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Kolumne Ein schwarzes Loch namens Bundesanleihen

Deutsche Staatsanleihen sind inzwischen der Taktgeber der Finanzmärkte. Von Christian Kirchner
Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital
Christian Kirchner

Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital

Die an Merkwürdigkeiten nicht eben arme Geschichte rund um die Entwicklung der Zinsen ist seit diesem Sommer um eine Kuriosität reicher: Eigentlich steht die US-Konjunktur mächtig unter Dampf. Eigentlich wird die US-Notenbank spätestens im Sommer 2015, vielleicht aber auch schon Anfang 2015 mit Leitzinserhöhungen beginnen. Eigentlich müssten daher auch die US-Anleihezinsen steigen.

Doch genau das tun sie nicht. US-Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit bringen heute mit 2,5 Prozent einen halben Prozentpunkt weniger Rendite ein als noch zu Jahresbeginn. Das Gros der Analysten, das für 2014 die Zinswende in den USA ausgerufen hat, lag daneben. Warum das so ist – dafür haben prominente Großanleger eine einfache Erklärung: Verantwortlich seien die Bundesanleihen, die mit rund einem Prozent Rendite auf zehn Jahre inzwischen so etwas wie der Mittelpunkt der Finanzwelt sind.

Sagt wer? Kein geringerer als Bill Gross vom US-Investor Pimco. „Die zehnjährige Bundesanleihe setzt den Ton weltweit“, erklärte er erst Ende August. Und argumentiert, die Rendite von US-Staatsanleihen werde sich auf Dauer nicht deutlich von den Bundesanleihen lösen können. Auch der in den USA mit Gross um den Titel des „Anleihengurus“ konkurrierende Fondsmanager Jeff Gundlach erklärte vergangene Woche, die Richtung der US-Renditen sei nunmehr eng gekoppelt an die Entwicklung von Bundesanleihen.

Ein von mir interviewter britischer Hedgefondsmanager nannte am Donnerstag Bundesanleihen gar „das schwarze Loch“ am Finanzmarkt, das gigantische Gravitationskräfte ausübe auf alle anderen Renditen weltweit, und sie mit in den Keller ziehe. Festgemacht hat er dies auch an der Entwicklung der Renditen französischer Staatspapiere: Obwohl Frankreich eine wirtschaftliche Horrormeldung nach der anderen verkündet und erst in dieser Woche bekannt gab, sein Defizitziel auch 2015 und 2016 zu reißen, folgen die Renditen französischer Anleihen ihren deutschen Pendants in den Keller: Sie bringen gerade einmal 0,4 Prozentpunkte mehr ein. Solide Haushaltspolitik wird am Finanzmarkt so honoriert, aber eine laxe auch nicht bestraft.

Die EZB-Politik ist schuld

Was ist da los im Reich der Zinsen – vor allem mit den von Wirtschaft und Leitzinspolitik offenbar entkoppelten US-Renditen? Letztere sind auch für die Zukunft der Aktienmärkte entscheidend, denen man ihre aktuell hohen Bewertungen vor allem aufgrund der niedrigen Zinsen zubilligt.

Die naheliegende Erklärung ist, dass der US-Dollar seit Dekaden eine anerkannte Fluchtwährung ist – und folglich viele Anleger angesichts der geopolitischen Risiken US-Anleihen kaufen und damit die Renditen drücken. Doch dazu passt nicht, dass Investoren mit den Risiken am Aktienmarkt völlig arglos umgehen. Viele langfristig orientierte Analysten argumentieren zudem, dass die US-Zinsen aufgrund des immer schwächeren Trendwachstums und des demografischen Wandels in den USA dauerhaft nicht mehr deutlich steigen würden. Doch auch dieses Argument ist nicht neu.

Unter großen Anleiheinvestoren kursiert seit Wochen eine ganz andere und erheblich plausiblere Erklärung für das Zinsrätsel: Dass die Renditen der Bundesanleihen auf ein lange undenkbares Niveau von nur einem Prozent sänken, sei nur folgerichtig. Denn der Euro-Zone geht es schlecht, die Europäische Zentralbank plant immer radikalere Maßnahmen, die Zinsen im Keller zu halten und die Kreditvergabe anzukurbeln, obendrein sind weder höhere Teuerungsraten noch Leitzinserhöhungen zu erwarten in den nächsten zwei bis drei Jahren.

Zugleich hat die EZB aber auch ein erklärtes Ziel mit ihrem Bündel an Maßnahmen: Den Euro zu schwächen, um damit die Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Zone zu verbessern. Und sie hat Erfolg: Kostete 1 Euro vor drei Monaten noch 1,36 Dollar, sind es jetzt nur noch rund 1,29.

Nun kommt ein Phänomen ins Spiel, das Investoren aus der Niedrigzinsphase Japans kennen: Wird der Renditeunterschied zwischen Anleihen aus den USA und Deutschland – die beide als sicher gelten – zu groß, macht das die US-Anleihen mit 2,5 Prozent Rendite für zehn Jahre Laufzeit verglichen mit dem einen Prozent für Bundesanleihen schon per se attraktiver.

Und mehr noch: Es bietet sich an, sich in Euro zu verschulden und die Erlöse in US-Staatsanleihen zu stecken – ein klassischer Carry-Trade. Oder als Spekulant auf steigende deutsche und sinkende US-Zinsen zugleich zu wetten, um eben jenen „Carry Trades“ zuvorzukommen.

Zinsen bleiben vorerst im Keller

Das Risiko solcher Zinsgeschäfte liegt natürlich in den Wechselkursveränderungen – sonst gäbe es ja den Zinsunterschied geschenkt. Genau hier haben Spekulanten wie Investoren aber wenig zu befürchten, denn eine Abwertung des Euro macht die Wette beziehungsweise den Kauf von US-Dollar-Anleihen noch attraktiver – und genau jener schwache Euro ist erklärtes Ziel der Notenbank.

“Folgt den Lederhosen” hatte US-Anleiheninvestor Bill Gross die Leitfunktion der Bundesanleihen im Juli auf den Punkt gebracht – dabei entbehrt es nicht einer gewissen Komik, dass die von hohen Schulden und einem hohen Defizit geplagten USA somit in der besten aller Welten lebt: Sie profitieren einerseits von einem starken Wirtschaftswachstum, müssen aber andererseits nicht mit den üblicherweise dazugehörigen höheren Zinsen leben. Denn die bleiben nicht nur, aber auch aufgrund der finanziellen Solidität Deutschlands und den damit einhergehenden niedrigen Renditen von Bundesanleihen vorerst im Keller.

Darüber kann man jammern – oder aber zähneknirschend seine Schlüsse ziehen und das Spiel mitspielen, indem man selbst als Privatanleger US-Staatsanleihen oder entsprechende Fonds kauft. Zu den ohnehin höheren Renditen gesellt sich noch die Chance von Währungsgewinnen – und das Wissen, die EZB eine Weile im Rücken zu haben.

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