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Analyse Das Schweizer Rätsel

Die Schweizerische Notenbank gibt den Mindestkurs für den Franken auf – und an den Märkten geht es rund. Eine Analyse. Von Christian Kirchner
Die Schweizer Aktienindex knickte nach der Entscheidung ein
Die Schweizer Aktienindex knickte nach der Entscheidung ein
© Imago Sportfotodienst
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Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital. Er schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Geldanlagethemen. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen

Frankfurt, der Konferenzbereich im Hilton Hotel, einen buchstäblichen Steinwurf von der Frankfurter Wertpapierbörse entfernt: Gerade noch geht es auf der Globalen Strategiekonferenz von Goldman Sachs um die Arbeitslosenquote in den USA, um den Zeitpunkt der Zinswende. Die ersten dämmern ein wenig weg nach dem frühen Start um 7:15 Uhr - da ploppt eine Nachricht auf den Smartphones der rund 250 anwesenden Investmentbanker, Fondsmanager und Privatbanker auf: Die Schweizerische Notenbank (SNB) hebt ihren 2011 eingeführten Mindestkurs für den Franken auf. Oder anders formuliert: Dass eine der glaubwürdigsten Notenbanken der Welt gerade umgefallen ist.

Manche starren minutenlang einfach nur auf ihre Smartphones, auf denen der Euro zeitweise ein Viertel an Wert zum Franken verliert, manche ziehen sich noch im Rauslaufen an, manche tuscheln nur, vor der Tür wird hektisch telefoniert. Der sichtbar völlig überrumpelte Chefdevisenstratege gibt eine improvisierte Schnelleinschätzung am Mikrofon.

Doch was genau ist überhaupt passiert?

Grundsätzlich haben Notenbanken stets auch die eigene Währung im Blick, deren Kurs sie direkt oder indirekt beeinflussen wollen. Denn die Währung ist zentral sowohl für die Wirtschaft als auch die Inflationsentwicklung. Entweder beeinflussen sie die eigene Währung mit direkten Käufen und Verkäufen oder aber mit Worten.

Derzeit hat die Europäische Zentralbank etwa ein großes Interesse an einem schwachen Euro zu anderen Währungen wie dem US-Dollar. Denn ein schwacher Euro verbessert die Wettbewerbsfähigkeit Europas im internationalen Wettbewerb und heizt zugleich die Teuerung an. Die russische Zentralbank hingegen hat ein Interesse an einem starken Rubel. Denn der verliert fortwährend an Wert, was die Rückzahlung von Verbindlichkeiten gefährdet.

Gift für die heimische Exportindustrie

Die Schweizerische Notenbank sorgt sich wiederum schon lange über die Stärke des Franken. Noch 2007 musste man für einen Euro 1,65 Franken bezahlen. 2010 dann nur noch 1,35, 2011 schließlich weniger als 1,10 Franken. Eine solche Aufwertung ist Gift für die heimische Exportindustrie und den Tourismus und kann für eine markante Deflation sorgen – schließlich wird der Franken immer wertvoller für seine Besitzer. Also legte die Schweizerische Notenbank 2011 einen Mindestkurs fest: 1,20 Franken je Euro, eine stärkere Aufwertung werde sie nicht zulassen.

Plastisch formuliert bedeutete dieser Mindestkurs Folgendes: Die Notenbank kündigte an, alle Euros aufzukaufen, die für 1,20 Franken angeboten werden. Ein Kurs von 1,19 Franken je Euro oder darunter ist unter diesem Versprechen nicht möglich, schließlich wird die Notenbank einem verkaufswilligen Halter von Euros stets 1,20 Franken bezahlen.

Es ist das spiegelbildliche Manöver zu jenen Maßnahmen von Notenbanken, deren Währung unter Druck gerät wie etwa das britische Pfund 1992 oder des russischen Rubel derzeit: Um eine Währung zu stützen, kauft man sie - mit vorhandenen Reserven. Um sie zu drücken, verkauft man sie – mit der Notenpresse. Und hier liegt der entscheidende Punkt: Eine Notenbank kann eine taumelnde Währung nur in dem Maße stützen, wie sie selbst Reserven hat. Ein Blick in die Bestände der Notenbank offenbart, wie weit sie gehen kann – und wann sie am Ende ist und die Währung aufgeben muss.

