Es sieht nicht so aus, als ginge das Jahr gemütlich und in Ruhe zu Ende. Zumindest nicht an den Finanzmärkten. Das britische No-Go nämlich – die ausgesetzte Abstimmung über den Vertrag zum EU-Austritt – hat diese Woche schon mächtig für Turbulenzen gesorgt. Und nun folgt auch noch die Vertrauensabstimmung über Premierministerin Theresa May innerhalb der konservativen Unterhaus-Fraktion. Man mag darüber denken, was man will, dass das britische Parlament es bisher noch nicht geschafft hat, endgültig sein finales „Go“ für den EU-Austritt zu erklären. Und ob Premierministerin May richtig liegt mit der Befürchtung, dass es derzeit im Parlament keine Mehrheit für die jüngst ausgehandelten EU-Austrittskonditionen gäbe, das werden die nächsten Tage zeigen. Eine Frage aber dürfte Mittwochabend geklärt werden: Ob die britische Regierungschefin noch den Rückhalt ihrer eigenen Partei genießt. Es könnte sein, dass ihre Leute ihr die Gefolgschaft versagen.
Nun spielen die Fraktionen bereits verschiedene Szenarien durch, was das für das weitere Brexit-Prozedere heißt: Unabhängig davon, wer britischer Premier bliebe oder würde, es gibt im Grunde nur drei Szenarien, den Austritt zu Ende zu führen. Option eins wäre : Es könnte ein neues Referendum geben, um das Volk noch einmal zu befragen und mehr Klarheit über die Stimmung der Bürger zu bekommen. Jetzt, wo viel mehr Fakten als vor zwei Jahren auf dem Tisch liegen, erhoffen sich etliche Brexit-Gegner, dass die Mehrheitsmeinung klar in Richtung „Stay“ geht. Dann bliebe Großbritannien am Ende vielleicht doch in der EU.
Die zweite Option wäre : Die jetzigen Querelen stoppen nur für kurze Zeit den Exit-Prozess – und zwar eventuell bis zum Jahresbeginn, denn über Weihnachten legt das Parlament auf der Insel gewohnheitsmäßig eine Arbeitspause ein. Bliebe das Königreich aber bei seiner Grundansage für die Abspaltung – und von dieser Option gehen derzeit die meisten Beobachter aus – dann wird in jedem Fall die Zeit bis März knapp. Denn spätestens Ende März muss der Austritt vollzogen sein, so wollen es die Vorgaben. Und gibt es bis dahin keine entsprechenden Verträge mit der EU, müssten die Briten – völlig ohne rechtliche Absicherung – einen ungeordneten Ausstieg hinlegen. Das wäre der harte Brexit und der sorgt nicht gerade für Gelassenheit bei den Beteiligten. Erst recht nicht bei denen, die dabei die Wirtschaft im Blick haben.
Börsen knicken ein
Die aufgeschobene Abstimmung hatte schon vor dem angekündigten Misstrauensvotum gegen May Auswirkungen bis weit ans andere Ende der Welt. Die britischen Querelen fraßen sich diese Woche tief in die Kurscharts – sogar in Asien –, weil sich viele Investoren Gedanken machen, wie es nun in England weitergeht. Natürlich waren die Folgen innerhalb Europas an den Börsen am spürbarsten: Der Deutsche Aktienindex Dax gab auf Wochensicht 600 Punkte ab und verlor damit auf Monatssicht rund acht Prozent. Beim Eurostoxx sah es nicht viel besser aus, er büßte auf Wochensicht fast 150 Punkte ein und sackte 6,5 Prozent auf Monatssicht ab. Am heftigsten traf es natürlich erwartungsgemäß den britischen Leitindex FTSE 100, er ging um neun Prozent zurück seit Mitte November. Und dabei ist ja vorerst streng genommen noch gar nichts passiert. Was ist also erst, so fragen sich einige Anleger bang, wenn der Brexit ganz anders abläuft als bisher gehofft? Erheblich turbulenter und ungeplanter nämlich? Das dürfte zu weiteren Verwerfungen führen.
