große Bewunderung für den Job, den unsere Entwickler machen. Aber entscheidend ist, dass unsere Herzen gleich ticken.
Dürfen Ihre Ingenieure auch einmal spinnen?
Ja, sie müssen auch ein bisschen spinnen dürfen. Wir machen zum Beispiel regelmäßig interne Dyson Challenges. Da stellen wir den Ingenieuren verschiedene Aufgaben, bei denen sie aus Teilen, die in unseren Maschinen stecken, etwas anderes zusammenbauen müssen. Dann gibt es einen großen Event, bei dem sie ihre Maschinen vorstellen. Manche explodieren, andere nicht. In diesem Jahr war das Thema unbemannte Luftfahrt. Unsere Ingenieure mussten Maschinen bauen, die durch einen Parcours fliegen. Das hat überhaupt nichts zu tun mit dem, was wir gerade im Unternehmen entwickeln. Bei den Challenges geht es in erster Linie darum, Kreativität zu fördern.
Kann man denn ausschließen, dass Sie eines Tages unbemannte Flugzeuge bauen? Bei den wirklich visionären Unternehmen stellt man fest, dass sie im Laufe der Zeit in Geschäftsfelder gehen, die nichts mehr mit ihrer Keimzelle zu tun haben.
Nein, das kann man nicht ausschließen. Wir operieren technologiegesteuert, daher definieren wir uns auch nicht als Staubsaugerfirma oder als Ventilatorenhersteller, sondern als Technologie- und Ingenieursfirma. Auch wir haben in der Vergangenheit schon aus Zufall neue Geschäftsfelder aufgebaut, zum Beispiel mit unserem Händetrockner Airblade. Natürlich entwickeln wir bestimmte Kompetenzen und bauen dann darauf auf. Aber unsere Zukunft ist kein starrer Weg. Wir verfolgen Projekte, bei denen wir ein klares Gefühl haben, wo der Weg langgeht, vor allem getrieben durch unsere Motorenentwicklung. Und wir arbeiten an Dingen, wo die Welt sehr weit offen ist.
Das bedeutet aber: Sie brauchen den Mut, Fehler zu akzeptieren und Rückschläge hinzunehmen.
Absolut. James Dyson sagt immer, das Leben der Erfinder besteht zu 98 Prozent aus Rückschlägen und nur zu zwei Prozent aus Erfolg. Das ist bei uns auch so. Für jedes Produkt, das wir auf den Markt bringen, für alles, was man in den Läden sehen kann, gibt es bei uns Regale über Regale voll Prototypen. Das sind Modelle, die wir entlang des Weges ausprobiert haben und die eben nicht zum Ziel geführt haben.
In Deutschland mangelt es nicht an guten Ideen, aber häufig an der Bereitschaft, sie zu finanzieren und dafür ins Risiko zu gehen. Wie sehen Sie das mit Ihrem Blick von außen?
Das ist für mich schwer zu beurteilen, weil ich die Verhältnisse in Deutschland nur noch aus der Ferne beobachte. Deutschland hat viele Stärken und schlägt sich auch sehr gut. Es gibt aber einen gewissen Konservativismus in der industriellen Aufstellung. Das Land kann mehr tun, um junge Erfinder und Ingenieurfirmen zu fördern. Da geht es um Zugang zu Kapitalgebern, Infrastruktur und Hilfen für Gründer an der Universität. Junge Leute müssen erkennen, dass sie nicht nur als Ingenieure für einen der großen deutschen Konzerne arbeiten können, sondern auch ihr eigenes Ding machen können. Das alles ist aber kein deutschlandspezifisches Thema. Da gibt es auch in anderen Ländern Nachholbedarf. Ein anderes Thema, das für eine funktionierende Erfinderkultur entscheidend ist, ist das Thema Patente. Wir brauchen starke Patentschutzsysteme.
Scheuen Sie den Wettbewerb um die besten Ideen?
Wir lieben Wettbewerb, kein Problem. Es ist herrlich, dass jeder in der Welt Dinge erfindet und sich die Kunden zwischen verschiedenen Ideen entscheiden können. Nur soll es dann bitteschön einen freien und offenen Wettbewerb geben, damit sich Erfindungen auch lohnen. Unser Problem ist, dass sich viel zu viele und gerade auch etablierte Unternehmen nicht dem Ideenwettbewerb stellen. Stattdessen schauen sie sich an, was jemand anderes macht. Dann versuchen sie, einen Weg zu finden – halbwegs legal oder auch nicht. Der Wirtschaftskampf ist eben nicht nur ein Kampf der Ideen. Er dreht sich immer auch um die Frage, wem die Ideen gehören. Mir macht der erste deutlich mehr Spaß als der zweite.
Max Conze, Jahrgang 1969, ist seit eineinhalb Jahren CEO von Dyson. Zuvor arbeitete er, der früher Fallschirmspringer bei der Bundeswehr war, für den Konsumgüterhersteller Procter & Gamble unter anderem in China und den USA. Das britische Unternehmen, das mit dem von James Dyson erfundenen ersten beutellosen Staubsauger berühmt wurde und inzwischen auch Ventilatoren, Heizlüfter und Händetrockner verkauft, erzielte im Jahr 2012 einen Umsatz von 1,4 Mrd. Euro und ein Nettoergebnis von 423 Mio. Euro. Rund ein Drittel seines Gewinns investiert das Unternehmen in Forschung und Entwicklung.
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Fotos: © Dyson