Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital. Er schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Geldanlagethemen. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen
Die Finanzaufsicht Bafin macht ernst: Erst kündigt sie ein Verbot des Vertriebs so genannter Bonitätsanleihen an – das sind Zertifikate, deren Rückzahlung von der Bonität einer oder mehrerer Unternehmen abhängen. Nun stellt sie in Aussicht, auch binäre Optionen und Differenzkontrakte zu verbieten. Dabei handelt es sich um meist kurzfristige Finanzwetten mit hohen Chancen und Risiken.
Beide Maßnahmen sind im Kern richtig. Sie spiegeln den politischen Willen wider, die Finanzaufsicht beim Verbraucherschutz zu stärken und ihr – wie 2015 per Gesetz geschehen – die Möglichkeit zu geben, den Vertrieb ganzer Produktgattungen zu verbieten. Auch die Begründung der Finanzaufsicht sind nachvollziehbar und zutreffend: Bonitätsanleihen sind komplexe Produkte, deren Chancen-Risiko-Verhältnis die wenigsten Kunden vernünftig beurteilen können. Zudem sei bereits der Name „Anleihe“ irreführend. Und binäre Optionen sind in der Praxis für die allermeisten Anleger Geldvernichtungsmaschinen, weshalb die Anbieter auch auf allen Kanälen laufend auf Neukundensuche sind.
Die Maßnahmen sind aber auch Symptom eines Irrwegs unseres Regulierungsregimes seit der Eskalation der Finanzkrise im Jahr 2008: Zähne zeigen Regulierer und Aufseher in Deutschland, wenn Verlustrisiken ins Spiel kommen. Nominale Verlustrisiken, wohlgemerkt. Immer stärker setzt sich dabei das Bild des unmündigen Verbrauchers durch, der Risiken nun mal nicht vernünftig erkennen könne.
Ohne nominale Verlustrisiken keine Renditen
Im Alltag der klassischen Anlageberatung sind Produkte privilegiert, die kaum nominale Verlustrisiken bergen: Bausparverträge, Zinsprodukte aller Art, Versicherungslösungen etwa. Die Protokollpflicht sowie mögliche Haftungsrisiken machen hingegen den Vertrieb kurzfristig fraglos riskanter, aber langfristig rentabler Anlageformen wie etwa Aktien und Aktienfonds eher unattraktiv. Dieses Regulierungsregime hat – natürlich in einer Reihe mit weiteren Gründen – auch dazu beigetragen, dass der Anteil langfristig rentabler Anlageformen und Sachwerten am Geldvermögen mit knapp einem Fünftel heute auf dem gleichen mickrigen Niveau ist wie 2008.
Das ist eine erstaunliche Parallele zur Regulierung der Banken und Versicherer, der nach den heftigen Kurseinbrüchen im Jahr 2008 zugrunde liegt, dass Staatsanleihen bombensicher seien, schwankende Aktien hingegen riskant. Als dieser Prozess begann, gab es auf sichere Anleihen und Einlagen bei der Notenbanken noch Zinsen von drei, vier oder gar fünf Prozent.
In Zeiten, in denen der risikolose Zins womöglich noch über Jahre bei Null liegen könnte, stößt dieser Ansatz aber an seine Grenzen. Die Rechnung ist dann ganz einfach: ohne nominale Verlustrisiken gibt es schlicht keine Renditen mehr. Aus dem Schutz vor Verlusten wird eine Verlustgarantie – und zwar eine reale, denn am Vermögen der Anleger nagen dann Inflation sowie die Gebühren der Anbieter, die Produkte so strukturieren, um stets ihren Schnitt zu machen. Kurz: Die starke Orientierung an Garantien ist – zum Beispiel bei der Riester-Rente, aber auch vielen Versicherungsmodellen – nicht die Lösung, sondern genau das Problem, das letztlich die Komplexität noch erhöht.
Produktnamen werden zugemüllt
Denn was die Aufseher an Bonitätsanleihen bemängeln – Komplexität, irreführende Namen und undurchschaubares Chance-Risiko-Verhältnis – ließe sich problemlos auch auf andere Bereiche übertragen. So ist es in der ganzen Finanzdienstleistungsbranche seit Jahren eine immer schlimmer werdende Unsitte, Produktnamen mit positiv besetzten Begriffen regelrecht zuzumüllen: „Relax“, „Comfort“, „Select“, „Garant“, „Performance“ und „Safe“ sind die typischen Worthülsen für Versicherungsprodukte zur Altersvorsorge, die in Sachen Rendite-Komplexität dr den Bonitätsanleihen in nichts nachstehen. Die Zertifikatebranche wirft mit „Garant“ um sich, in der Fondsbranche heißen Produkte nun „Vermögensmanagement Balance“, „Stable Return“ oder ein Fonds wird gleich im Namen zur „Basisanlage“ deklariert.
Die Frage sei daher erlaubt: Wenn Komplexität, Interessenskonflikte und ein undurchschaubares Chance-Risiko-Verhältnis die Kriterien sind – was ist dann von den neuen Lebensversicherungen zu halten? Oder, überspitzt formuliert: wie viele Kunden können auch nur näherungsweise abschätzen, wie rentabel oder unrentabel ihr Riester-Vertrag sein wird? Und noch weiter gedacht: Müssen Politik und Aufseher nicht ganz grundsätzlich auch hinterfragen, wie sicher in der Ära negativer Anleihen-Einlagenzinsen überhaupt Anleihen und Cash auf der Bank sind, die sie so stark privilegieren?
Natürlich spricht all dies nicht dagegen, überhaupt einmal anzufangen und die schlimmsten Auswüchse in Sachen Komplexität und Irreführung tatsächlich an den Pranger zu stellen oder gar zu verbieten. Doch sichere Zinsen nahe oder unter Null sind womöglich kein kurzfristiges Phänomen. Sie könnten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dort verharren. Das hieße aber auch, dass das Leitmotiv, den unmündigen Anleger vor nominalen Verlusten zu schützen und die starke Orientierung an Garantien überdacht werden muss.
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