Anzeige

Aktien Scharlatanerie mit Indexaufsteigern

Warum eine Spekulation auf Kandidaten für den DAX, MDAX oder Euro Stoxx 50 selten lohnt. Von Christian Kirchner
Figure

Einmal pro Quartal wiederholt sich am Kapitalmarkt ein amüsantes Schauspiel: Wenn die Anbieter von Aktienindizes wie DAX, MDAX, Euro Stoxx 50 und Co. über die künftige Zusammensetzung der Indizes entscheiden, sind einfachste Regeln der Geldanlage vermeintlich außer Kraft zu sein. Für wenige Tage oder gar Wochen scheinen kurzfristige Kursgewinne halbwegs garantiert zu sein.

Die Logik lautet dann ungefähr wie folgt: Steigen die Aktien eines Unternehmens in einen prominenten Auswahlindex wie den Deutschen Aktienindex DAX oder den Euro Stoxx 50 auf, müssen die vielen passiven Indexfonds gezwungenermaßen genau diese Aktien kaufen. Und werden gar nicht gefragt, ob sie die Aktien für zu teuer oder zu billig halten. Schließlich bilden sie die Indizes eins zu eins ab. Daher böten die Aufsteiger aufgrund der Zwangskäufe beste Renditeaussichten.

Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital
Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital

In der Theorie hört sich das gut an. Es gibt in Deutschland alleine acht Indexfonds auf den DAX, die zusammen rund 22 Mrd. Euro verwalten, dem Euro Stoxx 50 für Standardwerte folgen nicht weniger als 15 Indexfonds mit zusammen rund 25 Mrd. Euro Volumen. Unterstellt man, dass ein Indexaufsteiger mit einer Gewichtung von einem Prozent in den Euro Stoxx 50 aufrückt, müssten also die Indexfonds rund 250 Mio. Euro in Aktien eben jenes Aufsteigers stecken und die Kurse mächtig antreiben.

Nun gibt es derzeit zwar keinen Aufstiegskandidaten für den Deutschen Aktienindex Dax, wenn in dieser Woche die turnusmäßige Überprüfung ansteht. Nokia könnte indes in den Euro Stoxx 50 zurückkehren, der Finanzdienstleister Prudential in den paneuropäischen Stoxx 50, der Immobilienkonzern Deutsche Annington in den MDax aufrücken.

Indexaufsteiger bieten keine besseren Chancen

Kann man sich also auch praktische Hoffnungen auf bald steigende Kurse dieser Titel machen? Besonders mit dem Kursschicksal Nokias sind viele Anleger eng verbunden, es ist noch immer eine der populärsten Aktien in deutschen Privatanlegerdepots.

Die Antwort ist: Leider nein. Der Glaube, Indexaufsteiger böten bessere Chancen auf Kursgewinne als der Gesamtmarkt und andere Aktien, führt in die Irre. Zum einen ist die Information über die Zukäufe der Indexfonds allgemein bekannt, sie fließt folglich mit frühem Aufkommen der Spekulation auf eine baldige Indexaufnahme bereits in die Kurse ein.

Zum anderen ist es keinesfalls so, dass die Indexfonds am Tag der Aufnahme die Papiere zukaufen (was auch die Liquidität der Papiere in den seltensten Fällen hergäbe). Nicht jeder Indexfonds bildet den Index über den Kauf der jeweiligen Aktien ab. Und selbst diejenigen, die ihn mit dem Kauf der Aktien abbildet, muss nicht am Tag der Aufnahme am Markt kaufen um jeden Preis. Vielmehr haben bereits andere Adressen den Zukauf längst für sie erledigt – die so genannten Market Maker, die Handelspartner der Indexfonds. Sie können die künftige Nachfrage der Indexfonds selbst gut antizipieren, da sie das Volumen der Fonds kennen und auch die künftige Gewichtung.

Sperkulation mit Aufsteigern gleicht Idiotenwette

Also kaufen sie die entsprechenden Aktien bereits vor der eigentlichen Indexaufnahme auf eigenes Risiko zu – und verkaufen sie am Tage der Indexaufnahme dann an die Indexfonds. Der Kurseffekt wird so eher vorgezogen. Und am Tag der Indexaufnahme passiert – zumindest bei den Indexfonds – nichts. Anbieter und Market Maker tauschen Aktien gegen Geld , und das bei Aufsteigern wie Absteigern, ohne dass der Kurs sich einen Cent bewegt oder es gar einen Umsatz gibt. Wäre es anders, wäre es ein leichtes, mit derlei Transaktionen Geld zu verdienen, indem man sich auf die Lauer legt und einige Tage vor der Indexveränderung die Aufsteiger kauft.

Auch ein Blick in die Praxis offenbart das große Missverständnis – und zeigt, warum die Spekulation mit Indexaufsteigern einer Idiotenwette gleicht: Zwei Drittel der Indexaufsteiger in den Deutschen Aktienindex DAX liefen in den letzten 15 Jahren ab der Indexaufnahme schlechter als der DAX selbst. Viele Aufsteiger wie Salzgitter, MLP, Hypo Real Estate, Postbank oder K+S rückten mit einer aufgeblähten Börsenkapitalisierung in den DAX und schmierten anschließend ab.

Noch frappierender verlief eine naheliegende Spekulation auf einen Quasi-Abstieg im vergangenen Sommer: Seinerzeit spaltete Siemens seine Lichtsparte Osram ab. Für je zehn Siemens-Aktien gab es eine Osram-Aktie für Inhaber der Siemens-Aktie. Am 8. Juli begann der Handel mit den Osram-Aktien in Frankfurt – und ein „Absturz“ der Osram-Aktien sei „vorprogrammiert“, wie eine große deutsche Tageszeitung seinerzeit schrieb. Denn: Siemens sei nun einmal im DAX vertreten, Osram werde es hingegen nicht sein – woraus man messerscharf schloss, dass die ganzen Indexfonds die Osram-Aktien automatisch auf den Markt werfen müssten. Und der Kurs gewiss abschmiere, sobald die Osram-Aktien den Anlegern eingebucht werden und der Handel beginnt.

Wie wäre es mit einem Münzwurf?

Es kam anders, und zwar genau andersherum: Die Osram-Aktie nahm am 8. Juli bei 24 Euro den Handel auf, sank kaum darunter, schloss bereits am zweiten Handelstag bei knapp 28 Euro, kletterte anschließend binnen vier Wochen über die Marke von 30 Euro und notierte im März diesen Jahres bei über 50 Euro. Die Informationen über die Verkäufe waren schließlich bekannt und vermutlich schon am Tag der Handelsaufnahme technisch längst abgewickelt.

Wer eine anstehende Indexaufnahme als Grund heranzieht, eine Aktie zu kaufen oder zu verkaufen, der kann auch genauso gut eine Münze werfen als Entscheidungshilfe oder seine Transaktionen davon abhängig machen, in welcher Mondphase wir uns befinden oder mit welchem Bein er aufgestanden ist. Kursvorhersagen auf kurze Sicht aufgrund von möglichen Indexveränderungen sind schlicht Scharlatanerie, die kein ernsthafter Anleger ernst nehmen sollte.

Neueste Artikel