Fondsmanager Der Mann, der 26 Milliarden bewegt

Ein bisschen New-York-Klischee: Michael Schoenhaut (r.) managt einen der größten Mischfonds der Welt. Das läuft oft anders, als man denkt
Ein bisschen New-York-Klischee: Michael Schoenhaut (r.) managt einen der größten Mischfonds der Welt. Das läuft oft anders, als man denkt
© Katharina Poblotzki
Die Welt der Fondsmanager ist geheim und abgeschirmt. Capital hat erstmals exklusiv hinter die Kulissen eines der größten Investmentfonds der Welt geblickt – bei JP Morgan in New York

Der Mann, der für rund 26 Mrd. Euro verantwortlich ist, fällt im morgendlichen Gewusel der Grand Central Station in New York gar nicht auf. Michael Schoenhaut ist einer von 250.000 Pendlern, die sich jeden Morgen durch die Kuppelhalle auf den Weg in die Hochhäuser Manhattans machen; Rucksack, Kaffee im Pappbecher, strammer Stechschritt. 50 Kilometer im Pendlerzug aus Westchester, nördlich von Manhattan, hat er schon hinter sich, nur auf den letzten Metern zu seinem Arbeitsplatz, da herrscht Ruhe.

Als die Investmentbank Bear Stearns nämlich 2001 ihr neues Hauptquartier in Manhattan baute, musste der Turm gleich eine Stadt in der Stadt sein, mit eigenen Generatoren und riesigen Frischwassertanks, um tagelang autark arbeiten zu können, selbst wenn draußen alles zusammenbricht. Auch ein eigener Tunnel wurde gegraben, von der Grand Central Station bis ins Bear-Stearns-Gebäude, etwa 300 Meter lang.

Der Zusammenbruch ereignete sich dann aber nicht draußen, sondern drinnen, 2008 nämlich bei Bear Stearns selbst. Die Trümmer der Pleitebank sammelte Schoenhauts Arbeitgeber auf: JP Morgan übernahm sie zum Restwert von 270 Mio. Dollar. Bear Stearns gibt es nicht mehr, den Tunnel schon – und so kann Schoenhaut morgens unbehelligt ins Büro laufen. Wo er jeden Morgen an einem unauffälligen Schreibtisch Platz nimmt.

Schoenhaut, 43 Jahre alt, Amerikaner, kurze graue Haare, zupackend und jovial, ist leitender Manager des JP Morgan Global Income Fund – eines der größten Investmentfonds der Welt. Normalerweise arbeiten Leute wie er hinter streng verschlossenen Türen. Capital hat nun erstmals Einblick in die Zentrale und den Alltag bekommen – in Meetings und in Büros, in die Außenstehende sonst nie hineindürfen. Es ist ein Blick in den Maschinenraum, in dem Milliarden um den Globus bewegt werden.

Eine Zahl, die elektrisiert

Schoenhauts erster wichtiger Termin an diesem Dienstag im September: die wöchentliche Strategierunde mit Experten, die nicht für das Klein-Klein von Einzelwerten, sondern für die großen Linien zuständig sind: Wie ist die wirtschaftliche Großwetterlage, und was heißt das für den Fonds? Schoenhaut nimmt im Konferenzraum mit rund 20 Kollegen Platz, London ist mit zehn Analysten ebenfalls zugeschaltet.

Vor den Fenstern schaufeln Ausläufer des Hurrikans „Florence“ Regenschauer heran, drinnen macht ein Konjunkturexperte Tempo: In fünf Minuten geht es einmal rund um den Globus: „Gute Kreditimpulse aus China, … enttäuschende Auftragseingänge in Deutschland, … die Pkw-Sparte besonders enttäuschend, … heftige Regenfälle in Japan …“ Niemand surft auf dem Handy, alle blicken auf den Datensatz, den jeder ausgedruckt in Händen hält, und wenden pünktlich, wenn der Sprecher zur nächsten Seite kommt. Schoenhaut sitzt im Rund des Konferenztischs wie alle, ist aber älter als der Schnitt.

Nach ein paar Frühindikatoren hier und Einkaufsmanagerindizes da kommt die Zahl, die schon am Vorabend die Märkte elektrisiert hat: „Das US-Wachstum wurde nach oben revidiert: auf 4,2 Prozent.“

Ein paar Köpfe gehen hoch. Es ist quasi die Zahl des Tages, auch Präsident Donald Trump reklamiert auf Twitter das starke Wirtschaftswachstum im abgelaufenen Quartal für sich – er habe da wohl einen „Zauberstab“. Ökonomen warnen bereits, die US-Wirtschaft schäume über, könnte die Inflation und damit auch die Zinsen noch höher treiben. Der Referent aber gibt Entwarnung: Die Dinge liefen „weiter auf Linie mit unseren Erwartungen“.

