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Ausblick 2015 Müdes Europa gegen starkes Amerika

Der US-Aktienmarkt strotzt vor Kraft. Doch die Party könnte bald vorbei sein. In Europa hat sie noch nicht angefangen. Von Christian Kahler
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Investoren sollten den Blick nach Europa richten
© Ullstein Bild

Christian Kahler ist Chefanlagestratege bei der DZ Bank

Zuletzt herrschte Partystimmung am amerikanischen Aktienmarkt. Der war zwar schon Ende 2013 sehr hoch bewertet; trotzdem haben auch im Anlagejahr 2014 die US-Leitindizes den Rest der Welt erneut in den Schatten gestellt. Mit einem Kursplus von sieben Prozent beim S&P 500 und 14 Prozent beim Nasdaq 100 – bis vor der jüngsten Korrektur des Ölpreises war es sogar noch mehr – werden Erinnerungen an beste Haussejahre wach. Zusätzlich hat auch der US-Dollar 2014 deutlich an Stärke gewonnen, insbesondere die höheren Rentenmarktrenditen und viel wirtschaftliche Langfristfantasie (Stichwort: Fracking) sorgten hier für eine starke Greenback-Nachfrage.

Der europäische Kontinent als Anlagemarkt kommt hingegen in den meisten Prognosen schlecht weg. Europa ist, wie jetzt selbst der Papst sagt, ein „müder“ und „bürokratischer“ Kontinent. Tatsächlich scheinen Reformen hier nur zögerlich und unsystematisch vorangetrieben zu werden, und die wirtschaftliche Entwicklung tritt seit Jahren auf der Stelle. Verlassen kann man sich lediglich auf die EZB und ihren Präsidenten Mario Draghi, der mit den Plänen zum breiten Kauf von Staatsanleihen auch 2015 weiterhin eifrig die Hoffnung der Anleger schürt.

Wegen dieser wirtschaftlichen und politischen Schwäche konnten sich internationale Anleger für Europa bisher nicht begeistern. Kein Wunder also, dass viele Marktbeobachter auch für 2015 auf die Vereinigten Staaten als präferierten Anlagemarkt setzen. Ob das funktionieren wird, ist aus unserer Sicht fraglich. Schließlich hat gerade der jüngste Ölpreisverfall deutlich gemacht, dass vieles, was gestern noch gut war - etwa High Yield-Investitionen im US-Energiebereich - heute schon als schlecht und gefährlich gelten kann.

Die Party vor dem Ende verlassen

Zum amerikanischen Aktienmarkt vertreten wir seit geraumer Zeit eine sehr konträre Meinung: Eine Investition in US-Aktien erscheint uns auf dem aktuellen Kursniveau hochgradig riskant. Das zyklenadjustierte Shiller-KGV liegt mit 27 Punkten um zwei Drittel über der durchschnittlichen Bewertung der vergangenen Jahrzehnte. Nur 1929 und 2000 fiel die Überbewertung noch höher aus und mündete in sehr schmerzhafte Korrekturen. Zusätzlich müssen US-Aktien 2015/16 auch mit zunehmend steigenden Rentenrenditen konkurrieren.

Das heißt nicht unbedingt, dass es in den USA schon im kommenden Jahr zu einem veritablen Crash kommen muss. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Party bei den US-Dividendenwerten in den kommenden 18 bis 24 Monaten dem Ende entgegengeht, ist jedoch gestiegen. Für Anleger rückt damit der Zeitpunkt näher, die Party vor dem Ende mit einem klaren Kopf - und hohen Gewinnen - zu verlassen.

Europa kann überraschen

Während der amerikanische Aktienmarkt derzeit vor Kraft (und Beliebtheit) also nur so strotzt, liegt das Shiller-KGV für europäische Ländermärkte wie Frankreich, Italien, Spanien oder Österreich bei weniger als der Hälfte. Zwischen zehn und zwölf KGV-Einheiten muss hier lediglich für einen Kauf des jeweiligen Leitindex gezahlt werden. Jedoch sind auf der fundamentalen Seite die Perspektiven für europäische Unternehmen nicht so schlecht, wie sie aktuell erscheinen. Das Gewinnwachstum sollte 2015 operativ solide ausfallen, der Spielraum für Dividendenerhöhungen scheint bei den meisten großen Unternehmen vorhanden. Gerade weil Anleger den europäischen Aktienmärkten 2015 nicht besonders viel zutrauen, könnte deren Performance zunächst überraschen, vor allem auch weil der abstürzende Rohölpreis und der schwache Euro zusätzlichen Rückenwind für die Unternehmensgewinne liefern. Zudem bleiben die Zinsen in Europa noch längere Zeit niedrig. Das schafft gute Voraussetzungen für europäische Aktien, auch gegenüber Anleihen.

Nach den vielen profitablen Jahren sollten Anleger ihre Erwartungen mäßigen. Gewinne sollten speziell in den USA realisiert werden. Mit der erhöhten Liquidität entstehen Handlungsspielräume für neue günstige Käufe in Europa, besonders dann, wenn eine starke Korrektur einsetzt.

Investitionen in europäische Unternehmen stehen dann auf der Kaufliste ganz oben. Die EZB dürfte mit ihren geplanten Staatsanleihekäufen dafür sorgen, dass für die Investoren die Tanzmusik in Europa zunächst weiter spielt – wenn auch wohl nicht ganz so beschwingt wie in Amerika in den vergangenen fünf Jahren.

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