Ich wundere mich. Ist doch eigentlich total daneben. Was ist da nur los? –Der Grund meiner Verwunderung ist die Tatsache, dass es kein Buch gibt, das einen Titel trägt wie: „Mein Chef ist prima“ oder „So erkennen Sie einen Klasse-Chef“ oder „Als ich den besten Chef der Welt traf“.
Nein, stattdessen springen sie einem aus den Buchhandelsregalen förmlich entgegen, die Chef-Hasser-Bücher: „Ist der Chef verrückt?“, „Der Feind in meinem Büro“, „Der Chef, dein Feind und Neider“, „Mein Chef ist ein Arschloch, Ihrer auch?“, „Der Arschloch-Faktor“, „Das Chefhasser-Buch“, „Rache am Chef“, „Der gewürgte Chef und andere schöne Träume“, „Und morgen bringe ich ihn um!“
feste drauf auf den Chef
Ich würde noch mehr solche Titel finden, wenn ich suchen würde. Aber ich habe keine Lust dazu. Auch die unendliche Reihe von Romanen, Filmen und TV-Sendungen, in denen Chefs als Deppen, Arschlöcher, Versager, Verrückte, ja als Wurzeln allen Übels dargestellt werden, ödet mich mittlerweile an.
Die Flut dieser Titel zeigt vor allem eins: Es gibt offensichtlich ein großes Bedürfnis bei sehr vielen Menschen, mit dem Finger auf den da oben zu zeigen. Denn wenn die Schuld immer beim Chef gesucht wird, dann ist das die einfachste Art, den eigentlichen Problemen aus dem Weg zu gehen und sie erst gar nicht näher zu betrachten. Hielte man einen Moment inne und würde darüber nachdenken, kämen vielleicht Zweifel. Aber das ist unbequem und würde möglicherweise zu unschönen Selbsterkenntnissen führen. Also, dann doch liebe feste drauf auf den Chef - das gibt ein Gefühl der Befreiung.
Befreiung wovon? Na, von all dem Stress, dem Druck, den Anforderungen. Es passiert furchtbar schnell, es liegt so nahe, und schon machen wir nicht nur den Chef, sondern auch den Kollegen, den Kunden, das Finanzamt und Gott und die Welt verantwortlich, wenn wir selbst nicht so ganz auf der Höhe sind …
Aber seien wir doch mal konsequent. Wenn wir den Chef nicht mögen und dessen Abdankung fordern, wenn wir schon postulieren, wir bräuchten den Aufpasser eigentlich gar nicht, und wenn wir uns schon in die Brust werfen, wir könnten uns doch ganz gut selbst führen, dann schauen wir uns doch mal an, was das genau hieße.
Freiheit zur Verantwortung!
Mehr Freiheit, Freiraum, Selbstbestimmung hat immer zwei Aspekte: erstens Freiheit VON etwas und zweitens Freiheit ZU etwas. Die Meisten, die mehr Freiheit im Job fordern, haben nur den ersten Aspekt vor Augen: Freiheit von dem nervenden Chef, Freiheit von einengenden Zwängen, Freiheit von autoritärer Bevormundung, Freiheit von starren Regeln, Freiheit vor der Willkür der Mächtigen, Freiheit von erdrückenden Hierarchien, Freiheit von lästigen Pflichten, Freiheit von ständiger Kontrolle … ja, soweit ist das ganz klar.
Doch was dabei oft unter den Tisch fällt ist die zweite Sorte Freiheit: Freiheit zur Verantwortung! Denn wer mehr Selbstbestimmung will, der muss auch den Kopf für die Ergebnisse hinhalten, die er erzielt, im Guten wie im Schlechten. Bei dem ganzen gegenwärtigen Trend des Post-Management-Zeitalters, den ich an sich begrüße, wird allzu oft vergessen, dass Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zwei Seiten derselben Medaille sind. Und das bringt durchaus etwas Unangenehmes, Unbequemes, Unerwartetes mit sich: Sie können nicht mehr den Beschuldigungsfinger ausfahren und auf den anderen zeigen: „Mein Chef wollte das so …“, „Aber Sie haben doch gesagt, ich soll …“, „Ich habe doch nur meinen Job gemacht“, „Da konnte ich leider nichts machen …“ – Nein, plötzlich ist der Befreite voll und ganz für die erzielten Ergebnisse verantwortlich. Sogar für alles, was er nur übernommen und gar nicht selbst verursacht hat. Und plötzlich schmeckt die süße Freiheit bitter.
Der Preis der Freiheit ist die Verantwortung. Die Frage ist, ob sich der Preis lohnt. Für mich steht fest: Je mehr Verantwortung wir übernehmen, desto näher sind wir dran am Leben, desto lebendiger sind wir! Letztlich bedeutet die Freiheit ZU etwas mit Blick auf Ihr Leben: Finden Sie heraus, wozu Sie leben möchten, welche Aufgabe für Sie bedeutsam ist, welchen Weg Sie einschlagen möchten. Niemand, kein Chef, kein Meister, kein Professor, keine Eltern, kein Lehrer, kein Lebenspartner wird diese Frage für Sie beantworten!
Für etwas einstehen
Von Freiheit zu reden, Freiheit zu fordern, für Freiheit zu kämpfen, das ist schön und das ist aller Ehren wert. Aber noch mehr Respekt habe ich für Menschen, die FREIHEIT LEBEN! Und das bedeutet, den Teppich der Ausreden unter sich wegzuziehen. Das bedeutet, nicht nur gegen etwas zu sein, sondern für etwas einzustehen, und zwar mit allen Konsequenzen.
Die Freiheit VON, die wir alle lieben und schätzen, gibt es nie ohne Freiheit ZU, die wir – fälschlicherweise – oft fürchten.
Darum: Ja, tatsächlich, wir brauchen mehr Freiheit im Job! Und wir brauchen die Chefs, die aus dem Weg gehen und Freiheit gewähren. Aber was wir mindestens genauso brauchen, sind Mitarbeiter, die bereit sind die Freiheit mit Verantwortung zu füllen!