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Interview Warum bei der Geldanlage Intuition der beste Ratgeber ist

Gerd Gigerenzer
Gerd Gigerenzer
© Alexander Gehring
Richtige Entscheidungen zu treffen ist eine Kunst. Der Psychologe Gerd Gigerenzer untersucht, was uns am besten dabei hilft: die Intuition. Auch und gerade bei der Geldanlage

Gerd Gigerenzerkennt sich aus mit der Kunst des Entscheidens: Der Psychologe, Buchautor und Professor trainiert Manager, Ärzte und amerikanische Bundesrichter im Umgang mit Unsicherheiten. Gigerenzer ist Direktor des Harding-Zentrums für Risiko-kompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin.

Herr Gigerenzer, was war die erste Entscheidung Ihres Tages?

(lacht) Ich habe heute Morgen 360 Bücher signiert und bin nicht sicher, ob ich dabei eine Entscheidung getroffen habe.

Okay, anders gefragt: Treffen Sie Entscheidungen im Alltag eher routiniert oder kommen Sie öfter ins Grübeln?

Ich grübele selten. Durch meine Forschung habe ich gelernt, schnell zu entscheiden und nicht zu glauben, ich muss die beste aller Entscheidungen treffen. Man kann im Alltag schnell entscheiden, wenn man mit Heuristiken – also einfachen Regeln – arbeitet. Kürzlich war ich zum Beispiel in einem guten Restaurant, meine Freunde studierten lange die Speisekarte. Ich habe den Kellner gefragt, was er heute hier essen würde – und bestellt.

Und, waren Sie zufrieden?

Das Interview ist im Capital-Sonderheft zum Vermögensaufbau erschienen

Das Interview ist im Capital-Sonderheft zum Vermögensaufbau erschienen

Das Interview ist im Capital-Sonderheft zum Vermögensaufbau erschienen

Ja, sehr. Mir macht es Freude, mit solchen Vereinfachungen zu experimentieren. Das geht natürlich nur in Restaurants, bei denen Sie davon ausgehen können, dass der Ober besser Bescheid weiß als Sie. Ich frage auch bewusst nicht, was er empfiehlt, sondern was er selbst essen würde. Das ist ein wichtiger Unterschied.

Es soll ja Manager geben, die nur dunkelgraue Anzüge besitzen, um sich die erste Entscheidung des Tages zu ersparen …

Klar, das kann eine gute Idee sein. Der Vater der wissenschaftlichen Erforschung von Entscheidungsprozessen, der amerikanische Sozialwissenschaftler Herbert Simon, hat mir mal erzählt, dass er in seinem Institut immer das Gleiche zu Mittag isst: ein Käsesandwich. Und ich habe gefragt: Warum? Seine Antwort war: eine Entscheidung weniger.

Mit Finanzentscheidungen tun sich Menschen häufig besonders schwer. Woher kommt diese Unsicherheit?

Nun, es steht viel auf dem Spiel. Außerdem gibt es sogenannte Experten, die ihren Rat verkaufen möchten und zu diesem Zweck Unsicherheiten schüren …

… also raten diese Experten nicht, sondern verunsichern?

Bei einigen ist es das Geschäftsmodell zu suggerieren, dass nur sie selbst durchblicken. Dabei gibt es gut dokumentierte Studien, die so etwas widerlegen: In Schweden hat man Experten und Nicht-Experten vorhersagen lassen, welche von zwei Aktien besser läuft – die Zufallswahrscheinlichkeit lag also bei 50 Prozent. Normale Anleger lagen in der Hälfte der Fälle richtig, die Experten nur bei 40 Prozent.

Kann man die Tipps von Finanzfachleuten also vergessen?

So weit würde ich nicht gehen. Aber es gibt Dinge wie Aktien- oder Wechselkurse, die können wir halt nicht vorhersagen – auch nicht Profis. Ich habe die Wechselkursprognosen für Euro und Dollar von den zwei Dutzend größten Finanzinstituten wie Morgan Stanley, JP Morgan und Deutsche Bank über zehn Jahre hinweg analysiert. Wenn Sie sich das Ergebnis ansehen, lachen Sie sich gesund. In den meisten Jahren lag der wirkliche Kurs außerhalb des gesamten Spektrums aller Bankvorhersagen. Die Logik der Vorhersagen war aber gut zu erkennen: Die Institute haben einfach die jüngste Entwicklung fortgeschrieben. Wenn der Kurs im letzten Jahr hochging, ging auch die Prognose hoch. Doch mit dieser Methode übersehen Sie jeden Wendepunkt. Das Fazit ist, dass Sie die Vorhersagen der Institute fast sicher vorhersagen können, die Institute aber den Wechselkurs nicht.

