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Peter Seppelfricke Börsennotierte Konzerne: Wie abhängig sind sie vom Standort Deutschland?

Roboter fertigen im Werk Emden der Volkswagen AG die Karosserie für ein vollelektrisches Fahrzeug vom Typ Volkswagen ID.4
Roboter fertigen im VW-Werk Emden die Karosserie für ein E-Auto vom Typ Volkswagen ID.4
© Hauke-Christian Dittrich/dpa / Picture Alliance
Als Absatzmarkt spielt Deutschland nur noch eine untergeordnete Rolle, als Produktionsstandort bleibt Deutschland für Unternehmen mit hohen Exit-Barrieren wichtig. Dies zeigt eine Auswertung der Segmentberichte börsennotierter Unternehmen

Deutschland ist (wirtschaftlich) der kranke Mann Europas. Man muss befürchten, dass die Krankheit chronisch wird und die Beschwerden in den nächsten Jahren sogar noch größer werden. Dafür gibt es zahlreiche Ursachen. Die Hauptursache wird sein, dass die demographische Keule nun zuschlägt.

Die Zahl der Erwerbspersonen wird sich (ohne Einwanderung) von heute etwa 45,7 Millionen auf etwa 27 Millionen im Jahr 2060 verringern. Der Fachkräftemangel wird sich deutlich verschärfen und mit weniger Mitarbeitern – die zudem regelmäßig auch noch weniger arbeiten wollen (Stichwort: Viertagewoche) – können schlicht weniger Güter und Dienstleistungen produziert werden.

Man darf skeptisch sein, dass diese Entwicklung durch die Zuwanderung von qualifizierten Menschen aufgefangen werden kann. Für gut gebildete ausländische Fachkräfte wird Deutschland aufgrund fehlender sozialer Integration, Wohnungsmangel und hoher Steuern zunehmend unattraktiv. Die umfangreichen Sozialleistungen locken eher wenig qualifizierte Menschen an, die wenig zur Wertschöpfung beitragen.

Heftige Generationenkonflikte

In Deutschland kann deshalb in den kommenden Jahrzehnten bestenfalls mit einer wirtschaftlichen Stagnation gerechnet werden. Das schrumpfende Arbeitsvolumen wird in etwa durch eine steigende Produktivität kompensiert werden (siehe Capital-Kolumne). In Zeiten einer wirtschaftlichen Stagnation werden sich die gesellschaftlichen und strukturellen Probleme Deutschlands eher noch verschärfen. Die junge Bevölkerung wird kaum willens und in der Lage sein, die zahlreichen Menschen im Pensions- und Rentenalter angemessen durchzufüttern. Heftige Generationenkonflikte und zunehmende Spaltungen in der Gesellschaft sind absehbar.

Aufgrund der wachsenden Transferleistungen an die nicht-arbeitende Bevölkerung (Rentner, Pensionäre, arbeitsunwillige Deutsche, arbeitslose Migranten etc.) wird in Zukunft noch weniger Geld für Investitionen in die Zukunft Deutschlands zur Verfügung stehen. Das Bildungsniveau – der wichtigste „Rohstoff“ für unser Land – der deutschen Schüler ist schon jetzt Mittelmaß. Aufgrund des zunehmenden Lehrermangels und der mangelnden Deutschkenntnisse vieler Schüler dürften sich die Fähigkeiten der Schüler in den kommenden Jahren weiter eintrüben. Auch bei der physischen und digitalen Infrastruktur wird Deutschland vermutlich weiter ins Hintertreffen geraten. Der Abwärtssog ist in großen Teilen des Ruhrgebietes und in vielen Stadtteilen deutscher Großstädte schon erkennbar.

Peter Seppelfricke: Börsennotierte Konzerne: Wie abhängig sind sie vom Standort Deutschland?

Die gute Nachricht für Anleger: Die großen börsennotierten Konzerne in Deutschland sind kaum mehr auf den Absatz in ihrem Heimatmarkt angewiesen. In den Segmentberichten der Unternehmen offenbart sich, dass sich die Anteile der Umsätze in Deutschland bei den großen Konzernen im Dax in den vergangenen 20 Jahren in etwa halbiert haben und im Mittel aktuell nur noch 15,4 Prozent betragen. Bei den kleineren Unternehmen im SDax ist die Abhängigkeit vom Heimatmarkt jedoch noch recht groß. Im Mittel erwirtschaften die Unternehmen etwa 36 Prozent ihrer Umsätze in Deutschland (siehe Abbildung).

Produktionsverlagerung stark branchenabhängig

Die schlechte Nachricht für Anleger: Viele Unternehmen müssen dauerhaft die Nachteile des Standortes Deutschland (stagnierende Absatzmärkte, hohe Lohnkosten, hohe Energiepreise, Fachkräftemangel, überbordende Bürokratie etc.) hinnehmen. Insbesondere den kleineren Unternehmen im MDax und SDax fällt es schwer, Teile ihrer Produktionsmittel (Assets) ins Ausland zu verlagern. Gut die Hälfte der Wertschöpfung erfolgt noch in Deutschland. Bei den großen Konzernen im Dax ist die Abhängigkeit vom heimischen Produktionsstandort deutlich geringer ausgeprägt: Nur noch im Mittel 29 Prozent der Assets sind hierzulande investiert.

Es ist bemerkenswert, dass die Möglichkeiten zur Verlagerung der Produktion auch stark von der Branche abhängen. Komplexe Produktionsabläufe, eingespielte Lieferketten und viele individuell ausgebildete Fachkräfte machen es häufig schwer, den Standort Deutschland aufzugeben (Exit-Barrieren). So halten die großen deutschen Autohersteller noch etwa 50 Prozent ihrer Assets im Heimatmarkt, obwohl sie hierzulande nur noch etwa 10 bis 20 Prozent der Umsätze erwirtschaften.

Dienstleistungsunternehmen wie SAP oder Pharmakonzerne wie Merck, Fresenius oder Qiagen fallen die Verlagerungen dagegen deutlich einfacher. Diese Unternehmen sind weniger auf langfristige Beziehungen zu Lieferanten angewiesen und sie verfügen über ein vergleichsweise geringes spezifisches Vermögen (geringe sunk costs). Diese Unternehmen konnten folglich in den vergangenen Jahren ihr Vermögen am Heimatmarkt in etwa halbieren.

Auch Unternehmen wie der Deutschen Telekom, Continental oder den Siemens Aktiengesellschaften sind beindruckende Internationalisierungsstrategien gelungen. Die Deutsche Telekom ist nach der Übernahme von T-Mobile US heute schwerpunktmäßig ein amerikanischer Anbieter von Mobilfunklösungen, Continental fördert traditionell die international günstigsten Produktionsstätten und Siemens nutzt schon seit Jahrzehnten alle Möglichkeiten der Globalisierung. Diese Unternehmen können den wachsenden Problemen am Heimatmarkt Deutschland vergleichsweise gelassen entgegensehen.

Peter Seppelfricke: Börsennotierte Konzerne: Wie abhängig sind sie vom Standort Deutschland?

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