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Geldanlage Anleger fassen wieder Vertrauen

Trotz der vielen Krisen bessert sich die Stimmung an den Börsen. Klingt absurd, ist aber eigentlich ganz logisch. Von Nadine Oberhuber
An den Aktienmärkten ging es zuletzt wieder aufwärts
An den Aktienmärkten ging es zuletzt wieder aufwärts
© Getty Images
Geldanlage: Anleger fassen wieder Vertrauen

Nadine Oberhuber ist Wirtschafts- und Finanzjournalistin. Sie schreibt auf Capital.de über Geldanlagethemen

Wenn jemand Angst vor allem hat, was Veränderungen bedeuten kann und was er nicht sicher einzuschätzen weiß, spricht man davon, dass er unter Xenophobie leidet. Er neigt dann dazu, Situationen zu meiden, die ihn Ungewissheiten aussetzen. Xenophobiker treffen keine fremden Leute mehr, vielleicht sogar nicht mehr ihre Freunde. Sie begeben sich nicht auf Dienstreisen oder Urlaube und finden Ausreden, um lieber nicht mehr am Leben teilzunehmen. Stattdessen warten sie die Tage ab und leiden darunter. So ähnlich machten es die Börsianer zuletzt: Sie zogen sich nach und nach aus dem Aktienmarkt zurück, kauften keine Aktien mehr, weder von guten Bekannten noch von potenziell neuen Freunden. Und sie schwärmten auch nicht mehr mit ihrem Kapital in fremde Länder aus. Anleger überall auf der Welt warten ab. Es scheint als leide die Börsengemeinde unter kollektiver Veränderungsangst wegen der Krisen.

Davon haben wir nämlich genug: Amerika hat die Leitzinsen angehoben und versetzt dadurch die Anleger in Aufregung. Denn nun bangen alle, ob wegen des Dollar-Anstiegs wohl auch die schwächeren Länder der Weltwirtschaft überleben werden – die Schwellenländer nämlich, deren Währungen dadurch drastisch unter Druck geraten. Ebenso wie ihre Staatshaushalte durch teuere Rohstoffimporte. Das billige Öl tut sein Übriges, denn es gefährdet den Fortbestand der Fracking-Industrie, mit der nun milliardenschwere Unternehmenskredite auf der Kippe stehen. Russland droht mit einer Eskalation des politischen Konflikts zwischen Krim und Arabien. China stottert als Lokomotive der Weltwirtschaft und niemand weiß wie arg. Und Europa diskutiert erneut über den Zerfall der gemeinsamen Währung, weil die Briten aus dem Euro austreten könnten, wenn sie denn wollten. An Krisen sind wir reich.

Doch das sind wir schon seit geraumer Zeit. Und vielleicht ist das der Grund, weswegen die Stimmung langsam kippt – ins Positive nämlich. Wenn auch nur ganz zaghaft. Zumindest deuten einige Barometer an den Börsen darauf hin, dass sich die Anlegerstimmung nach knapp einem Jahr des Kurssturzes wieder aufhellt. Seit April 2015 bröckelten die Börsenkurse, der Dax hatte zwischenzeitlich knapp 30 Prozent eingebüßt von mehr als 12.000 auf unter 9000 Punkten. Nach der Rallye vergangener Woche liegt er nur noch 22 Prozent hinter seinem Höchststand vom April 2015, denn nun steigt der Index wieder und kratzt sogar schon fast an der 10.000-er Marke.

Der Mensch ist ein "struktureller Optimist"

Auch die Profiinvestoren zeigten sich zuletzt zuversichtlicher, was ihre Erwartungen betrifft. Laut einer Umfrage der Deutschen Börse sind 50 Prozent der Großinvestoren bereits wieder in Bullenstimmung, glauben also an einen neuen Aufstieg. Die Bären machen nur noch 28 Prozent aus, der Rest ist unentschlossen. Zu den Privatanlegern ist der Optimismus laut Umfrage auch schon vorgedrungen. Zwar notiert der Euwax Sentiment Index, der die Stimmung der Privatanleger misst, nach wie vor im Minus, doch in Umfragen zeigen sich die Privaten sogar noch positiver als die Profis. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, wann sich das in den Kursen niederschlägt.

Doch warum steigt die Stimmung, wo die meisten Krisen doch bei weitem noch nicht behoben oder bewältigt sind? Weil der Mensch für das Leben in der Dauerkrise einfach nicht gemacht ist, das hält er nicht aus. Die meisten von uns legen sich deshalb nach einer Weile der Angst und der Schreckstarre eine ganz pragmatische Haltung zu, die Soziologen den „strukturellen Optimismus“ nennen. Die Kölner kennen ihn unter dem Satz: „Et hätt noch immer jot jejange“ und diese Einstellung ist auch recht gesund. Der Mensch greift vor allem gern auf sie zurück, wenn in der Zwischenzeit im Grunde nichts ganz Dramatisches passiert ist. Genauso ist es derzeit.

