Interview Kenneth Fisher: „Diese Rally kann noch Jahre laufen“

US-Investor Kenneth Fisher
US-Investor Kenneth Fisher
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Seine Analysen genießen Kultstatus: Kenneth Fisher rechnet damit, dass die Kurse noch eine Weile steigen. Für die Deutschen aber hat der US-Investor einen dringenden Rat

Kenneth Fisher studierte zunächst Forstwirtschaft, folgte dann aber seinem Vater, dem Investor Philip Fisher: 1979 gründete er seine eigene Vermögensverwaltung, Fisher Investments. Heute betreut die Firma rund 100 Mrd. Dollar weltweit, er selbst ist mit seinen „Forbes“-Kolumnen und Büchern einer der einflussreichsten Aktienkommentatoren

Capital: Herr Fisher, der Aufschwung an den Börsen feiert bald zehnten Geburtstag. Wird Ihnen da nicht langsam mulmig?

KENNETH FISHER: Nein, wieso sollte es?

Weil nach zehn Jahren ein Einbruch überfällig ist.

Das macht mich nicht nervös. Schon die Länge des Zyklus ist Definitionssache. Von Mitte 2015 bis Anfang 2016 gingen die Kurse um etwa ein Fünftel zurück. Ist das also alles ein durchgehender Aufschwung? Egal, das sind Zahlenspiele. Generell gilt: Nur weil die Rally schon lange läuft, heißt das nicht, dass sie bald enden muss. Gemessen an früheren Zyklen vollzieht sich der Aufschwung sogar eher langsam. Sowohl die globale Konjunktur als auch die Aktienmärkte haben sich seit der Finanzkrise weniger dynamisch entwickelt als in früheren Aufschwüngen. Da ist noch viel Luft.

Aber für die Konjunktur und die Börsen wird es schwieriger: Die Frühindikatoren schwächen sich ab, die US-Notenbank erhöht die Zinsen, hinzu kommen Sorgen wegen eines Handelskonflikts.

Sehen Sie – das ist doch genau der Punkt. Solange sich die halbe Welt Sorgen macht, was alles schiefgehen könnte, kann diese Rally noch Jahre laufen. Einer der simpelsten und klügsten Sätze aller Zeiten kommt von John Templeton, dem Gründer der Fondsgesellschaft: „Bullenmärkte werden im Pessimismus geboren, wachsen durch Zweifel, reifen im Optimismus und sterben in der Euphorie.“ Von Euphorie ist nichts zu sehen. Stattdessen jammern alle, was alles schiefgehen kann.

Konkreter bitte: Wie weit trägt der Markt die Kurse noch – und worauf sollte man jetzt setzen?

Diese Kursrally verläuft nahezu lehrbuchhaft: Einem initialen starken Anstieg im ersten Drittel, in den ersten drei, vier Jahren, folgte eine Phase der Seitwärtsbewegung. Nun haben wir das letzte Drittel erreicht, in dem die Kurse wieder steiler klettern. Und das getragen von eher wenigen Werten, meist aus dem Technologiebereich. Wie lange das noch so läuft? Ich denke, bis 2021 oder 2022 kann das noch gehen. 13 bis 15 Jahre mit steigenden Kursen sind keineswegs untypisch.

Also sollte man jetzt Amazon, Facebook und Co. kaufen?

Diese Werte sind auf alle Fälle sinnvoll, wenn man in Zyklen denkt und aktiv ist. Aber ich sage nicht, dass dies für jeden Investor gilt. Jedenfalls ist die Entwicklung typisch: Den Leuten gehen die Ideen aus, was man noch kaufen soll, also kaufen sie, was schon gut gelaufen ist. Ich bin generell optimistisch beim Technologie- und Gesundheitssektor sowie bei Luxusgütern. Was übrigens umgekehrt heißt, dass für den Deutschen Aktienindex schwierigere Jahre kommen könnten. In seiner Zusammensetzung mit vielen Industrie- und Autowerten und wenig Technologie und Gesundheit wird es zum Ende einer Hausse und dann in der nächsten Krise vermutlich schwierig.

Könnte der drohende Handelskrieg die Stimmung nicht kippen?

Nein, wie ich bereits sagte: Die Tatsache, dass alle darüber reden, sorgt dafür, dass die Ängste längst in den Kursen sind. Ich fürchte, dass sowohl hinsichtlich der Rolle von Trump als auch der Zolldrohungen viele Missverständnisse kursieren.

