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Geldanlage Warum Anleger Ruhe bewahren müssen

Die Börsen sind nervös wie nie. Trotzdem ist das Aktienverkaufen gerade jetzt nicht die richtige Strategie. Von Nadine Oberhuber



Nadine Oberhuber ist Wirtschafts- und Finanzjournalistin. Sie schreibt auf Capital.de über Geldanlagethemen



Wenn Sie zurzeit täglich die Börsenkurse beobachten, trinken Sie jetzt besser einen Ingwertee, bevor Sie auf ihr Depot oder den aktuellen Dax-Stand schauen. Der beruhigt nämlich und hilft auch gut gegen Reiseübelkeit. Denn reichlich schwummrig kann einem schon werden bei all dem Auf und Ab der letzten Wochen. Die Kurse an den Börsen flattern wie selten, ständig brechen neue schlechte Nachrichten vor allem aus China über die Weltmärkte herein und die Indizes testen einen neuen Tiefpunkt nach dem anderen.


Inzwischen haben die Investoren den deutschen Leitindex Dax in einer heftigen Verkaufsorgie von zuvor 11.500 Punkten auf rund 9.700 Punkte geerdet. Zuletzt schaffte er es zwar wieder über die 10.000-Punkte-Marke, doch wie lange hält er dieses starke Pendeln noch aus? Derzeit steigt nur ein Index ganz rasant. Er gehört zwar auch zur Familie der Dax-Indizes, es ist aber der V-Dax, das sogenannte Angst-Barometer der deutschen Börse. Das bedeutet: Die Anleger sind nervös wie lange nicht mehr.


Genauer gesagt: Sie sind so aufgeregt wie seit vier Jahren nicht mehr. Die Investoren an den Terminmärkten erwarten für den Dax in den kommenden sechs Wochen nichts Gutes, so ist der Volatilitätsindex, der im Grunde nichts anderes ausdrückt als den Pessimismus an der Börse, seit dem 10. August auf das Doppelte gestiegen. Kein Wunder, denn schaut man sich die Bewegung des deutschen Leitindex Dax auf längere Sicht an, so sieht es tatsächlich aus, als ob nach einer längeren Seitwärtsphase mit heftigen Ausschlägen nun der Abschwung gekommen sei. Genau das löst die große Nervosität aus und lässt so manchen Börsianer heftig zucken: Ist es nicht längst Zeit zu verkaufen?

Jetzt verkaufen bringt nichts

Jedenfalls stellen Anleger ernüchtert fest, dass der Dax in den vergangenen Wochen bereits den gesamten Gewinn zunichte gemacht hat, den er zuvor seit Jahresbeginn eingefahren hatte. Und der war nicht gering: Wer im Januar alle 30 Dax-Aktien gekauft hat, oder ein Indexpapier und sie im April wieder veräußert hätte, der hätte 30 Prozent Gewinn einstreichen können. Verkauft er sie dagegen in diesen Tagen, so bleibt nichts – aber auch gar nichts – von diesem großen Kursaufschwung übrig. Nach Abzug der Bank- und Börsengebühren und der kleinen, aber immerhin vorhandenen Inflation, hat er mit dem Aktieninvestment sogar ein Verlustgeschäft eingefahren.


Natürlich ärgert das viele Aktionäre und nicht wenige lösen dieser Tage hektisch ihre Positionen auf, weil sie einen weiteren Absturz fürchten und nicht noch mehr Verluste einkassieren wollen. Das ist verständlich. Aber ehrlich gesagt ziemlich ungeschickt. Denn man kann es auch so sehen: Den großen Sturz von 12.000 auf 10.000 Punkte hat der Dax ja nun bereits hinter sich. Natürlich kann er noch weiter sinken, keine Frage.