Denn verändert hat sich trotz der Ängste eigentlich nichts: China wirtschaftet weiter, noch läuft es auch in den anderen Schwellenländern rund, und die EU besteht fort wie gewohnt –mit den Briten. Und selbst wenn es nun Veränderungen gäbe, würden wir die höchstwahrscheinlich auch überleben, rein wirtschaftlich betrachtet. Deshalb fragen sich viele: Was hat uns in den vergangenen zwölf Monaten so nachhaltig verunsichert? Waren die Sorgen berechtigt? Große Vermögensverwalter formulieren es so: Wir ließen uns zuletzt weniger von den Fakten leiten als vielmehr von der vagen Angst vor dem Neuen. Denn plötzlich veränderte sich die Welt und in unserer Wahrnehmung tauchten damit überall neue potenzielle Krisenherde auf. Rein faktisch aber ist die Zinswende in den USA nichts weiter als eine Art Rückkehr zur Normalität. Anleger aber fragten: Verkraftet die Welt überhaupt noch diesen Normalzustand mit höheren Zinsen und stärkeren Dollarkursen? Einige Staaten vielleicht nicht, die extrem verschuldet und rohstoffimportabhängig sind, davor haben Volkswirte von Anfang an gewarnt. Doch versagt man deshalb allen anderen die Chance auf mehr Normalität?

Guter Zeitpunkt für den Einstieg

Auch die Angst vor einer Finanzkrise 2.0 ist noch groß: Sie könnte ausbrechen, wenn anhaltend niedrige Ölpreise die Fracking-Industrie zum Implodieren brächten, lautete das Szenario. Inzwischen haben Analysten errechnet, dass diese Energieunternehmen nur 16 Prozent der gesamten High-Yield-Unternehmensanleihen ausmachen. Ist das wirklich genug, um den gesamten Kreditmarkt zum Einsturz zu bringen? Und vor lauter Angst um den Brexit, also dem EU-Austritt der Briten, vergaßen viele zu fragen: Wie stark profitieren die Briten eigentlich von der Europäischen Union und können sie sich angesichts dessen den Austritt wirklich leisten? Kurzum: Wir haben nicht die Fakten gesehen, sondern nur die Risiken. Das ist verständlich in Zeiten, in denen sich alles in rasendem Tempo verändert und deshalb alles wie eine permanente Bedrohung wirkt. Und es ist menschlich, schließlich wissen wir auch: Die Welt funktioniert nicht rational, auch wenn wir uns das alle wünschten. 80 Prozent von dem, was wir erleben, ist Psychologie – das gilt für die Wirtschaft, die Märkte, und erst recht für die Politik und das Soziale.

Das heißt aber auch: Wir haben es letztlich selbst in der Hand, ob uns die neuen Gegebenheiten negativ beeinflussen oder nicht. Psychologen und Pädagogen wissen, dass Ängste zwar grundsätzlich einen Zweck erfüllen, doch machen sie uns handlungsunfähig, weil wir nur noch die ständige Bedrohung spüren, dann gehören sie überwunden. Das übt man schon bei Kindern, indem man sie gezielt machen lässt, wovor sie Angst haben, damit sie sehen: Es geht doch! Genau deshalb gehen Investoren nun wieder ins Risiko. Und auch Privatanleger sollten sich wieder den Märkten stellen, sofern sie nicht ohnehin dauerhaft investiert waren.

Wer sein Aktiendepot aufstocken will, sollte darüber nachdenken, das jetzt zu tun, so lange die Kurse noch unter 10.000 liegen. Schließlich sagen die Statistiken: Selten dauerte eine Baisse länger, als sie es momentan schon tut, also länger als rund zwölf Monate. Und statistisch gesehen betragen die durchschnittlichen Kursverluste in einer Baisse 35 Prozent, in der Größenordnung haben wir sie erlebt. Daher spricht vieles dafür, dass demnächst nicht nur die Stimmung nach oben dreht, sondern auch die Kurse. Und es wäre doch blöd, aus Angst so lange zu warten, bis sich eine neue Rallye eindeutig ankündigt und wieder alle in den Markt geprescht sind – und sich dann bei 11.000 oder 12.000 Punkten ängstlich zu fragen: Wie lange hält der Aufwärtsdrall noch an, oder bin ich nun schon zu spät?

Skeptikern sei empfohlen: Wagen Sie wenigstens einen Sparplan. Denn selbst wenn die Kurse demnächst wieder stürzen, nutzen sie die fallenden Preise, weil Sie dann mehr Papiere billiger zukaufen.

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