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US-Wahl Hauptsache keine Wahlen

Ein Mann in Hongkong schaut sich auf einem Großbildschirm ein Statement von Donald Trump an
Ein Mann in Hongkong schaut sich auf einem Großbildschirm ein Statement von Donald Trump an
© IMAGO / ZUMA Wire
Wer der nächste US-Präsident ist, scheint Peking nicht so zu interessieren. Wichtiger ist der Führung die Systemfrage. Sie nutzt das Wahl-Drama, um die USA als Land im Verfall und sich selbst als Hort der Stabilität darzustellen

Still war es in den vergangenen Tagen in China - zumindest, was die Wahlen in den USA betrifft. Den chinesischen Staatsmedien war das Thema meist eine Meldung auf den weniger wichtigen Plätzen wert. Erst am Freitag widmete die Global Times, als nationalistisches Sprachrohr der Regierung bekannt, dem Wahlkampf einen Leitartikel. Der beginnt als Kritik an den Umfragen, die einen haushohen Sieg Bidens vorhergesagt hatten und endet mit einem Rundumschlag gegen die freie Presse der USA allgemein. Sie würdige die Leistungen Chinas nicht würdigen. Wer der neue US-Präsident werden wird, und was er für China bedeutet - darüber schweigt man sich in Peking beharrlich aus.

Eine junge Frau in Schanghai bringt dagegen auf den Punkt, was viele Chinesen denken: „Trump ist schlecht für China. Biden ist auch schlecht für China. Aber Trump ist außerdem auch schlecht für die USA. Also hoffen wir, dass Trump gewinnt“.

In den vergangenen Jahren hat sich das Verhältnis der beiden größten Volkswirtschaften der Welt massiv verschlechtert und in diesem Jahr einen Tiefpunkt erreicht. Präsident Donald Trump war es, der gegen die unfairen Handelspraktiken Pekings vorging und zahlreiche chinesische Produkte mit Strafzöllen belegte. Unter Trump erreichte auch die Rhetorik einen Tiefpunkt. Trump nannte die Corona-Pandemie „China Flu“ oder „Wu Flu“. Auf einer Wahlkampfveranstaltung in Ohio am 21. September tönte er: „Wenn Biden gewinnt, gewinnt China“. Kurz zuvor hatte er sich in einer Radiosendung noch drastischer geäußert: „Wenn ich nicht die Wahlen gewinne, wird die USA China gehören. Ihr werdet Chinesisch lernen müssen.“

Biden gilt als China-Kenner

All das hat man in China wohl registriert und aufmerksam verfolgt. Vielen aber ist bewusst, dass der Konflikt mit den USA nicht allein Trump zuzuschreiben ist. Fakt ist, dass Biden seit 1979 immer wieder nach China gereist ist. Von Xi Jinping wurde er 2013 als „Lao Pengyou“, als alter Freund, bezeichnet - eine Ehre. Sein Sohn Hunter Biden reiste seinem Vater nicht selten hinterher, um gute Stimmung für amerikanische Investmentfonds zu machen, an denen er beteiligt ist. Biden selbst gibt sich als China-Kenner. Insofern kann man davon ausgehen, dass sich unter Biden zumindest die Rhetorik beruhigen würde.

Auch dürfte Biden wieder mehr auf internationale Zusammenarbeit setzen. Ob das aber der Führung in Peking nutzt, ist eine andere Frage. Denn eine Einbindung Chinas in internationale Abkommen einerseits und eine einheitliche Front westlicher Demokratien gegen China, ist kaum im Sinne der Machthaber in Peking. Die neue, konfrontative China-Politik Washingtons gilt mittlerweile in beiden Parteien als lange überfällig. Das wissen auch viele Chinesen.

Peking antwortet auf die Entflechtungsstrategie Washingtons mit der „Theorie der zwei Kreisläufe“. Im Inneren will Peking unabhängiger von der globalen Wirtschaft werden. Das kann sich China mittlerweile leisten, da es mit Hilfe ausländischer Investitionen und Know-how mittlerweile gewaltige Produktionskapazitäten aufgebaut hat. Über den größten Binnenmarkt verfügt es ohnehin längst. Die Pandemie beschleunigt diesen Prozess: Während die meisten westlichen Volkswirtschaften die größte Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg erleben, wächst das chinesische Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr um fünf Prozent.

„Das Land befindet sich im Verfall“

Eine Umfrage auf der chinesischen Website Bilibili bestätigt das, was die junge Frau in Schanghai so lapidar äußert. Repräsentativ war sie nicht, aber immerhin 197.000 Menschen nahmen daran teil. Das Ergebnis: 80 Prozent stimmten für Trump. Die Frage war klausuliert gestellt: „Wer kann das schöne, schöne Land besser repräsentieren? Lehrer Trump oder Lehrer Biden?“ Auf Chinesisch heißen die USA „Mei Guo“, „schönes Land“.

Die Verklausulierung war notwendig, um durch die Zensur zu rutschen. Denn viel wichtiger als die Frage, wer der neue Präsident der Vereinigten Staaten wird, ist der Führung in Peking etwas anderes: Es geht darum, der eigenen Bevölkerung klarzumachen, dass eine Ein-Parteien-Diktatur viel besser für das Land ist als ein demokratisches System und freien Wahlen.

Hu Shulin, Chefredakteur des Parteisprachrohrs „Global Times“ twitterte in der Nacht zum Mittwoch ein Video, das Ladenbesitzer beim Verbarrikadieren ihrer Geschäfte zeigt. „Zu Unruhen dieser Art kommt es meist vor Wahlen in armen Ländern“, schrieb Hu. „Jetzt fürchtet man das auch in den USA. Das Land befindet sich im Verfall.“ Zwar ist Twitter innerhalb Chinas gesperrt, aber Hus Tweet zeigt ganz gut, worauf es der Führung in Peking ankommt: Der Welt, aber vor allem der eigenen Bevölkerung zu verdeutlichen, dass demokratische Systeme ineffizient und instabil sind.

Immer wieder stellt die Regierungspresse deswegen die USA als maroden Koloss dar - dessen demokratisches Regierungssystem ineffizient und entscheidungsunfähig ist. Vor allem der eigenen Bevölkerung will man so zeigen: Die kommunistische Partei sorgt für Ruhe und Stabilität - kommt bloß nicht auf die Idee demokratischer Experimente. Selbst Online-Umfragen stellen deswegen eine Bedrohung dar und tarnen sich lieber. Die USA werden zum „schönen, schönen Land“, die Kandidaten zu „Lehrern“.

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