Wieso gibt es für solche Vorhersagen dann einen Markt?

Viele Käufer wissen nicht, wie schlecht die Treffsicherheit ist. Die interessantere Erklärung ist jedoch: Die meisten Manager kaufen solche Vorhersagen ein, um sich ihrer Verantwortung zu entledigen. Man nennt das defensives Entscheiden. Wenn man schiefgelegen hat, war eben die Bank schuld.

Die Beraterbranche lebt gut von dieser Sündenbockrolle …

Stimmt, aber defensives Entscheiden ist eine Verschwendung von Geld, Zeit und Intelligenz. Es ist sogar ein zunehmendes gesellschaftliches Problem, dass immer weniger Führungskräfte Verantwortung übernehmen möchten. Es gibt immer mehr, die ihre Verantwortung lieber delegieren – zum Beispiel an Beratungsunternehmen, die für teures Geld schon getroffene Entscheidungen nachträglich begründen.

Intuition ist eine Form von unbewusster Intelligenz
Gerd Gigerenzer

Woher kommt es, dass so viele Menschen fürchten, eine falsche Entscheidung zu treffen?

In vielen Fällen sind die Informationen widersprüchlich und liefern keine klare Antwort. Viele Entscheidungen müssen daher am Ende intuitiv, das heißt aus dem Bauch heraus getroffen werden. Ich habe mit großen, börsennotierten Unternehmen gearbeitet und die Führungskräfte gefragt: Wie oft ist bei Ihnen eine wichtige professionelle Entscheidung am Ende eine Bauchentscheidung? Die typische Antwort: jede zweite Entscheidung. Das würde man aber in der Öffentlichkeit nicht zugeben. Man hat Angst. Aber wenn eine erfahrene Führungskraft intuitiv spürt, dass man etwas nicht machen sollte, ist das oft eine gute Entscheidung.

Was ist denn Intuition?

Intuition ist nicht Willkür oder göttliche Eingebung oder der sechste Sinn oder eine Fähigkeit, die nur Frauen haben. Es ist eine Form von unbewusster Intelligenz, die auf jahrelanger Erfahrung beruht. Man spürt, was man tun soll, kann es aber selbst nicht erklären.

Kann ich mir das bewusst machen?

Wenn Sie Ihre innere Stimme nicht mehr hören, kann man diese oft mit einem Kniff aus dem Unbewussten hochholen. Sie haben zwei Alternativen und wissen nicht weiter. Nehmen Sie eine Münze und werfen Sie diese in die Luft – während sie sich noch dreht, werden Sie wahrscheinlich spüren, was nicht obenauf liegen darf. Dann brauchen Sie auch nicht mehr hinzusehen.

Wann ist das Bauchgefühl bei Geldanlagen ein guter Ratgeber?

Es gibt zwei Bedingungen: Sie brauchen jahrelange Erfahrung, und es muss um eine Situation mit Ungewissheit gehen. Wenn Sie dagegen im Kasino Roulette spielen, können Sie sich ausrechnen, wie viel Sie auf lange Sicht verlieren. Da brauchen Sie keine Intuition. Aber wenn Sie investieren, wenn es um Vertrauen geht, sind gute Intuitionen unentbehrlich.

Warum klappt es dann mit Wissen und Intuition in Gelddingen so oft nicht? Sie haben ermittelt, dass zwei Drittel der Deutschen wissen, dass sie in Aktienfonds anlegen sollten, die meisten packen ihr Geld aber trotzdem aufs Sparbuch.

Das Problem ist ein anderes: Es fehlt in Finanzdingen an einer vernünftigen Ausbildung und der Übung, aus der sich gute Intuitionen ausbilden können. Menschen lernen in der Schule vieles, aber eben nicht, mit Geld umzugehen. Es gibt eine enorme Lücke in der Bildung zur Risikokompetenz. Die Folge ist: Viele Menschen fühlen sich unsicher in Geldfragen, wie ein Kind, oder betrogen – insbesondere nach der Finanzkrise.

