Nadine Oberhuber ist Wirtschafts- und Finanzjournalistin. Sie schreibt auf Capital.de über Geldanlagethemen
Pferde strotzen vor Bewegungsdrang, das wissen nicht nur Tierfreunde, sondern auch das chinesische Horoskop. Darin gelten Pferdejahre als besonders abenteuerlich, wild und zu vielerlei Höchstleistungen fähig. Noch steht das chinesische Jahr unter dem Tierkreiszeichen des Pferdes, jedenfalls bis zum Neujahrsfest am 19. Februar. Und bisher machte 2014 seinem Sternzeichen auch alle Ehre, auch an den Börsen: Am chinesischen Aktienmarkt galoppierten die Kurse davon und legten auf Jahressicht 50 Prozent zu. Auch für das laufende Jahr galt China als der große Renditebringer, zumal die Regierung es ausländischen Anlegern erst im November erheblich einfacher machte, chinesische Aktien zu kaufen. Doch vergangene Woche gingen den Investoren die Pferde durch: Die Börsen erlebten den schlimmsten Kurssturz seit sechs Jahren.
Während die Aktien ohnehin schon auf Crashkurs gingen, meldete China auch noch das niedrigste Wirtschaftswachstum seit 24 Jahren. Höchststände gab es zuletzt eher im negativen als im positiven Bereich. Nun grassiert die Angst: Was ist bloß im Reich der Mitte los? Und was bedeutet es für Anleger weltweit, wenn das Zugpferd in Sachen Wachstum ausfällt?
Zunächst einmal muss man beide Dinge voneinander trennen, nämlich das Kurswachstum und das Wirtschaftswachstum. Beide haben nämlich am anderen Ende der Welt erstaunlich wenig miteinander zu tun. Zwar ist China durch sein starkes Wachstum der vergangenen Jahre zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt hinter den USA aufgestiegen und zuletzt auch zum zweitgrößten Aktienmarkt. Der Wert aller Aktien in China beträgt mittlerweile rund 4,5 Billionen Dollar, das ist mehr als der bisher auf Nummer zwei gesetzte japanische Markt zusammenbringt. Aber: Der Höhenflug am Aktienmarkt gründete sich nicht auf die Wirtschaftsleistung des Landes. Es war vielmehr eine staatlich verordnete Hausse.
Weg frei zu begehrten Aktien vom Festland
Die Liberalisierung und Marktöffnung ist das große, erklärte Ziel der Regierung. Deshalb lautete der Staatsauftrag an die Provinzregierungen: Sie sollten landesweit Firmen privatisieren. Immer mehr Firmen fanden so zuletzt den Weg an die Festlandsbörsen in Shanghai und Shenzhen. Große Staatskonzerne ebenso wie hunderte kleinere Unternehmen in allen Landesteilen. Zudem bereitete die Regierung neue Regelungen vor, die ausländischen Investoren den Aktienkauf erleichtern soll. Bis dahin unterlagen sie strengen Auflagen, wenn sie sich an chinesischen Firmen beteiligen wollten und konnten nur über die Börse Hongkong Aktien kaufen, überdies nur dort gelistete Hongkong-Aktien.
Doch seit November ist nun auch der Weg zu den begehrten A-Aktien frei, zu Papieren von Festlandfirmen. Die nämlich reagierten viel stärker auf die große Aktienrally, freilich auch auf frühere Crashs. Und als wolle die Staatsregierung ihren Bürgern mit auf den Weg geben, sie sollten sich lieber Anteile an heimischen Firmen sichern, bevor es die Ausländer tun, senkte sie auch noch die Brokergebühren beim Aktienkauf und die Notenbank spülte über Zinssenkungen frisches Geld ins Land.
