Viele Jahre lang hat sich in Deutschland in Sachen Windenergie eher wenig getan. Artenschutz und Abstandregeln bremsten den Bau neuer Windräder aus. Doch allmählich wendet sich das Blatt: Im ersten Halbjahr 2021 wurden in Deutschland 240 neue Windräder an Land errichtet – ein Plus von 62 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Windkraft hat laut Statistischem Bundesamt die Kohle inzwischen als wichtigsten Energieträger der Bundesrepublik abgelöst.
Auch an der Börse hat sich der Wind gedreht. Die zwischenzeitlich stark gebeutelten Aktienkurse von Windkraftunternehmen wie Vestas schossen Ende vergangenen Jahres in die Höhe. Zuletzt gaben die Kurse zwar wieder etwas nach, die Korrektur findet allerdings auf hohem Niveau statt. Die Zahlen sprechen für sich: Die Vestas-Aktie rangiert heute bei knapp 35 Euro, im vergangenen Jahr stand sie noch bei 13 Euro. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Konkurrenten wie Goldwind oder General Electric. Viele Windkraftaktien sind damit hoch bewertet, aber noch nicht überteuert. Anleger sollten zwar wachsam bleiben, denn die Windkraftbranche ist stark von der Politik abhängig. „Wer aber einen langfristigen Anlagehorizont mitbringt, kann von dem enormen Wachstumspotenzialen profitieren“, sagt Tim Bachmann, Fondsmanager des DWS Invest ESG Climate Tech.
Windkraftboom in China
Zu den stärksten Kurstreibern gehörten zuletzt die Förderprogramme für Windenergie, mit denen zahlreiche Industriestaaten ihren Klimazielen näherkommen wollen. Nach Angaben der Internationalen Energie Agentur (IEA) nahm der Ausbau von Windkraft weltweit im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr um 90 Prozent zu. Beflügelt wird die Branche vor allem vom Windkraftboom in den USA und in China. Insbesondere die Volksrepublik macht Tempo beim Ausbau von Windkraftanlagen. Im vergangenen Jahr errichtete sie Windkraftanlagen mit einer Kapazität von knapp 72 Gigawatt, mehr als alle westlichen Länder zusammen. Diese kamen lediglich auf 43 Gigawatt.
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Durch den Windkraftboom in China verschieben sich die Kraftverhältnisse in der sehr engen Branche. Im vergangenen Jahr lieferten vier große Turbinenproduzenten mehr als die Hälfte der neu errichteten Windkraftanlagen: General Electric, Vestas, Goldwind und Envision. Als Branchenprimus galt lange Zeit der dänische Windradhersteller Vestas. Wie ein Ranking von Bloomberg New Energy Finance zeigt, haben aber der US-Konzern General Electric und der chinesische Windradhersteller Goldwind die Dänen von der Spitze verdrängt. Vestas rangierte im Jahr 2020 mit knapp zwölf Gigawatt installierter Windkapazität nur noch auf Platz drei, gefolgt vom chinesischen Energieunternehmen Envision. Auch Siemens mischt mit seiner Windenergietochter Siemens Gamesa mit. Hier können Anleger aber nur über die Konzern-Aktie investieren, ebenso wie bei General Electric.
Seit Jahresanfang hat die Aktie des neuen Markführers General Electric die Konkurrenz klar in den Schatten gestellt – und das trotz einer bereits beachtlichen vorangegangenen Entwicklung. Ihr Kurs stieg allein im vergangenen Jahr um fast 180 Prozent, in den vergangenen drei Jahren sogar um knapp 3000 Prozent. Dahinter stehen starke Zahlen: Im zweiten Quartal 2021 schrieb der US-amerikanische Großkonzern einen Gewinn von 425 Mio. US-Dollar, nach einem deutlichen Verlust von 1,2 Mrd. US-Dollar nur ein Jahr zuvor. Die Aufträge für Onshore-Windenergie haben sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Ebenso erfolgreich agiert Goldwind, beflügelt von der Investitionsflut der chinesischen Regierung. Das Unternehmen konnte seinen Umsatz um knapp 50 Prozent steigern, den Nettogewinn um ein Drittel.
Politische Unsicherheiten
Die Windindustrie wartet vermehrt mit operativen Gewinnen und attraktiven Kapitalrenditen auf. Und der weltweite Umstieg auf erneuerbare Energien macht sie zu einer der aussichtsreichsten Branchen für Anleger. Aus Anlegersicht gefährlich ist allerdings, dass sich die Windkraft-Branche keineswegs linear entwickelt. Ihr Erfolg hängt stark von politischen Entscheidungen und dem Willen der Behörden ab.
Aufgrund der aktuellen Diskussion rund um die 10-H-Regel könnte der Windkraftausbau in Deutschland mal wieder ins Stocken geraten. Diese Regel besagt, dass ein Windrad eine zehnmal so große Entfernung zu Wohnhäusern haben muss wie das Windrad hoch ist. Zwischen Windrädern und Wohnhäusern ist so häufig ein Abstand von 2000 Metern einzuhalten. Die freien Flächen, auf denen noch Windräder errichtet werden können, schrumpfen dadurch massiv. Bislang galt die 10-H-Regel nur in Bayern. Zuletzt sorgte allerdings auch CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet für Flaute in dem von ihm regierten Bundesland Nordrhein-Westfalen, als sein Kabinett im Juli ebenfalls die 10-H-Regel beschloss. Auch die Kenia-Koalition in Sachsen unter Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) will noch in diesem Jahr einen entsprechenden Mindestabstand einführen.
International muss sich Branche ebenfalls auf Gegenwind einstellen. In den USA, dem drittgrößten Markt für Windkraftunternehmen hinter China und Europa, könnte der Ausbau der Windkraft im kommenden Jahr mächtig ins Schlingern geraten. Dann könnte nämlich die staatliche Förderung für Windkraftanlagen stufenweise auslaufen. Das dürfte sich zumindest „kurzfristig in entsprechender Zurückhaltung bei Neuinvestitionen und damit den Auftragseingängen niederschlagen“, erwartet DWS-Fondsmanager Bachmann. Aktuell rechnen Experten wie Bachmann zwar damit, dass die Demokraten unter Joe Biden die bestehenden Subventionen über das Jahr 2021 hinaus verlängern oder neue schaffen werden. Trotzdem bleiben Zweifel. „Solange keine Klarheit in diesem Punkt geschaffen wird, bleiben die Kurse von Turbinenproduzenten und weiteren Zulieferern sehr volatil“, warnt Bachmann.