Ein Leben voller Entscheidungen: Als Psychologe beschäftigt sich Gerd Gigerenzer sein Leben lang mit der Frage, wie Menschen entscheiden
Ein Leben voller Entscheidungen: Als Psychologe beschäftigt sich Gerd Gigerenzer sein Leben lang mit der Frage, wie Menschen entscheiden (Foto: Alexander Gehring)
© Alexander Gehring

Sind die Deutschen bei der Geldanlage zu ängstlich oder schlicht zu perfektionistisch?

Das Vertrauen in die großen Banken, die Finanzmathematik und die Finanzaufsicht ist bei vielen seit der letzten Krise zerbrochen. So geht man zurück zum Sparbuch.

Bei einer Zinsanlage weiß ich, was ich bekomme …

Ja, solange der Schuldner zahlt. Für viele Menschen war die letzte Finanzkrise von 2007 auch hier der große Augenöffner, weil sie gemerkt haben, dass die nobelpreisgekrönte Finanztheorie diese Krise über Jahre hinweg nicht hat kommen sehen. Und hier ist das Problem: Die Finanztheorie ist im Wesentlichen Wahrscheinlichkeitsrechnung, die genau dann funktioniert, wenn die Annahmen stimmen und die Welt hinreichend stabil ist. In der wirklichen Welt der Finanzen werden diese Annahmen zur Truthahn-Illusion: Der Vogel wird von Geburt an Tag für Tag vom Menschen gefüttert – und die Wahrscheinlichkeit, dass es so bleibt, steigt immer weiter. Bis zum Tag vor Thanksgiving. Der Truthahn hat berechenbares Risiko und Ungewissheit verwechselt.

Man hört Ihre Skepsis. Halten Sie denn finanzmathematische Analysen für völlig wertlos?

Viele Vorhersagen sind Finanzvoodoo. Die Frage ist: Wann ist die Analyse großer Zahlenmengen tatsächlich erfolgreich, also wann sind datengestützte Optimierungen bei der Anlage besser als einfache Regeln? Das Erstaunliche ist, dass diese Frage so gut wie nie gestellt wird.

Dann tue ich das. Wann also helfen finanzmathematische Verfahren bei Anlageentscheidungen?

Grob gesagt sind die komplexen mathematischen Verfahren der Finanztheorie umso besser, je mehr die Zukunft der Vergangenheit gleicht. Das ist auch die Welt, in der Big Data Erfolg versprechend ist. Unter Ungewissheit sind dagegen einfache, robuste Regeln komplexen Schätzungen überlegen.

Das ist doch die Welt des Privatanlegers …

Genau. Nehmen wir als Beispiel mal die Markowitz-Theorie, die exakte Gewichte von Anlagen im Portfolio abschätzt. Das ist eine ganz klassische Optimierungsmethode. Das Interessante ist, dass Harry Markowitz, als er seine eigenen Investitionen für die Zeit nach seiner Emeritierung vornahm, seine Methode selbst nicht verwendet hat – sondern eine einfache Regel: 1 durch N. Das bedeutet, dass man sein Kapital gleichmäßig auf die N Optionen verteilt. Bei 10.000 Euro und drei Anlageklassen würde also jeweils ein Drittel investiert. Das ist eine robuste Lösung.

Die ultimative Anlageformel?

Nein, die beste Methode für alles gibt es leider nicht. Man braucht eine Werkzeugkiste.

Ohne Übung fehlt mir aber das Gespür, welches Werkzeug das passende ist.

Richtig.

Wie kann ich mich denn motivieren, meine Intuition zu schulen?

Hier hilft die Freude am Experimentieren. Man kann Anlagefragen als intellektuelle Herausforderung verstehen, selbst wenn man ein bisschen Lehrgeld zahlt. Es ist doch besser, selbst Verantwortung für sein Geld zu übernehmen, als dies einem Bankberater zu übertragen. Der darf oft nur raten, was das Beste für die Bank ist.

Kann man sich von Profi-Entscheidern etwas abgucken?

Sicher. Nur dann findet man meist, dass erfolgreiche Investoren mit Erfahrung und Heuristiken arbeiten statt mit den mathematischen Modellen. Heuristische Prinzipien sind Regeln wie „Leihe Geld in Niedrigzinsländern und investiere nur in Hochzinsländern“. Ich arbeite gemeinsam mit der Bank von England an Heuristiken für Bankenregulierung, welche die derzeit komplexe Basel-III-Regulierung durch robuste, transparente und effektivere Regeln ersetzt.

Hilft es denn, mit eigenen Fehlentscheidungen gnädig umzugehen?

