Herr Bosomworth, die Kapitalmärkte haben den Ausgang der Bundestagswahl weitgehend ignoriert. Ist das nicht etwas naiv von Investoren angesichts der schwindenden Unterstützung für Kanzlerin Merkel und des starken AfD-Wahlergebnisses?
Es ist fair zu sagen, dass wir alle etwas zu naiv waren, das Thema „Populismus“ klein zu reden. Nach den Wahlen in anderen europäischen Ländern hielten viele die Welle für abgeebbt. Aber die AfD war immer da. Allerdings ist die ausgebliebene Reaktion nachvollziehbar: Es gibt eine breite Zustimmung für ein starkes Europa zwischen fast allen Parteien. Und die nun mathematisch mögliche „Jamaika“-Koalition wird die Verhältnisse weder in Sachen Europapolitik noch wirtschaftlich auf den Kopf stellen – davor braucht kein Investor Angst haben. Die geopolitischen Spannungen sind in den vergangenen Tagen das wichtigere Thema gewesen.
Die Regierungsbildung dürfte nur über die FDP gelingen, deren Bundesvorsitzender Lindner unter anderem offen für ein Ausscheiden klammer Länder wie Griechenland aus dem Euro warb. Droht ein Wiederaufflackern der Euro-Krise?
Ich halte die Wahrnehmung von Christian Lindner als Anti-Europäer durch einige Kommentatoren für falsch. Seine Positionen ähneln sehr denen Wolfgang Schäubles. Er befürwortet eine Art Konföderation fiskalisch unabhängiger Staaten und eine Stärkung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Seine rote Linie sind Transferzahlungen innerhalb der Eurozone oberhalb des aktuellen EU-Budgets der Länder. Das ist auf Linie auch mit der CDU/CSU. Und die Idee eines Ausscheidens von Ländern aus dem Euro bei einem Verbleib in der EU mag unter Liberalen verfangen, ist aber nicht mehrheitsfähig, von den rechtlichen Hürden auf Ebene europäischer Verträge ganz abgesehen.
Die Vertiefung der Europäischen Union und Reformen haben in diesem Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt. Arbeitet die Zeit für oder gegen die Stabilität des Euro mit Blick auf drohende Krisen?
In der Tat dürfte nun eine Vertiefung für die kommenden vier Jahre vom Tisch sein. Ich würde es nicht dramatisieren wollen, aber hilfreich für den Euro ist das nicht. Es ist immer noch unsere Überzeugung, dass eine Währungsunion von wirtschaftlich so unterschiedlichen Ländern eine gemeinsame Fiskalpolitik braucht. Ich fürchte allerdings, dass die Debatten über geopolitische Spannungen und auch diese Bundestagswahl, die für die Kapitalmärkte womöglich wichtigere Entwicklungen maskieren.
Nämlich?
Ganz klar der allmähliche Entzug der Liquidität durch die Notenbanken. Die Preise fast aller Vermögenswerte sind deutlich gestiegen, nachdem die Notenbanken global etwa 7 Billionen US-Dollar in die Märkte gepumpt haben. Die Zusammenhänge sind eindeutig. Die Frage ist nun: Was passiert mit den Preisen der Vermögenswerte, wenn sie diese Liquidität wieder allmählich entzieht? Wir fangen ja gerade erst damit an, mit sehr kleinen Summen in den USA von 10 Mrd. US-Dollar pro Monat und die Notenbanken werden sehr vorsichtig vorgehen, um die Aktien- und Anleihenkurse nicht zu belasten. Wir achten in diesem Zusammenhang aber sehr genau auf das, was mit der Inflation passiert. Bleibt sie niedrig, erleichtert das den allmählichen Ausstieg. Aber wenn sie steigt, müssen die Notenbanken ihre Geldpolitik rascher straffen als gewünscht, Liquidität entziehen und es droht womöglich eine klassische, von der Zentralbank eingeleitete Rezession mit Turbulenzen und Kurseinbußen für Aktien, Anleihen und Immobilien.
Im Moment sieht die Kerninflationsrate mit 1,2 Prozent in der Eurozone und 1,9 Prozent in den USA doch beherrschbar aus.
Das stimmt. Ein Anstieg ist auch nicht unser Basisszenario, dagegen sprechen auch die Entwicklungen in der Demografie und am Arbeitsmarkt. Aber das Risiko ist dennoch da, dass bald Lohndruck aufkommen könnte – und dann haben die Notenbanken gar keine Wahl haben, sondern straffen müssen. Ich würde das nicht als „Restrisiko“ bezeichnen, sondern als ganz reales für die Vermögenspreise.
Andrew Bosomworth ist Managing Director und Leiter des Portfoliomanagements in Deutschland. Bevor er 2001 zu Pimco kam, arbeitete er bei der Europäischen Zentralbank, bei Merrill Lynch sowie beim neuseeländischen Finanzministerium.