Kein Wunder: Knapp zwei Drittel des Vermögens hat der Fonds in US-Papiere investiert. Da kommt ein kräftiges Wachstum recht. Schoenhaut hört die ganze Zeit nur zu, auch als das Thema von der Konjunktur zu Anlageideen schwenkt und es um US-Immobilienverbriefungen geht, die der Fonds kürzlich zugekauft hat. Hektik? Zeigt keiner der Teilnehmer. Am wenigsten Schoenhaut.

Unter einem Fondsmanager stellen sich viele Menschen intuitiv jemanden vor, der Konzernchefs grillt, auf dessen Monitoren es grell und häufig blinkt und der quasi täglich auf neue Wendungen reagieren muss: Konjunkturdaten hier, Unternehmenszahlen da.

Der Alltag sieht anders aus. Schoenhaut trifft nur selten Unternehmenschefs. Am Bildschirm will er so wenig wie möglich sitzen. Die meiste Zeit des Tages verbringt er mit Zuarbeitern; fast täglich redet er länger mit einem der zwölf Spezialisten für alle möglichen Wertpapiere wie US-Anleihen, europäische Aktien oder globale Immobilientitel. Wöchentlich tagt ein Strategiekomitee, das die Lage mit den Positionen des Fonds abgleicht. Meist quartalsweise kommen alle rund 20 der am Fondsmanagement beteiligten Assetklasse-Spezialisten zusammen, bis hinunter zum einfachen Analysten. „It’s all people’s business“ – es ist ein Geschäft, das nur von Menschen gemacht wird, sagt Schoenhaut.

Gleich zwei Starbucks-Filialen gibt es exklusiv nur für Bankmitarbeiter
Gleich zwei Starbucks-Filialen gibt es exklusiv nur für Bankmitarbeiter
© Katharina Poblotzki

Dass er überhaupt so viel Geld verwaltet, hat – wie vieles an Finanzmärkten – damit zu tun, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. Bei Auflage des Fonds vor gut zehn Jahren versprach die Gesellschaft nichts anderes, als jährlich fünf Prozent an Anleger auszuschütten. Damals war das nicht besonders ambitioniert. Inzwischen ist der risikolose Zins verschwunden, nicht aber das Interesse der Anleger an regelmäßigen Ausschüttungen. Deshalb verfängt das Konzept.

11.30 Uhr, das Meeting ist zu Ende: Schoenhaut geht noch mit fünf Strategen die aktuelle Lage durch. Knapp 60 Prozent des Vermögens seines Fonds liegen in den USA, rund 25 Prozent in Europa, zehn Prozent in Schwellenländern.

Die Checkliste

Noch fühlt er sich wohl mit dieser US-Gewichtung, der Blick geht aber ein bis eineinhalb Jahre voraus. „Wir machen uns keine Sorgen wegen einer Überhitzung“, sagt Schoenhaut, der ohnehin nicht wirkt, als lasse er sich leicht aus der Ruhe bringen. „Die Gefahr einer konjunkturellen Abkühlung in den USA ist laut unseren Indikatoren zuletzt gestiegen. Wir fühlen uns zwar in den USA weiter wohl, erwägen aber eher, Risiken zu senken.“

Für solche Fragen braucht Schoenhaut nicht sein Bauchgefühl, sondern seine wöchentliche Checkliste mit insgesamt 17 Indikatoren: Inflation? Steigt. Verbraucherstimmung? Schäumt über. Fusionsaktivitäten? Hoch. Margen? Fallen. Und so weiter. Jeder Indikator hat vier mögliche Ausprägungen, die Phasen im Wirtschaftszyklus entsprechen: früh, Mitte, spät. Und Spalte vier: Rezession. Aktuell deuten acht der 17 Indikatoren darauf hin, dass man in der Mitte eines Zyklus ist. Und neun signalisieren die späte Phase eines Aufschwungs. Diese Checkliste hat Schoenhaut immer dabei. „Sie diszipliniert, sich an Fakten statt Gefühle zu halten – sonst hätte man auch der Länge des Aufschwungs schon vor Jahren misstrauen müssen“, sagt er.

Spartanischer Arbeitsplatz

2,5 Quadratmeter Privatsphäre: Mehr Platz hat Michael Schoenhaut nicht in seinem Cubicle
2,5 Quadratmeter Privatsphäre: Mehr Platz hat Michael Schoenhaut nicht in seinem Cubicle (Foto: K. Poblotzki)
© Katharina Poblotzki

Von Haus aus ist Schoenhaut gar kein Banker, sondern Wirtschaftsingenieur, der sich viel mit Statistik und Optimierung beschäftigte. Erst mit Ende 20 merkte er, dass er die Fähigkeiten, die man für die Optimierung von Maschinenparks oder Organisationsstrukturen braucht, auch in der Finanzbranche nutzen kann – und heuerte bei JP Morgan Asset Management an.

