Die Parlamentswahl in Indien ist entschieden. Die hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) hat die absolute Mehrheit eingefahren, ihr Spitzenkandidat Narendra Modi wird Premierminister. Sein Wahlsieg schürt im muslimischen Teil der indischen Bevölkerung Ängste. Während Modis Amtszeit als Ministerpräsident des Bundesstaats Gujarat kam es zu schweren Ausschreitungen gegen Muslime, im Wahlkampf ließen sich Vertreter der BJP immer wieder zu antimuslimischen Attacken hinreißen. Menschenrechtsorganisationen fragen sich jetzt, wie groß der Einfluss der Hardliner unter den Hindu-Nationalisten in der neuen Regierung sein wird.
Investmentgesellschaften scheinen sich über diese Frage keine Sorgen zu machen. „Herr Narendra Modi, der beliebte, reformistische und unternehmensfreundliche Ministerpräsident des Bundesstaates Gujarat, wird Premierminister werden“, jubelt etwa der britische Fondsanbieter Barings in einem Kommentar zum Wahlergebnis. Modi hat angekündigt, die lahmende indische Wirtschaft auf Trab zu bringen. Investoren glauben offenbar, dass er es schaffen kann: Der Aktienindex MSCI India ist seit Anfang Mai sprunghaft gestiegen und befindet sich auf einem Allzeithoch.
Die Voraussetzungen für Modi sind gut
Im vergangenen Jahr legte das indische Bruttoinlandsprodukt um 5,9 Prozent zu, im laufenden Jahr rechnet der Internationale Währungsfonds (IWF) mit einem Plus von 5,4 Prozent. Im internationalen Vergleich ist das ein ordentliches Ergebnis, für das einstige Wachstums-Wunderkind Indien gelten aber andere Maßstäbe als für entwickelte Märkte. Nach Ansicht von Ökonomen hat die bisherige Regierung Reformen nicht energisch genug angepackt, indische Unternehmer klagen über Korruption und hohe Bürokratie-Hürden. Darüber hinaus kämpft Indiens Wirtschaft mit einer hohen Inflation. Modi will diese Probleme in den Griff bekommen. Er kann darauf verweisen, dass er bereits als Ministerpräsident von Gujarat wirtschaftliche Erfolge erzielt und Investoren in den Bundesstaat gelockt hat.
Ausgestattet mit der absoluten Mehrheit habe Modi gute Chancen, seine Wahlversprechen einzulösen, urteilt der österreichische Fondsanbieter Raiffeisen Capital Management. Der neue Premier könnte Arbeitsplätze schaffen und in Energie-, Straßen- und Schienennetze investieren. Die Chancen auf das Erreichen dieser Ziele stünden so gut wie nie zuvor. Investoren sollten allerdings Geduld haben: Reformen dieses Ausmaßes ließen sich nicht über Nacht realisieren.
zyklische Aktien stärker im Fokus
Für langfristig orientierte Aktienanleger könnte sich der Einstieg in den indischen Aktienmarkt also trotz der jüngsten Rally noch lohnen. Die Bewertungen liegen in etwa auf dem langfristigen Durchschnitt und sind damit noch nicht zu hoch. Der Fondsanbieter Deutsche Asset & Wealth Management (DeAWM) hat indische Aktien zurzeit übergewichtet, erwartet also weiter steigende Kurse. DeAWM bevorzugt Aktien kleiner und mittelgroßer Unternehmen und achtet vor allem auf positive Gewinnerwartungen. Den Informationstechnologie- und den Gesundheitssektor hat die Gesellschaft derzeit untergewichtet.
Investmentprofis schätzen die Chancen für Anleger in einzelnen Sektoren der indischen Wirtschaft unterschiedlich ein: Im Gegensatz zu den DeAWM-Spezialisten hatte Barings-Manager Ajay Argal in seinem Indien-Aktienfonds Titel aus dem Gesundheitssektor zuletzt übergewichtet. Noch ist unklar, welche Wirtschaftszweige von Modis Wahlsieg besonders stark profitieren werden. Viele Analysten sehen etwa bei Infrastruktur-Unternehmen jetzt interessante Anlagemöglichkeiten. Generell stehen seit Ende der Wahl zyklische Aktien stärker im Fokus der Investoren als defensive Werte.
Noch hat Modi sein neues Amt nicht angetreten, mit der jüngsten Aktienrally hat der Markt in erster Linie Erwartungen eingepreist. Im Wahlkampf hatte der Hindu-Nationalist darum gebeten, 60 Monate Zeit zu bekommen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Für risikofreudige Anleger, die indische Aktien als Beimischung im Portfolio haben, könnte es sich lohnen, diese Zeitspanne abzuwarten. Ausgewählte Einzeltitel und aktiv verwaltete Indien-Fonds dürften in der kommenden Zeit allerdings höhere Renditen bringen als ein Investment in den breiten Markt. In den vergangenen Jahren fuhren Aktienfonds mit Indien-Fokus teilweise hohe Verluste ein. Im laufenden Jahr haben viele der Produkte so stark zugelegt, dass sie die vergangenen Verluste wettgemacht haben – Modi sei Dank.