Nadine Oberhuber ist Wirtschafts- und Finanzjournalistin. Sie schreibt auf Capital.de über Geldanlagethemen
Es gibt die Idee von der Schwarmintelligenz. Für Businessentscheidungen nutzt man sie, für Absatzprognosen und zur Entwicklung neuer Produkte – immer dann, wenn es um die Einschätzung geht, wohin sich die Märkte wohl entwickeln werden. Demnächst. In der Zukunft also, in die noch kein einzelner verlässlich blicken kann. Im Prinzip funktioniert auch jedes Team nach dem Schwarm-Prinzip, wissen Soziologen, Psychologen und Ökonomen: Viele einzelne Menschen tragen zwar großes Wissen mit sich herum, aber erst wenn man viele solcher kleinen Intelligenzbestien bündelt, ihr Wissen aggregiert und koordiniert, dann ergibt sich eine völlig neue Form von Intelligenz. Eine kollektive Superintelligenz sozusagen, in der jedes Individuum weit über seine eigenen Grenzen hinauswächst. Warum sollte das also nicht auch an den Börsen klappen?
Genau nach diesem Schema legen tatsächlich viele Anleger an. Sie laufen mit der Masse und folgen dem Schwarm. Besonders schön ist das zu erkennen, wenn viertel- oder halbjährlich die Listen der Finanzindustrie herausgegeben werden, welche Produkte im vergangenen Quartal zu den meist verkauften gehörten. Oder wenn Fachmedien die Top-Ten der gefragtesten Fondsgattungen publizieren. Der Effekt ist meist: Die dort Aufgelisteten bekommen noch mehr Zulauf und rangieren in der nächsten Statistik vermutlich noch weiter oben. Warum ist das so? Weil Anleger, die auf der Suche nach neuen Investments sind, denken, dass all die anderen Anleger ja nicht irren können. Denn ein Fonds, der so oft gekauft wird, muss doch gewiss zu den besonders Guten gehören.
Meist stimmt das zwar für die jüngste Vergangenheit, doch in den allermeisten Fällen bewahrheitet sich das in der Zukunft so nicht mehr, warnen Verhaltensökonomen schon seit Jahren. Top-Performer bleiben immer Top-Performer – in der Vergangenheit. Schon morgen aber werden sie vermutlich nicht mehr zu den Stars der Branche zählen, sondern ins Mittelmaß zurückfallen oder weit dahinter. Weil es eben kein aktiver Fondsmanager schafft, den Markt dauerhaft zu schlagen. Und weil auch kein Marktindex dauerhaft im Aufstiegsmodus bleibt. Zumindest diese beiden Regeln können an den Börsen als gesichert gelten.
Liste der Mittelabflüsse ist interessanter
Was ist nun aber mit dem Schwarm, der so unverdrossen mal in diese, mal in jene Produkte prescht? Er ist dennoch ein guter Indikator. Wer aber clever ist, nutzt ihn und all die Absatzstatistiken als Kontraindikator. Denn wenn die Kaufrankings etwas zeigen, dann vor allem das: Wo im Markt derzeit das meiste „heiße Geld“ unterwegs ist, wo es also demnächst zu überzogenen Preisen und Gegenbewegungen kommen könnte. Marktexperten sagen daher: Viel spannender als die Liste, wohin das meiste Geld fließt, ist die Liste der Mittelabflüsse.
Den ungeliebten Fonds und Fondskategorien sollte man also die meiste Beachtung schenken. Denn sie sind diejenigen, die künftig das meiste Potenzial nach oben haben. Derzeit deutet einiges darauf hin, dass das stimmt. Sieht man sich die Statistiken des Fondsverbands BVI an, so war das Votum der Anleger in den ersten drei Monaten des Jahres klar: Sie kauften Immobilienfonds, Immobilienfonds und noch einmal Immobilienfonds. Unter den Plätzen eins bis zehn der meistverkauften Anlagen waren allein vier Gebäudefonds. Auf den übrigen Plätzen landeten dann vor allem Dividendenfonds und Rohstofffonds.
Mittlerweile staunen selbst langjährige Marktbeobachter, wie viel neues Geld die Immobilienpapiere anziehen: 2,2 Mrd. Euro waren es allein im Januar und Februar. Im gesamten Jahr 2015 hatten sie dagegen gerade einmal 5,3 Milliarden eingesammelt und nur 3,9 Milliarden im Jahr 2014. Derzeit „ertrinken offene Immobilienfonds in Frischgeld“, titelten Branchenberichterstatter fast ungläubig. Dabei sind attraktive Anlageobjekte, in die solche Fonds investieren könnten, derzeit extrem rar. Deshalb müssen einige Fonds schon den Zustrom neuen Geldes eindämmen, damit sie nicht zu viel Liquidität horten, die sie derzeit gar nicht am Häusermarkt unterbringen können. Denn diese Liquidität kostet sie und ihre Anleger Rendite.
