Im Frühjahr 2007 landete der Essayist und Forscher Nassim Taleb mit seinem Buch „Der Schwarze Schwan“ einen Bestseller, der bereits im Untertitel vor der „Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“ warnt. Es ist ein hervorragendes und geradezu prophetisches Buch. Ging doch gut ein Jahr nach dessen Erscheinen die US-Investmentbank Lehman Brothers pleite. Es folgten mehrere, zuvor unvorstellbare Zusammenbrüche: Märkte kollabierten, die Weltwirtschaft rutschte in eine Rezession.
Talebs Buch erfreut sich auch heute noch sehr großer Popularität. Über schwarze Schwäne zu philosophieren ist bei Investmentprofis und Privatanlegern gleichermaßen zu einer Gewohnheit geworden: Wo könnte etwas lauern, was niemand auf der Rechnung hat? Gibt es womöglich eine Bankenpanik? Oder die Eskalation eines geopolitischen Konflikts?
Dummerweise besitzen wir Menschen eine merkwürdige Eigenschaft, die weder im Alltag noch beim Geldanlegen hilfreich ist: Wir ignorieren Gefahren, die völlig offensichtlich sind – bloß weil wir uns daran gewöhnt haben. Bis sie außer Kontrolle geraten.
100 Euro geliehen, 95 Euro zurückgezahlt
„Nashörner“ nennt die US-Buchautorin Michele Wucker solche Ereignisse in ihrem Buch „The Gray Rhino“. Situationen wie bei einer Safari, auf der man bei Sichtung eines Nashorns in freier Wildbahn stehenbleibt, anstatt wegzulaufen. Wenn das Tier dann wütend auf einen zugerannt kommt, ist es zu spät.
Wucker entwickelte ihre Theorie, nachdem ihr beim Studium von Umstürzen und Krisen aufgefallen war, dass fast alle Akteure auf den Finanzmärkten deutliche Warnsignale ignorierten oder verharmlosten. So kamen weder die Hyperinflationen in Deutschland oder Argentinien noch die Häuserkrise in den USA oder die politische Wende in Osteuropa mit all ihren Verwerfungen aus dem Nichts.
Die „Nashörner“ unserer Zeit sind zum Beispiel Anleihen mit negativen Renditen oder die ständig wachsende Menge an Zentralbankgeld. Profis finden es nicht länger außergewöhnlich, dass sich Staaten und inzwischen sogar Unternehmen Geld zu Negativzinsen leihen können: Ich hätte gerne 100 Euro und zahle in fünf Jahren 95 Euro zurück. Wir haben uns – ganz unabhängig von der Ursache – an etwas gewöhnt, worüber wir vor fünf Jahren nur hätten lachen können. Wussten wir doch, dass so etwas weder richtig noch von Dauer sein kann und dass solch massive Fehlallokationen dazu führen, dass die Menschen das Vertrauen in die Geldpolitik verlieren.
Nehmen Sie sich das Buch von Michele Wucker doch einfach zur Lektüre für trübe Tage vor. Es könnte Ihre Sicht auf verrückte Märkte gründlich verändern. Und halten Sie es bei der Geldanlage mit der einfachsten und besten Strategie gegen wahrscheinliche und höchst unwahrscheinliche Ereignisse: Streuen Sie Ihr Vermögen, so gut es geht.
Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital. Er schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Geldanlagethemen. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen
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