12 Uhr, Schoenhaut muss zu seinem Arbeitsplatz – der die unaufgeregte und unprätentiöse Arbeit spiegelt: Am Rand eines turnhallengroßen Großraumbüros nimmt er in einem der winzigen Büroquadrate Platz, die einen nur im Sitzen von den Nachbarn abschirmen. Schoenhauts Arbeitsplatz ist spartanisch-funktional, ein paar Ausdrucke, zwei Monitore, ein dreieckiges Namensschild – goldene Buchstaben auf schwarzem Grund, es hat gewiss 20 Jahre auf dem Buckel. Auf den Fernsehern an den Seitenwänden flimmert stumm der Wirtschaftssender CNBC.

Dort geht es hektisch hin und her, laufen Kurse über den Ticker, hämmern Experten Thesen zu allem und jedem raus. „Es ist ein Zerrbild“, sagt Schoenhaut, „dass ein Fondsmanager laufend binäre Entscheidungen fällen müsste: raus oder rein aus Aktien, rüsten für die Rezession. Es geht nicht um Timing, sondern um ein robustes Portfolio – wie auch immer gerade robust für die angestrebte Rendite aussieht.“

Sein Job ist für die nächsten 45 Minuten das Kontrastprogramm zur fortwährenden Aufgeregtheit der Börsennews: Er zieht sich ein Headset über und lauscht einer Schulung über europäische Verbriefungen: In Europa ändern sich 2019 die Regeln, in welchem Umfang Fonds in Wertpapiere verbriefte Forderungen kaufen dürfen. Zwei Experten setzen ihn nun ins Bild, was genau sich ändert. Brüssel, UCITS, Sicav – ein Festival der Akronyme. „Das betrifft womöglich unseren Fonds, aber natürlich auch den Markt an sich: Vielleicht sorgen die Regeln dafür, dass andere Häuser Papiere verkaufen müssen“, sagt Schoenhaut. Die meiste Zeit hört er schlicht zu, was ihm seine Analysten berichten – Mikro füttert Makro.

Für Details sind schließlich seine zwölf Spezialisten zuständig – die sogenannten Sleeve-Manager. Einer von ihnen ist Alan Supple, sein Ziel für ein kurzes Update später: ein hochgewachsener, kahlköpfiger Brite, zuständig für globale Immobilienaktien. Der hat selbst auch nicht viel Zeit für das Gespräch – gleich danach trifft er den Finanzchef eines deutschen Wohnimmobilienkonzerns.

Zwischen Schoenhaut und Spezialisten wie Supple herrscht ein natürliches Spannungsverhältnis: Wollen die Spezialisten Geld für den Fonds anlegen, müssen sie Schoenhaut überzeugen, dass sie gute Investmentideen haben. Sehen sie allerdings ihre eigene Branche kritisch, machen sie sich selbst überflüssig.

Schoenhauts Job dagegen ist: die Zwischentöne und Persönlichkeiten seiner Manager deuten. „Es gibt Spezialisten, bei denen heißt ,Ich sehe meinen Bereich sehr positiv‘, dass wir extrem vorsichtig sein müssen, denn ansonsten sind sie meist euphorisch. Bei anderen ist eine neutrale Haltung schon extrem bullish“, erzählt er.

Gerade mal fünf Prozent des Fondsvermögens sind derzeit in Immobilienaktien angelegt – das ist das untere Ende der Spanne von fünf bis zehn Prozent, die für den Fonds grob vorgesehen sind. „Einzelhandelsimmobilien machen ein Fünftel des Universums von Immobilienaktien aus. Es gibt aber große Schwierigkeiten, sie in Zeiten des boomenden Onlinehandels mit solventen Mietern zu füllen“, sagt Supple. Lieber weicht er in Nischen aus, etwa Betreiber von Logistikimmobilien, Datencentern oder Lagerhäusern für private Nutzer. Und nicht zuletzt: deutsche Wohnimmobilien. Die seien trotz gestiegener Preise gemessen an Renditen und Kaufkraft weiter attraktiv.

Von New York um die Welt

Der Weg, den das Fondskapital von New York aus nimmt, lässt sich an ihrem Beispiel gut nachvollziehen. Es ist einer von Tausenden möglichen Wegen, einer, den Bankenkritiker häufig attackieren – vor allem aber ist es ein Weg, der zeigt, welche Folgen die Niedrigzinsen der Notenbanken haben.

