Nadine Oberhuber ist Wirtschafts- und Finanzjournalistin. Sie schreibt auf Capital.de über Geldanlagethemen
Manchmal verschieben sich die Verhältnisse, wenn sich das Umfeld ändert. Mit 1,70 Meter ist ein Mann nicht gerade groß geraten, da würden die meisten Menschen zustimmen. Er wird sich unter Seinesgleichen zwar grundsätzlich wohlfühlen, aber gelegentlich auch ein wenig klein, denn im Schnitt sind andere Männer 1,83 Meter groß. Im Kreise einer ausgewachsenen Basketballmannschaft wird dieses Ausnahmegefühl dann wahrscheinlich zum Normalzustand, er findet sich etwas kurz geraten. Doch steht ein 1,70-Mann plötzlich unter lauter Frauen, die zumindest laut Statistik im Schnitt genauso groß sind wie er selbst, dann fühlt er sich wieder gut. Und allein unter Grundschülern vielleicht sogar wie ein Riese. So ähnlich ist es derzeit mit der Lebensversicherung und ihrer Rendite.
In den vergangenen Jahren hörte man immer wieder die Klage, wie klein die Renditen der Lebens- und Rentenversicherungen inzwischen sind und dass sie überdies stetig zusammenschrumpeln. Was ja auch den Tatsachen entspricht. Von ehemals sechs bis sieben Prozent, die solche Verträge noch im Jahr 2000 an laufender Verzinsung abwarfen, sind heute nicht einmal mehr drei Prozent übrig. Sogar nur 2,88 Prozent, um genau zu sein. Das ist wenig. Deswegen raten Verbraucherschützer seit geraumer Zeit: Schließen Sie bitte keine kapitalbildenden Versicherungen mehr ab! Sie lohnen sich einfach nicht mehr. Wenn man so will waren die Lebensversicherungen also die 1,70-Meter-Männer, die inmitten von Basketballmannschaften standen.
Mit Mischfonds vergleichbar?
Nun sind aber die Zinsen durch die Bank geschrumpft. Und Basketballstars sind ohnehin rar und dieser Tage kaum noch zu finden. Deswegen machen manche Anleger jetzt eine andere Rechnung auf: Welche Finanzprodukte bringen denn heute überhaupt noch Zinsen bei einer halbwegs sicheren Anlage? Bundesanleihen werfen fast nichts mehr ab und rentieren jetzt sogar im negativen Bereich, sie kosten den Sparer also Geld. Ernst zu nehmende Erträge auf Tagesgeldkonten gibt es schon längst nicht mehr. Und selbst mit Unternehmensanleihen stabiler Großkonzerne machen Sparer kaum noch Rendite. Derzeit sind die Zinsen so klein wie Kinder. Sehen da nicht die 2,88 Prozent der Lebensversicherer fast übermenschlich groß aus?
Die Versicherungsunternehmen schüren diesen Eindruck, indem sie dieser Tage offensiv zum Kauf auffordern: Wer schnell noch eine Lebens- oder Rentenpolice in diesem Jahr abschließt, der könne sich jetzt noch die alten „guten Konditionen“ sichern. Bevor ab 2017 der Garantiezins erneut sinkt und die laufende Verzinsung wohl ebenso.
Doch der Schein trügt. Man muss nämlich genau hinschauen, was hier tatsächlich zurzeit mit 2,88 Prozent verzinst wird: Es ist die „durchschnittliche laufende Verzinsung“, die 2016 für Verträge gezahlt wurde, wie es so schön heißt. Es sind die Jahreszinsen, die Versicherer ihren Kunden aktuell für Verträge gutschreiben und über deren Höhe die Anbieter jedes Jahr neu entscheiden. Also denkt nun mancher Anleger: Das bedeutet doch, dass die Rendite momentan gemessen an den sonstigen Zinsen recht üppig ist. Und sie wird ja auch wieder steigen, wenn wieder bessere Zinszeiten herrschen.
Mit diesen 2,88 Prozent werfen doch Versicherungen einen Ertrag ab, der zum Beispiel mit demjenigen von Mischfonds vergleichbar ist, oder nicht? Mischfonds brachten laut Berechnungen des Fondsverbands BVI im Marktschnitt über die vergangenen 15 Jahre einen Ertrag von drei Prozent für Sparplananleger. Wer also monatlich 100 Euro regelmäßig eingezahlt hat – 18.000 Euro insgesamt – der hätte daraus von 2001 bis heute 22.600 Euro gemacht. Der Unterschied zwischen beiden ist aber: Bei der Versicherung zahlt der Kunde zwar auch monatlich 100 Euro ein – aber er spart keine 100 Euro an.
die garantierte Beitragsrendite beachten
Denn von den Beiträgen zwackt das Versicherungsunternehmen noch eine Reihe von Kosten und Gebühren, Provisionen und Risikoabschlägen ab. Erst das, was danach noch übrig bleibt, wird mit den besagten 2,88 Prozent verzinst. Und das auch nur in diesem Jahr, im nächsten wird es vermutlich wieder einmal weniger sein. Wie groß also ist dieser Rest? Das lässt sich nicht genau sagen, denn bei ihren Kosten und Risikoabschlägen lassen sich Versicherer sehr ungern in die Karten schauen. Man kann aber eine andere Kennzahl betrachten und das sollte man auch dringend: die garantierte Beitragsrendite.