Eines vorweg: Man kann versuchen, sich als Aktien- oder Fondsanleger gegen die möglichen Brexit-Folgen abzusichern. Allerdings müssten dazu zwei Dinge zutreffen: Es müsste dann auch wirklich zum ungeordneten Brexit kommen – und nicht etwa zum zweiten Referendum, das den gesamten Prozess noch einmal rückabwickeln würde. Und man müsste das eigene Depot wirklich gründlich durchforsten, um auch alle Finanzprodukte ausfindig zu machen, in denen britische Aktien mit höherem Risiko stecken. Das sind nämlich viel mehr Papiere, als gemeinhin angenommen wird. Somit wären Anleger wesentlich weniger diversifiziert unterwegs, wenn sie wirklich zuverlässig das britische Risiko minimieren wollen würden.
Am einfachsten fiele es noch Fondsanlegern, so könnte man meinen. Sie müssten ja nur Aktienfonds mit Fokus auf Großbritannien meiden. Schließlich gibt es genug Fonds, die auf europäische Unternehmen ex-UK setzen, also auf alle außer die britischen. Interessanterweise verzeichneten aber gerade die Aktien-Europa-ex-UK-Fonds in der Zeit seit dem Brexit-Votum größere Mittelabflüsse. Aus ihnen fließt also Geld ab. Wenn überhaupt, dann entschieden sich Anleger eher für Nebenwertefonds, die englische Aktien ausschließen. Vielen größeren europäischen Indizes und ETFs dagegen blieben die Investoren eher treu. Dabei stecken gerade in ihnen viele Großbritannienaktien. Im Schnitt machen sie bei breit aufgestellten Europaaktienindizes 25 bis 35 Prozent der Papiere aus. Vereinzelt etwas weniger, weil die Kurse bereits stark gelitten haben. Doch mit etwa einem Drittelanteil britischer Papiere sollten Anleger schon rechnen. Das ist enorm viel. Deutsche Aktien sind meist nur zu rund 14 Prozent enthalten, französische zu 16 Prozent.
Aktiv gemanagte Fonds im Vorteil
Wer also das Brexit-Risiko minimieren will, der müsste sich konsequent von paneuropäischen Aktien-Indexfonds trennen. Und von weltweiten ebenfalls, denn immerhin sechs bis acht Prozent des MSCI World wird ebenfalls von UK-Aktien bestimmt. Denn bei den passiven Indexfonds bestünde das stärkste Abwärtspotenzial. Was nämlich würde passieren, wenn sich Großbritannien demnächst ebenso endgültig wie plötzlich zum Brexit durchränge, also ohne entsprechende Handelsabkommen? Es müsste höhere Zölle auf viele Produkte zahlen, das Wirtschaftswachstum würde leiden, die Verbraucherpreise stiegen, die Arbeitslosigkeit vermutlich auch, das Pfund würde abwerten. Seit dem Brexit-Referendum hat es bereits rund 15 Prozent an Wert verloren. Alles in allem keine guten Aussichten für die Wirtschaft. Und das, wo der Konjunktur insgesamt auch langsam die Puste für den weiteren Aufstieg ausgeht. Auf Passivfonds schlüge das natürlich voll durch.
Ausnahmsweise wären Aktivfonds hier wohl einmal im Vorteil. Viele Fondsmanager haben schon seit einer Weile britische Aktien untergewichtet, also aus den Depots genommen. Am konsequentesten haben sie das laut Branchenanalysen im Bereich Dividendenfonds getan, auch die Mid-Cap- und Small-Cap-Fonds der mittleren und Kleinunternehmen haben hier schon gut aussortiert. Dennoch steckt aber wohl rund 20 Prozent des Anlegergeldes auch bei solchen Fonds noch in britischen Aktien, weil man einen derart großen Player schließlich nicht ganz aus dem Portfolio werfen kann. Das sollte Anlegern klar sein. Und deswegen dürfen sie auch nicht in Panik verfallen, falls sie dennoch Bremsspuren in ihren Kurscharts beobachten. Ganz ohne sie wird es kaum gehen.