Was aber brächte es, in der derzeitigen Lage zu verkaufen? Denjenigen, die erst im Januar in den Markt eingestiegen sind, brächte es nichts. Gut, es ersparte ihnen weitere Verluste, falls es noch tiefer hinabginge. Und Verhaltensökonomen warnen ja nicht umsonst davor, dass sich der Mensch zu spät von Verlustpapieren trenne und dass er deswegen häufig nur schlechte Renditen einfahre. Für Einzelaktien und kurzfristig orientierte Anleger stimmt es, dass sie zu oft an Verliererpapieren festhalten. Doch für Langfristanleger und für diejenigen, die ihr Investment breit über den Index streuen, sieht die Lage derzeit ganz anders aus – und längst nicht so dramatisch.

Besser auf ein Zwischenhoch warten

Wer noch nicht lange dabei ist und jetzt hektisch verkauft, der beraubt sich zuerst einmal einer Chance, die immerhin in den kommenden Monaten besteht: Nach Markteinbrüchen wie dem jetzigen folgt häufig in den kommenden sechs Monaten ein Zwischenaufschwung, sagen zumindest die Charttechniker. Demnach kann es noch einmal neun bis 24 Prozent nach oben gehen. Diese Erholung könnte man zumindest versuchen mitzunehmen, denn die Angst vor dem großen lang anhaltenden Absturz ist weniger berechtigt als man denkt. Wer also nicht unmittelbar gezwungen ist, ein Aktieninvestment jetzt aufzulösen, der könnte darauf hoffen, innerhalb der kommenden Wochen oder Monate wenigstens noch diesen Aufschwung mitzunehmen und dennoch mit einem Gewinn aus dem Markt herauszugehen.


Dafür spricht im Übrigen auch das Angstbarometer V-Dax. Denn wenn der Volatilitätsindex arg steigt und weit über sein normales Niveau von 20 Punkten hinausschießt, bedeutete das schon in der Vergangenheit nicht immer, dass danach die Kurse krachten. Meist nahm die Nervosität arg zu, wenn kurz zuvor ein stärkerer Crash erfolgt war. Einen der höchsten Stände erreichte der V-Dax Mitte Oktober 2008. Da hatte die Börse ihren Rieseneinbruch vom Januar und August von 8000 auf 5000 Punkte längst hinter sich. Danach folgte noch ein kurzes Absacken der Kurse bis auf unter 4000 Punkte, doch dann kam bereits der nächste Aufschwung, der immerhin bis Ende 2011 andauerte und wieder bis zur 7500-Punkte-Marke führte. Auch 2011 sanken die Kurse kurz aber heftig von Juli bis August. Die Nervosität der Anleger wuchs aber erst im August und dann im September auf große Höhen, der V-Dax legte auf 48 Punkte zu. Und was machte die Börse? Sie legte eine dreijährige Rallye von 5400 auf 12.000 Punkte hin.


Man kann also infrage stellen, ob die große Nervosität derzeit bedeutet, dass sich die Weltbörsen wirklich im Crashmodus befinden und demnächst keine Erholung, sondern ein weiterer Riesenabsturz bevorsteht. Ausschließen kann das natürlich niemand. Gerade weil es aber niemand weiß, wäre ein Aktienverkauf im großen Stil für Langzeitanleger gerade jetzt das Falsche, so lautet die Meinung der Optimisten. Sie raten eher zur Strategie: Ruhig bleiben und abwarten. Fallen die Kurse tatsächlich weiter, lohnt es sich eher, noch Aktien zu billigen Preisen nachzukaufen.


Denn zumindest bisher galt nach größeren Stürzen noch immer: Die nächste Erholung folgte früher, als viele dachten. Und sie hielt meistens länger als manche vorhersagten. Auf lange Sicht gesehen kamen jedenfalls Anleger, die 20 Jahre konstant im Markt blieben und zu jeder Zeit regelmäßig Aktien für einen bestimmten Betrag kauften auf eine Jahresrendite von immerhin 7,5 Prozent. Die nervösen Auf- und Abspringer können das kaum von sich behaupten. Also: Probieren Sie mal, ruhig zu bleiben. Und notfalls einen Ingwertee kochen.


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