Diese Zahl nämlich besagt, wie hoch die Rendite ist, für die der Versicherer wirklich einsteht und zwar bezogen auf die Gesamteinzahlung, die der Sparer über die Jahre geleistet hat. Nehmen wir wieder die 15-Jahres-Police mit den 18.000 Euro, die in 100-Euro-Tranchen monatlich eingezahlt wurden. Wie werden die sich wohl bis zum Ende der Laufzeit verzinst haben? Das errechnen Branchenexperten aus den Werten, die Versicherer in den Verträgen nennen und den Kunden auch garantieren, aus den garantierten Ablaufleistungen. Wenn man einen Blick auf diese Beitragsrendite wirft, fühlt sich fast jeder Versicherungskunde klein: Sie liegt im Schnitt bei 0,36 Prozent. Das ist die Gesamtrendite, von der ein Sparer sicher ausgehen kann – nach 15 Jahren.
Nicht bei allen Versicherern erreicht die Beitragsrendite diese – nennen wir es mal „bemerkenswerte“ – Größe. Bei vielen ist es sogar noch weniger, im schlechtesten Falle beträgt die Rendite gar nur 0,06 Prozent und ist damit kaum noch existent. Bei rund einem Drittel der Anbieter sind die garantierten Beitragsrenditen sogar geringer als die derzeitige Inflationsrate, die mit 0,3 Prozent schon winzig ist. Von einer wertbeständigen Sparanlage kann man da nicht mehr sprechen. Unterm Strich bekommt der Sparer nämlich nach 15 Jahren genau das Geld heraus, was er viele Jahre lang eingezahlt hat. Da hätte man das Geld im Grunde genommen auch auf dem Tagesgeldkonto lagern können.
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An dieser Stelle erhebt die Versicherungsbranche gewöhnlich Einspruch. Denn sie zahlt ihren Kunden ja nicht nur die garantierte Rendite, sondern es kommen ja noch Überschüsse und Schlussüberschüsse hinzu. Das ist korrekt, das Problem ist nur: Für deren Höhe kann und will niemand eine Garantie übernehmen, deswegen kann auch niemand sagen, wie hoch sie letztlich sein werden. Man darf davon ausgehen, dass die Gesamtrendite besser sein wird als es die garantierte Rendite fürchten lässt. Doch wie gut die Verträge in den kommenden Jahren noch verzinst werden, lässt sich schlicht nicht prognostizieren. Die Anbieter versuchen es dennoch. Sie rechnen einfach die derzeitigen Zahlen und die Werte aus der Vergangenheit auf die Zukunft hoch und kommen dann auf einen Wert, der ausdrücklich nur als Beispielrendite zu verstehen ist. Er liegt derzeit bei 2,5 Prozent, so hoch könnte der Ertrag in Zukunft sein. Wobei er ebenfalls arg schwankt: Die besten Versicherungskonzerne hoffen, dass sie etwas mehr als drei Prozent herausholen, während die schlechtesten lediglich davon ausgehen, dass sie 1,3 Prozent Gesamtrendite schaffen. Es kommt also stark darauf an, mit wem man einen Vertrag abgeschlossen hat.
Warum nicht gleich einen Aktienfonds?
Außerdem ist entscheidend, welche Art von Police man wählt: Nimmt man eine Klassikpolice, die noch den herkömmlichen Garantiezins verspricht? Sie werden immer seltener, weil die Konzerne sie zum Teil auch nicht mehr aktiv anbieten. Oder lässt man sich auf einen Vertrag ein, der weniger Garantien gibt, den Sparer aber dafür stärker an den Schwankungen des Kapitalmarkts beteiligt, wie Neue Klassikpolicen oder Indexpolicen, die von der Branche jetzt wieder vehement verkauft werden. Das kann gut ausgehen für den Kunden oder eben auch nicht, man weiß es erst in 15 Jahren. Bisher entschädigen die Anbieter diejenigen Kunden, die sich für die gewagteren Policen entscheiden mit einem Hauch mehr Verzinsung pro Jahr. Zwischen beiden Arten liegen aber im Schnitt nur 0,14 Prozent. Die machen das Konto am Ende auch nicht gerade fett. Dafür sind die Kosten hoch, die gerade bei Indexpolicen vom Sparanteil abgezwackt werden.
Da sollte man sich eines fragen: Wenn man schon auf das Prinzip Hoffnung setzt – was man tut, wenn man davon ausgeht, dass die Versicherer ihre optimistischen Prognosen einhalten, was ihnen zumindest in den vergangenen Jahren nicht gelang – warum hofft man dann nicht gleich auf die oben erwähnten Mischfonds? Oder gleich auf reine Aktienfonds, statt auf Versicherungsprodukte, in denen ebenfalls Aktien stecken, die aber dafür ein Vielfaches kosten und nur einen Teil der Gewinne an die Anleger weiterreichen? Mit Mischfonds sind auf lange Sicht Renditen von 4,5 bis fünf Prozent drin und das gilt gerade für lange Sparzeiträume von 20 bis 30 Jahren. Mit Aktienfonds sind es sogar sechs bis sieben Prozent Rendite. Das ergibt nach vielen Jahren des Sparens mit ziemlicher Sicherheit mehr, als Versicherungen künftig abwerfen werden, selbst wenn ihre kühnsten Prognosen in Erfüllung gehen. Auf die Entfernung sehen knapp drei Prozent dann doch ein bisschen klein aus.
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