Ein Mindestkurs kann aber quasi unbegrenzt eingehalten werden, weil eine Notenbank selbst theoretisch unlimitiert Geld drucken kann, mit dem die Nachfrage nach der eigenen Währung bedient wird. Entscheidend ist also, dass eine Notenbank beim Aufrufen eines Mindestkurses glaubwürdig ist, damit sie niemand herausfordert, wie ernst sie es meint, notfalls in großem Ausmaße Geld zu drucken.

Es ist wie mit zwei Hunden im Park: Wer nur laut genug kläfft und die Zähne fletscht und sich aufpumpt, schafft es damit womöglich, den jeweiligen Kontrahenten so zu beeindrucken, dass man gar nicht erst beißen muss, um die Hackordnung klar zu stellen.

Erklärung wenig glaubwürdig

Warum also hat die bislang höchst glaubwürdige Schweizerische Notenbank den Mindestkurs heute aufgehoben, sich gewissermaßen, um im Bild zu bleiben, winselnd getrollt – und damit nicht nur ihre eigene Glaubwürdigkeit in Frage gestellt, sondern auch die Schweizerische Wirtschaft der Gefahr einer Rezession ausgesetzt? Schließlich wird der binnen Minuten um ein Viertel aufgewertete Franken der Exportindustrie und dem Tourismus einen heftigen Schlag versetzen.

Auf der Konferenz in Frankfurt gab es dazu eine Reihe von Erklärungen, denen die meisten Protagonisten vorausschickten, dass die offizielle Begründung der Notenbank wenig glaubwürdig sei. Die Notenbank erklärte, die Unternehmen könnten nun besser mit einem stärkeren Franken umgehen als noch 2011. Ferner sei der Mindestkurs aufgrund der unterschiedlichen Geldpolitik in den USA und der Eurozone nicht mehr sinnvoll und der Aufwertungsdruck nicht mehr so hoch.

Gerade am letzten Punkt hegen Experten Zweifel. Denn die einfachste und schlüssigste Begründung lautet: Die Schweizerische Notenbank bekam schlicht Angst vor der eigenen Courage. Um den Mindestkurs zum Euro zu verteidigen, muss sie permanent Euros aufkaufen. Zwar wies die SNB in ihrem Vorabbericht zum Jahr 2014 nicht weniger als 38 Mrd. Franken Gewinn aus, der sich aus Währungsgewinnen, Zins- und Dividendenerträgen und Kursgewinnen zusammensetzt – schließlich kauft die SNB auch massenhaft Euro-Staatsanleihen, die im Zuge des Zinsrückgangs stark an Wert gewannen.

Der Preis des Mindestkurses ist aber, dass die sich auftürmenden Euros in dem Moment an Wert verlieren, an dem die Notenbank den Mindestkurs aufhebt und der Franken schlagartig aufwertet – also genau das, was heute passiert ist. Und je größer der Euro-Bestand ist – derzeit sind es in heutigen Kursen geschätzt rund 160 Mrd. Franken – desto größer die Risiken.

Das Rad wurde zu groß für die Schweizerische Notenbank

Doch warum lässt die SNB eine Strategie fallen, die nur dann wirkungsvoll ist, wenn sie mit aller Konsequenz durchgehalten wird? Dazu gab es einige Erklärungen, die sich teilweise ergänzen: Profis vermuten, dass die Notenbank in den vergangenen Tagen erheblich größere Summen zur Verteidigung des Mindestkurses aufwenden musste, als sie selbst kalkulierte. Denn der Hund, der die Zähne fletscht und die Herausforderung sucht, ist nicht irgendwer. Es ist womöglich EZB-Chef Mario Draghi, der zwar kein Interesse daran hat, sich mit der SNB anzulegen, aber andererseits auch keine Rücksicht auf Schweizerische Befindlichkeiten nehmen kann, wenn es darum geht, den Euro zu schwächen, die Kreditvergabe anzukurbeln und die Inflation anzuheizen.