Auch Branchenfonds könnten übrigens stark reagieren, wenn es zum ungeordneten Brexit käme. Gerade in den Bereichen Rohstoffe, Telekommunikation und Energie sind nämlich britische Unternehmen stark vertreten. Zudem stecken in europäischen Immobilienfonds sehr viele Papiere von der Insel, woran der starke Londoner Immobilienmarkt seinen Anteil hat. 15 bis 20 Prozent könnte der Britenanteil in diesen Branchen betragen. Und nicht einmal die Anleger von Hollandfonds, Südafrika- oder Hongkong-Papieren sind ganz auf der sicheren Seite. Denn raten Sie mal, welche Firmen in diesen Töpfen einen größeren Anteil ausmachen? Richtig, ebenfalls einige aus Großbritannien: Unilever hat seine Zentrale in London, BHP Billiton und British American Tobacco gehören in Südafrika zu den bestimmenden Unternehmen und die HSBC operiert von Hongkong aus. Wer also wirklich sichergehen will, muss genau hinschauen, was in seinen Fonds drin ist – in aktiven wie passiven.
Die Liste der Unwägbarkeiten ist lang
Die nächste Frage ist natürlich, ob man auch gezielt auf britische Einzelaktien verzichten will, so man welche hat. Wenn, dann birgt zurzeit vor allem der Automobilsektor größere Risiken. Er wäre laut Analysten die Branche, bei der mögliche Zölle am stärksten durchschlagen würden. Sie könnten fast die Hälfte der befürchteten 10 Mrd. Euro ausmachen, die dadurch zusätzlich für britische Firmen anfielen. Vor allem Zölle auf Fahrzeugteile wären ein größeres Problem für die britischen Hersteller. Kunststoffproduzenten und Maschinenbau wären zwei weitere zollgefährdete Branchen. Unabhängig von den Zöllen müsste sich auch die britische Rüstungsindustrie umsehen und neu aufstellen, weil europäische Verträge hinfällig wären. Für die gesamte Luft- und Raumfahrt gälte das. Wesentlich unproblematischer schätzen Marktbeobachter übrigens nach den jüngsten Stresstest die Lage der britischen Banken ein. Diese seien mit hoher Wahrscheinlichkeit gut aufgestellt und würden zudem wohl von der Bank of England zur Not mit Liquidität versorgt, wenn es darauf ankäme.
Doch nicht nur britische Hersteller hätten Probleme, ihre Produkte im Ausland so gewinnbringend wie jetzt zu verkaufen – auch deutsche und andere europäische Hersteller würden in Mitleidenschaft gezogen, fiele Großbritannien als Absatzmarkt weg. Auch die deutsche Autoindustrie würde den Brexit merken, schließlich ist das Vereinigte Königreich nach den Vereinigten Staaten einer der wichtigsten Exportmärkte. Heimische Gabelstaplerproduzenten würden es ebenfalls zu spüren bekommen. Selbst der Chemieriese BASF rechnete bereits nach eigenen Angaben mit Umsatzrückgängen und höheren Kosten durch den Brexit, die bei rund 60 oder 80 Mio. Euro liegen könnten. Das ist angesichts des Gesamtumsatzes zwar ein vernachlässigbarer Wert, der bloß 0,01 Prozent des BASF-Geschäfts ausmachen würde – dennoch. Bei den großen Lebensmittelproduzenten wie Nestlé und Danone würden sich die Auswirkungen wohl in Grenzen halten, sie erzielen traditionell wenig Geschäft in Großbritannien, sagen Analysten. Umfassende Entwarnung aber gibt es für keine der Branchen.
Die Auflistung zeigt: Die Liste der Unwägbarkeiten ist lang und Einbußen wären selbst für breit aufgestellte Anleger unausweichlich. Es kommt jetzt vor allem auf Zweierlei an: Ob Großbritannien sich überhaupt bis März endgültig das Yes zum Austritt abringt. Und wie konsequent man als Privatanleger die Briten in vorauseilendem Gehorsam bereits aus dem eigenen – meist europalastigen – Depot werfen möchte. Wer trotz der Verwerfungen dieser Woche noch zögert, der hat jetzt zwei Möglichkeiten: Er könnte ein mögliches neues Referendum abwarten und auf das „Stay“ hoffen. Oder müsste eben beim endgültigen „Leave“-Votum den Brexit aussitzen – also auf den späteren Wiederaufstieg Englands und seiner Aktien setzen. Das wird dauern. Doch wer bisher nicht die Geduld mit den Briten verloren hat, der ist anscheinend prädestiniert fürs Abwarten und Tee trinken.