Ja, viele Organisationen und Firmen brauchen dringend eine bessere Fehlerkultur. Die vorherrschende negative Kultur geht davon aus, dass man keinen Fehler machen darf – gibt es einen, wird er unter den Teppich gekehrt, oder man sucht einen Schuldigen. Die Konsequenz ist, dass die Fehler immer wieder passieren. Bei einer positiven Fehlerkultur geht man dagegen davon aus, das Fehler gelegentlich passieren – und wertet diese dann als nützliche Information. Man sucht nach den Ursachen, um diese zu beseitigen.

Wo findet man so eine positive Fehlerkultur?

Ein gutes Beispiel sind die kommerziellen Fluggesellschaften: Im Cockpit arbeiten die Piloten mit Checklisten, melden kritische Fälle – man spricht ständig über Fehler und überlegt, wie diese künftig vermieden werden können. Deshalb haben wir in der Luftfahrt heute kaum noch Todesfälle. Negative Fehlerkulturen beobachte ich hingegen häufig in börsennotierten Unternehmen, Krankenhäusern und Behörden.

Gibt es einfache Regeln für Leute, die sich gar nicht mit Finanzanlagen beschäftigen wollen?

Wer überhaupt nicht nachdenken will, kauft einen ETF auf den Dax. Dann wissen Sie wenigstens, dass Sie kaum Kosten zahlen, und haben automatisch diversifiziert.

Langfristige Anlagen wie Immobilien eignen sich aber kaum für eine positive Fehlerkultur. Ist da Information nicht wichtiger?

Positive Fehlerkulturen und Information schließen sich nicht aus. Aber auch bei Immobilien gibt es Ungewissheit. Hier braucht man gute Intuitionen, um dem richtigen Geschäftspartner zu vertrauen.

Aber Berater sind doch gerade darin geschult, dieses Vertrauen aufzubauen …

Stimmt. Wir haben in Italien untersucht, wie Menschen ihr Geld anlegen. Die meisten Italiener informieren sich kaum, das heißt, sie müssen vertrauen. Im Wesentlichen entscheiden sie danach, ob der Berater Augenkontakt hält, nickt und zuhört. Ist das der Fall, fasst man Vertrauen und überlässt dem Berater sein Geld zur Anlage. Aber das führt natürlich nicht unbedingt zu den besten Entscheidungen.

Gibt es auch Situationen, in denen es besser ist, keine Entscheidung zu treffen?

Ja, wenn man noch nicht genügend Informationen hat. Aber Vorsicht: Oft handelt es sich bei aufgeschobenen Entscheidungen um defensives Entscheiden. Ich habe das oft erlebt: Viele Manager wählen statt der besten Entscheidung für ihre Firma eine zweitklassige – bei der sie nicht so in der Verantwortung stehen. Diese besteht oft darin, abzuwarten und nichts zu tun. Man schützt sich lieber selbst, schadet damit aber dem Unternehmen.

Wie oft begegnet Ihnen im Finanzbereich ein komplettes Ausweichen nach dem Motto: lieber gar nicht entscheiden als falsch?

Aufschieberitis und das Verfolgen von zweitklassigen Alternativen gibt es auch hier, insbesondere wenn man nicht das eigene Geld verliert, sondern das von anderen.

Wie kann ich mich davor schützen?

Man braucht gewissermaßen eine Lust am Entscheiden, auch in ungewissen Situationen. Dabei helfen einfache Regeln, etwa: Kaufe kein Finanzprodukt, das du nicht verstehst. Wenn sich bei der letzten Finanzkrise alle daran gehalten hätten, hätte es die Krise so nicht gegeben. Einfache Regeln können mehr Sicherheit ins System bringen als komplexe Basel-Regulierungen.

Zu guter Letzt: Gibt es nicht doch einen überragenden Tipp für richtige Finanzentscheidungen?

Nein, aber drei gute Prinzipien: erstens selber Kenntnisse aufzubauen und nicht irgendeinem Anlagetipp aus der Zeitung nachzurennen. Das ist eher Astrologie. Zweitens Mut. Neben Information braucht man auch Emotion, also den Mut, etwas zu wagen und selbst für sein Geld die Verantwortung zu übernehmen. Und schließlich sollte man davon ausgehen, Fehler zu machen – denn diese bieten die Chance, aus ihnen zu lernen.

Das Interview mit Gerd Gigerenzer stammt aus dem Capital-Sonderheft zum Vermögensaufbau „Der Plan für Ihr Leben“ . Bestellt werden kann es im Capital-Shop

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