Die Rufe nach einer Rentenreform werden immer lauter. Schließlich gerät der Generationenvertrag in Gefahr, wenn immer weniger Arbeitnehmer für immer mehr Rentner aufkommen müssen.
Wie sich die Gesellschaft entwickelt und was das für das deutsche Rentensystem bedeutet, untersucht Martin Werding. Er leitet den Lehrstuhl für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Universität Bochum. Wer einen Blick in die Zukunft des deutschen Rentensystems werfen will, kommt zu ihm. Denn der Sozialpolitik-Professor hat eine Simulation entworfen, die zeigt, wie sich die deutsche Gesellschaft entwickelt und was das für die deutsche Rente bedeutet.
CAPITAL: Herr Werding, wie wird sich die deutsche Bevölkerung in den kommenden Jahren entwickeln?
MARTIN WERDING: Darauf gibt es nicht die eine richtige Antwort. Allein das Statische Bundesamt hat aktuell 27 mögliche Szenarien erstellt. Die heutige Wohnbevölkerung altert Jahr um Jahr , ansonsten kommt es auf Lebenserwartung, Geburtenrate und Migration an. Nimmt man für diese drei Faktoren jeweils eine durchschnittliche, optimistische und pessimistische Entwicklung an, kommt man auf die 27 möglichen Ergebnisse des Bundesamtes. In meinen Simulationen kann ich noch viel mehr Varianten erzeugen und testen. Obwohl die Anzahl der möglichen Szenarien riesig ist, zeigt sich durchweg ein Trend: Egal wie optimistisch oder pessimistisch wir die Werte ansetzen, die Zahl der über 65-Jährigen wird deutlich ansteigen. Das wird eine große Herausforderung für die Gesellschaft und Politik.
Wie weit können Sie mit Ihrer Simulation in die Zukunft blicken?
Theoretisch so weit ich will. Das Statistische Bundesamt hat jüngst Vorausberechnungen bis 2060 herausgegeben. Ich finde das zu kurz. Schließlich sind Menschen, die heute geboren werden, dann gerade einmal 41 Jahre alt und somit noch weit vom Renteneintritt entfernt. Ich schaue mir in meiner Simulation darum die Entwicklung bis ins Jahr 2080 an. Wie genau die Simulationen jeweils sind, wissen wir natürlich erst in der Zukunft. Erst dann können wir anhand von Daten sagen: Ja, diese Prognose war realistisch – und für weitere Simulationen daraus lernen.
Was ist Ihre kurzfristige Prognose?
Bei der jetzigen Entwicklung der Gesellschaft, des Arbeitsmarkts und des Bundeshaushalts ist klar, dass die Rentenreserven spätestens im Jahr 2025 aufgebraucht sind. Dann müssen die Rentenbeiträge steigen und die Renten langsamer steigen als die Löhne. Anders ist der Generationenvertrag nicht zu halten.
Und wie lässt sich das Rentenproblem langfristig lösen?
Es gibt viele Hebel, an denen die Politik anpacken kann . So könnte Deutschland zum Beispiel ein attraktiveres Umfeld für Arbeitnehmer aus dem Ausland schaffen, um diese ins Land zu locken. Dann würden auch wieder mehr Menschen ins Rentensystem einzahlen. Das Problem ist aber: Diese Menschen gehen ebenfalls irgendwann in Rente und werden dann zur Belastung für die Staatskasse. Auch eine höhere Geburtenrate hilft gegen den demografischen Wandel, weil sich mit der Zahl der Kinder auch die Zahl der Menschen erhöht, die in Zukunft in die Rentenkasse einzahlen.
Was kann die Politik tun?
Sie kann zum Beispiel familienfreundliche Gesetze erlassen und es so für Frauen attraktiver machen, Kinder zu bekommen. Aktuell sehen wir eine leichte Erhöhung der Geburtenrate in Deutschland. Ob das nur ein kurzer Ausschlag oder erste Erfolge des Elterngelds und der besseren Kinderbetreuung sind, können wir als Wissenschaftler noch nicht sagen. In Schweden gab es nach vergleichbaren Reformen eine ähnliche Entwicklung, die allerdings nicht angehalten hat. Klar ist aber auch: Wenn die Geburtenrate steigt, verursacht das zunächst Kosten für den Staat. Trotzdem könnte Deutschland nur so auf Dauer den demografischen Wandel bremsen oder sogar tendenziell umkehren.