Der Job? „Ist zu 80 Prozent ein Geschäft unter Menschen“, sagt Schoenhaut
Der Job? „Ist zu 80 Prozent ein Geschäft unter Menschen“, sagt Schoenhaut
© Katharina Poblotzki

Die mauen Zinsen nämlich frustrieren Sparer und treiben die Preise von Vermögenswerten wie Aktien und Immobilien weltweit in die Höhe. Genervt stecken auch deutsche Anleger ihr Geld in Fonds wie den Global Income. Bloß sind ja auch für den Fonds, seine Manager und ihr altes Versprechen von fünf Prozent Rendite die Anlagemöglichkeiten geschrumpft, um selbst überhaupt noch hohe Zinsen oder Dividenden zu bekommen.

Schoenhaut und Supple sprechen zwar nicht über Einzelwerte. Ein Blick in den Jahresbericht offenbart aber: Je rund 12 Mio. Euro des Fondsvermögens haben sie etwa in die deutschen Wohnimmobilienaktien Vonovia und Deutsche Wohnen investiert. Offenbar funken die europäischen Analysten, dass gerade die deutschen Immobilienaktien attraktiv sind – unter Hunderten börsennotierten Firmen haben es überhaupt nur 15 weitere deutsche Aktien in den Fonds geschafft.

Der Global Income Fund besitzt also über Umwege auch kleine Anteile an den 100.000 Wohnungen, die allein die Deutsche Wohnen in Berlin hat. Deren Mieter finanzieren über ihre monatliche Miete die Dividende der Deutsche-Wohnen-Aktie mit, die wiederum einen winzigen Teil der Ausschüttungen des Income Fund von JP Morgan ausmacht. Die Deutsche Wohnen hat ein Interesse daran, dass auch der Wert der gehaltenen Immobilien und die Mieten steigen – schließlich ist sie selbst ihren Anlegern verpflichtet. Gut für die Aktienkurse der Immobilienkonzerne. Gut auch für die Fondsbesitzer. Nicht so gut für alle, die keine Vermögenswerte besitzen, sich aber nun über steigende Mieten ärgern.

Supple muss los zum deutschen Finanzchef – Schoenhaut holt sich einen schnellen Kaffee im zweiten Stock des JP Morgan Headquarter, in dem Starbucks zwei Filialen betreibt. Sie gleichen bis ins Detail den Filialen in ganz Manhattan, nur dass sie im Gebäude exklusiv den Mitarbeitern von JP Morgan zur Verfügung stehen. Auch die obligatorische Schlange wartender Gäste gibt es, die handydaddelnd darauf warten dranzukommen.

Das größte Risiko

Schoenhaut sagt über sich selbst, dass er kein geduldiger Mensch sei, aber er wartet so unaufgeregt in der Schlange, wie er seinen Arbeitstag bestreitet. Nebenbei analysiert er die Weltwirtschaft. Das größte Risiko? „Ganz klar aktuell die Schwellenländer. Sie drohen mitten in einen perfekten Sturm zu geraten: steigender Dollar, steigende US-Zinsen, Rückschritte in der Globalisierung, politische Radikalisierungen“, sagt er. Im Gegensatz zu vielen Spiegelfechtereien Trumps seien das „ganz reale ökonomische Gefahren“.

Risiken sind ständige Begleiter eines Fondsmanagers. Schoenhaut etwa setzt auf Hochzinsanleihen. Oder: Ramschpapiere, wie Kritiker unken – weil die Anleihen zwar hohe Zinsen versprechen, dafür aber auch ein schlechtes Rating haben. Ob er da Druck spürt, die Last von 26 Mrd.? „Natürlich spürt man die Verantwortung. Wir setzen sie um, indem wir uns meistens mehr mit Risiken als mit Chancen beschäftigen. Viele Sparer machen das allerdings genauso – und enden mit garantierten Kaufkraftverlusten ihres Vermögens, wenn sie selbst überhaupt keine Risiken eingehen.“

Die Gretchenfrage für jeden Fondsmanager beantwortet Schoenhaut immerhin ungewohnt klar: Hat er seinen Fonds gekauft? „Absolut, und das nicht zu knapp“, sagt er. „Auch das Geld für die Ausbildung meiner drei Kinder steckt in meinem Fonds.“ Streng genommen ein Klumpenrisiko. „Das stimmt“, sagt er, „versage ich, schlägt es gleich an mehreren Stellen zu.“

JP Morgan Global Income
Infogram

Der Beitrag ist in Capital 11/2018 erschienen. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop , wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes und GooglePlay

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