Zum Ende des Mindestkurses der SNB hätte laut einer plausiblen Theorie der Profis vor allem Spekulationen beigetragen, das Anleihenaufkaufprogramm der Europäischen Zentralbank sei nicht nur beschlossene Sache, sondern werde womöglich in der kommenden Woche größer ausfallen als vom Markt erwartet. Schließlich hat Draghi die Märkte schon im Sommer auf ein Volumen in der Größenordnung zwischen 500 und 1000 Mrd. Euro vorbereitet mit dem Ziel, den Euro weiter zu schwächen und die Kreditvergabe wie Inflationserwartungen anzukurbeln. Und der Euro fällt bereits seit Wochen zum US-Dollar.

Je schwächer aber der Euro, desto größer werden die Summen, die die kleine SNB bezogen auf ihre relativ kleine Volkswirtschaft aufwenden muss, um den Mindestkurs zu halten. Zur Einordnung: Setzt man die Bilanzsummen der EZB und SNB in Bezug auf die Einwohnerzahl, entfallen auf jeden Bewohner der Eurozone rund 6600 Euro Bilanzsumme, auf jeden Schweizer aber rund 62.000 Euro und alleine knapp 20.000 Euro Euro-Reserven pro Schweizer. Kurz: Das Rad wird zu groß, an dem die Notenbank dreht in einem Umfeld, in der kein Ende des Aufwertungsdrucks auf den Franken absehbar ist.

Hinzu kommt, dass sich die Schweizerische Notenbank in den vergangenen Jahren häufig kritisch über die stark gestiegen Immobilienpreise in der Schweiz geäußert hat, wie einige Teilnehmer der Konferenz anmerkten. Schweizer Immobilien fungieren dabei für Investoren als eine Art Ersatzwährung für den Franken. Das birgt als unerwünschter Seiteneffekt der Währungsbindung einerseits die Gefahr potenzieller Spekulationsblasen, die nicht im Interesse der Notenbank sein können. Andererseits sorgen die steigenden Immobilien- und damit auch Mietpreise auch für Verdruss in Teilen der Bevölkerung, die sich in der Schweiz womöglich mit einem Referendum gegen die Notenbankpolitik wenden könnte.

Einbußen für den Euro

Welche Folgen hat die Entscheidung nun? Die Glaubwürdigkeit der Schweizerischen Notenbank hat einen Schlag erhalten, da sie die Entscheidung nicht aus einer Position der Stärke heraus getroffen hat – der Euro steht schließlich seit Wochen unter Abwertungsdruck. Das könnte zu Kollateralschäden auch bei anderen Notenbanken führen, die bislang keinen so tadellosen Ruf wie die SNB genossen.

Zum Franken büßte der Euro bis Donnerstagnachmittag rund zwölf Prozent ein.

Mit einem Kursabschlag von rund neun Prozent trug der Schweizer Aktienindex SMI der Herausforderung der Schweizer Wirtschaft Rechnung, mit der Frankenstärke umzugehen. Aus Sicht von Investoren aus der Eurozone - also etwa einem deutschen Aktionär, der eine Aktie von Nestlé hält – verlief der Tag indes sogar positiv, in Euro gerechnet legte etwa die Nestlé-Aktie heute knapp sechs Prozent, der Schweizerische Aktienmarkt insgesamt rund drei Prozent zu.

Für den Euro und Euro-Staatsanleihen fällt ein großer Käufer künftig aus – was sich in weiteren Verlusten des Euro zum US-Dollar niederschlug. Ein Euro kostete am späten Donnerstag 1,1590 nach noch knapp 1,18 US-Dollar am Vortag. Auch Bundesanleihen verloren zunächst an Wert, kletterten aber im Tagesverlauf auf neue Rekordtiefs, eine zehnjährige Bundesanleihe bringt nur noch 0,42 Prozent Rendite ein.

Schwere Zeiten kommen auf jene Akteure zu, die einen Kredit in Schweizer Franken aufgenommen haben und sich darauf verlassen haben, dass der Franken nicht aufwerten werde – die Rückzahlung des Kredits wird nun deutlich teurer.

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