Als US-Amerikaner können Sie uns ja sicher aufklären.

Erstens ist das, was Trump betreibt, reine Symbolpolitik. Das gilt für seine Aktivitäten auf Twitter ebenso wie für seine ganzen politischen Ankündigungen. Beides macht die Leute – vor allem seine Kritiker – völlig verrückt. Aber die institutionelle Position des US-Präsidenten ist viel schwächer. Genau deshalb flüchtet er ja in die Symbolpolitik der harten Worte, anstatt zu machen. Zweitens: Nehmen wir an, wir enden tatsächlich bei jenen 160 Mrd. Dollar an weltweiten Zöllen, die derzeit als Maximaldrohung herumgereicht werden. Das sind gerade einmal 0,2 Prozent der Weltwirtschaft. Meinen Sie, das bewegt die Gewinne signifikant? Ich nicht. Hinzu kommt drittens: Die Zölle werden in der Praxis niemals in der Höhe erhoben werden, weil sie durch ein globales Reimportsystem umgangen werden. Dann werden Güter von Sojabohnen bis zum Auto zwischen den USA, Europa und China hin und her gehandelt. Die Zölle würden wie eine kleine Steuer wirken, mehr nicht.

Sie reden das Problem klein.

Nein. Die ganze Sache hat durchaus Implikationen für Unternehmen. Was lange ein Vorteil war – dezentrale Produktionen weltweit aus Kostengründen –, kann nun zum Nachteil werden, weil Lieferketten länger oder teurer werden. Aber die Folgen sind Spekulation.

Sie haben gesagt, mit dem Dax fährt man in den kommenden Jahren womöglich nicht so gut. Was raten Sie deutschen Anlegern?

Ihr Deutschen habt ein merkwürdiges Verhältnis zum Thema Schulden und Zinsen. Das solltet ihr dringend überdenken. Der Bund reduziert den ohnehin schon niedrigen Schuldenstand weiter. Das ist eine fürchterliche Idee. Kein Land hat je davon profitiert, lange Überschüsse zu fahren. Keines! Diese Schuldenphobie ist gefährlich, weil Deutschland ein Land ist, das Investitionen gebrauchen kann. Diese Mentalität spiegelt sich bei Anlegern, die eine starke Affinität zu Zinsen haben, also zu Einlagen und Anleihen.

Womit deutsche Anleger ganz gut durch die Krise gekommen sind.

Über fünf oder zehn Jahre mag das sein. Da sind Aktien viel rentabler als Anleihen, aber Anleihen etwas weniger volatil. Bei längeren Zeiträumen wird es aber interessant: Da wächst die Renditeüberlegenheit von Aktien weiter – aber das Risiko der Anleihen steigt. Über einen Zeitraum von 20 Jahren sind Anleihen volatiler als Aktien, über 30 Jahre mehr als doppelt so volatil. Wenn Sie über lange Zeit jedes Risiko aussperren aus Ihrer Geldanlage, haben Sie eine Quasi-Verlustgarantie.

Aktien sind alles andere als günstig bewertet, gerade Technologie- und Wachstumswerte wie Amazon oder Tesla. Sorgt Sie das nicht?

Nein. Bewertungen waren noch nie ein guter Indikator für die Renditen kommender Jahre. Exzellente Wachstumsunternehmen sind nie Schnäppchen. Das gilt allerdings auch umgekehrt: Niedrige Bewertungen und hohe Dividenden machen eine Aktie nicht kaufenswert. Es kommt immer auf die Phase des Börsenzyklus an. Aktuell wäre ich da etwa mit den typischen Dividendenstars vorsichtig. Deren Stunde schlägt üblicherweise zum Tiefpunkt einer Baisse. Aber die Situation, in der das gefragt ist, dürfte eher noch Jahre als Monate entfernt sein.

Herr Fisher, ist das nicht alles der typische Zweckoptimismus des Vermögensverwalters?

Nein. Zum einen bin ich bereit, sofort vorsichtig zu werden, wenn sich Zeichen von Euphorie breitmachen. Aber von der sehe ich nichts – Sie etwa? Zum anderen habe ich die Statistik auf meiner Seite. Wussten Sie übrigens, dass wir uns in den historisch stärksten Börsenquartalen der Geschichte befinden? In keiner anderen Phase hat der US-Aktienmarkt so viele Plus-Quartale wie typischerweise rund um die US-Halbzeitwahlen.

Das Interview ist in Capital 10/2018 erschienen. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop , wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes , GooglePlay und Amazon

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