Capital: Herr Hallerberg, die Amerikanerin Fiona Scott Morton hat ihre Bewerbung als Chefökonomin der EU-Wettbewerbsbehörde zurückgezogen. Was nur nach einer Personalie klingt, wird in Brüssel viel diskutiert und von vielen scharf kritisiert – auch von Ihnen. Warum?
MARK HALLERBERG: Die Stellenbeschreibung hat Amerikaner nicht explizit von der Bewerbung ausgeschlossen. Frau Scott Morton ist eine der erfahrensten Ökonominnen auf dem Gebiet, Professorin in Yale, frühere Beraterin bei großen Technologiefirmen – sie hat Präsident Obama bei Regulierungsfragen beraten. Dass sie sich im Bewerbungsprozess durchgesetzt hat, ist kein Wunder. Dann fällt einigen Politikern, vor allem aus Frankreich, auf, dass sie Amerikanerin ist. Der Pass darf doch kein Grund sein, warum sie den Job nicht bekommt. Die Qualifikation sollte entscheiden – und die hätte Frau Scott Morton definitiv gehabt.
Die Kritiker sagen, dass eine Amerikanerin auf dieser Position der „strategischen Autonomie“ Europas widersprechen würde – dass die USA also so Einfluss auf europäische Politik nehmen könnten. Stimmt das?
In diesem konkreten Fall: nein. Frau Scott Mortons Stelle sah Beratung vor, direkte Entscheidungsbefugnisse hätte sie nicht erhalten.
Frau Scott Morton hätte aber zu Fällen gegen Apple und Amazon beispielsweise nicht beraten dürfen, weil sie diese Unternehmen zuvor selbst beraten hat. Wäre Sie nicht eine Art „lame duck“ auf dieser Position gewesen?
Das ist einerseits zwar richtig. Andererseits war das auch schon im Bewerbungsverfahren klar – und trotzdem hat sich Frau Scott Morton dort durchgesetzt.
Herr Hallerberg, Sie sind selbst Amerikaner. Ihre Regierung ließe wohl auch keine Europäer auf eine solche Position. Warum sollte das umgekehrt anders sein?
Ich verstehe den Punkt, aber das ist auch von den USA nicht besonders clever. Es gibt dabei aber einen fundamentalen Unterschied: Europa ist in puncto Digitalisierung und Technologie weit abgeschlagen hinter den USA. Es gibt dort genügend qualifiziertes Personal wie Frau Scott Morton. Europa wird Amerika und China nie einholen, falls nur Europäer akzeptiert werden. Ich persönlich finde das extrem schade: Ich lebe seit 15 Jahren in Europa, liebe den Kontinent und glaube, dass Europa extrem viel zu bieten hat.
Fühlen Sie als amerikanischer Wissenschaftler noch wohl in Europa? Hört die Politik Ihnen zu?
Das kommt drauf an, wo man ist. Deutschland muss ich hier ausdrücklich loben. Ich erlebe Deutschland und die deutsche Politik als sehr weltoffen. Ich kenne einige Bundestagsabgeordnete und war öfters in verschiedenen Ministerien. Ich habe vor Bundestagsausschüssen gesprochen und dort ging es immer um Inhalte – nicht um meine Nationalität. Ich erinnere mich aber zum Beispiel an ein europäisches Panel, zu dem die Länder verschiedene Experten gesendet hatten. Aus Frankreich kamen drei Franzosen, aus Deutschland ein Deutscher, ein Italiener und ich. Das ist nur ein Beispiel, aber es zeigt: In Deutschland zählt die Qualifikation, nicht die Nationalität.