Am Immobilienmarkt braut sich etwas zusammen
Der massenhafte Geldstrom ist auch deshalb verwunderlich, weil die Branche erst im Jahr 2008/2009 – zur Hochphase der Finanzkrise – genau den gegenteiligen Effekt erlebt hat. Damals zogen Anleger ihr Geld aus den Immobilienfonds ab und brachten viele der Produkte damit so stark ins Wanken, dass bis heute etliche Fonds abgewickelt und aufgelöst werden müssen. Die Flut plötzlicher Auszahlungswünsche konnten die Fonds nicht befriedigen, weil ihr Geld in Immobilien feststeckte und nicht so schnell flüssig gemacht werden konnte. Aus dieser Misere hat die Branche inzwischen gelernt. Neue Regeln sollen das hektische Hin und Her der Anleger bremsen.
Dennoch sollte man den Massenzustrom an Kapital als Warnzeichen sehen. Inzwischen sagen selbst zurückhaltende Analysten, dass sich am deutschen Häusermarkt in den Großstädten etwas zusammenbrauen könnte. Und dass die Bewertungen für Immobilien an einigen Standorten längst übertrieben sind. Auch die hohen Renditeaussichten der Vergangenheit von vier bis fünf Prozent halten die meisten künftig für nicht mehr erreichbar. Zuletzt schafften sie trotz des großen Immobilienbooms gerade einmal zwei bis drei Prozent.
Wo also herrscht am Markt gerade Ebbe? Das wäre dann doch der viel spannendere Bereich für Anleger. Erstaunlicherweise sind es gerade ausgerechnet die Aktienfonds, aus denen das Geld abfließt. Sie haben hierzulande allein im ersten Quartal 700 Mio. Euro verloren. Vor allem global anlegende Fonds und europalastige Aktienfonds waren längst nicht mehr so gefragt, auch bei vielen Indexanlegern nicht. Viele bekamen es angesichts der stürzenden Kurse im ersten Quartal mit der Angst zu tun und trauten den hohen Bewertungen am Aktienmarkt nicht mehr.
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Wer nur für eine sehr kurze Zeit anlegt, der kann natürlich tatsächlich ins Grübeln geraten. Auf Jahressicht verloren deutsche, europäische und internationale Aktienfonds im Mittel rund zehn bis 14 Prozent an Wert. Wer also im März 2015 einstieg und bereits jetzt wieder ausstieg, der hat sein Vermögen damit nicht unbedingt vermehrt. Aber lohnt es sich deswegen gerade jetzt, sein Geld abzuziehen und es in die nach wie vor beliebten Renten- oder Mischfonds zu stecken, oder eben in Immobilienfonds? Das darf man bezweifeln werden, wenn man sich die längerfristigen Wertentwicklungen vor Augen hält. Es reicht schon die Betrachtung der letzten drei Jahre, um festzustellen, dass keine Fondskategorie den Aktienfonds das Wasser reichen konnte: Mit 7,6 bis 8,3 Prozent Rendite waren sie die Spitzenreiter der Statistiken. Rentenfonds kamen gerade einmal auf drei Prozent, Mischfonds auf 3,5, Immobilienfonds schafften schlappe 2,2 Prozent.
Sicher werden einige einwenden, die Aktien hätten zufällig ein paar gute Jahre gehabt, aber das gleiche sich alles über die Zeit wieder aus. Auf zehn Jahre gerechnet liefen die Kategorien tatsächlich recht ähnlich, doch spannt man den Bogen über die Krisen von 2008 und 2001 hinaus, so setzen sich die Aktien mit deutlichem Abstand ab. Vor allem die deutschen und globalen Aktienfonds brachten sechs Prozent und mehr Rendite pro Jahr – und das war eher kein Ausrutscher, sondern liegt noch weit unter ihrem langjährigen Mittel. Rentenfonds dagegen schafften zwar in den vergangenen 20 Jahren auch 4,3 bis fünf Prozent jährlich, profitierten aber deutlich von den extrem hohen Zinsen in dieser Zeit. Dass die Welt sehr bald zu diesem Niveau zurückfindet, glauben indes nicht sehr viele Finanzexperten. Und damit sich Mischfonds wieder zu alter Höhe von 5,5 Prozent aufschwingen können, muss wohl erst wieder ein neuer Rohstoffhype her. Wann der kommt, ist ungewiss.
Gewiss ist dagegen: Errechnet man die Durchschnittsrenditen noch langfristiger, waren bei Aktienfonds sogar sieben bis acht Prozent drin, jährlich und kontinuierlich für die vergangenen 40 bis 50 Jahre, sagen Auswertungen des Deutschen Aktieninstituts. Natürlich sind auch das Vergangenheitsbetrachtungen, aber immerhin welche, die so weit zurückreichen, wie kaum ein Anleger denkt. Ob es also wirklich so clever ist, dem Schwarm zu folgen und sein Depot häufiger mit dem Strom von einer Kategorie zur nächsten umzuschichten, darüber mag jeder für sich nachdenken.
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