Da ließen sich die Bürger nicht zweimal bitten. Sie fassten wieder Vertrauen in den Aktienmarkt, nachdem die Kurse – nach zwei großen Abstürzen 2007 und 2009 - jahrelang vor sich hin dümpelten und deckten sich 2014 reichlich mit Aktien ein. Zwischenzeitlich kletterte der Aktienindex CSI 300 mit den 300 größten Festlandfirmen um 70 Prozent. Es kam zum regelrechten Hype: Die Aktien von Börsenneulingen waren mehrfach überzeichnet und schossen bei der Erstnotiz durch die Decke. Selbst Kleinanleger kauften wie besinnungslos Papiere von Firmen, ohne zu wissen, womit die überhaupt ihr Geld verdienen. Besonders beliebt waren Termingeschäfte auf Pump, wie sie Großbroker in der Hoffnung auf weitere Kurssteigerungen in Mengen abwickelten. Monatelang ging alles gut.
Acht Prozent Minus an einem Tag
Nun ist der Regierung bange geworden. Sie hat den kreditfinanzierten Handel unterbunden und Maklerfirmen mit mehrmonatigen Sperren belegt. Damit wollte sie einen großen Crash verhindern, wie das Land ihn erst 2007 erlebt hat, als die letzte große Kursblase platzte, die Kleinanleger und Kreditkäufer ebenfalls aufgebläht hatten und sich der Indexstand in wenigen Monaten halbierte. Doch genau dadurch hat sie den Jahresanfangscrash erst ausgelöst. An der Börse gingen die Pferde durch und die Kurse rauschten in den Keller. Knapp acht Prozent verlor der Index vergangene Woche an nur einem Tag.
Die Nachricht vom schrumpfenden Wachstum klapperte erst einen Tag später hinterher. Und wie zum Beweis, wie wenig Wirtschaftswachstum und Aktienmarkt voneinander abhängen, erholten sich die Börsen daraufhin prompt wieder.
Seit 2007 können Anleger das bereits beobachten: Während die Wirtschaft jedes Jahr um acht, neun oder sogar zehn Prozent zulegte, fuhr der CSI300 im gleichen Zeitraum eine Negativrendite von sieben Prozent pro Jahr ein. Der Hype von 2014 macht noch längst nicht wett, was der jähe Absturz von 2007 an Kapital vernichtet hat. Genauso wenig bilden die Aktienkurse ab, was die chinesische Volkswirtschaft leistet, die zuletzt immerhin für die Hälfte des gesamten globalen Wachstums verantwortlich war. Der Weltindex MSCI legte im Gegensatz zum Chinaindex in der gleichen Zeit zu, kumuliert um 2,5 Prozent jährlich. Wie geht es nun weiter?
Stockpicking lohnt sich in China
Zumindest geht es weiter bergauf. Wenn die Prognosen des Internationalen Währungsfonds stimmen, liegt Chinas Wachstum in den kommenden Jahren mit knapp sieben Prozent immer noch weit über dem fast aller anderen Länder. Nur Indien kann dem Reich der Mitte dabei den Rang ablaufen. Optimisten sagen, China kann damit seinen bisherigen Kurs fortsetzen und auch künftig zehn Millionen neue Arbeitsplätze pro Jahr garantieren. So wird auch das Jahres-Durchschnittseinkommen wachsen, das sich seit der Jahrtausendwende von 1000 auf 8000 Dollar verachtfacht hat. Gemessen an den Konsumausgaben bleibt China mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern also wohl zweitgrößter Absatzmarkt und Zugpferd für die Welt.
Davon könnten Anleger partizipieren, wenn sie einen Indexfonds auf den CSI300 kaufen, der mit echten Aktien den Index der 300 größten Festlandaktien abbildet. Oder besser noch auf aktiv gemanagte Fonds, die „Greater China Growth“-Papiere bündeln, also Wachstumswerte aus China, Hongkong und Taiwan. Denn in unregulierten Märkten zahlt sich die gezielte Auswahl von Papieren, das Stockpicking, eher aus. Auch in MSCI-Emerging-Markets-Indexfonds stecken zu rund einem Fünftel chinesische Papiere. Das ist zwar weit weniger, als von der Wirtschaftsleistung her angemessen wäre, aber vielleicht gerade deswegen ein guter Puffer. Denn jedem, der in China anlegt sollte klar sein: Die Aktienmärkte dort haben sich wegen der starken Regierungseingriffe zwar geöffnet, aber auch vollends von der Realwirtschaft abgekoppelt.
Die Kurse fielen lange, obwohl die Wirtschaft boomte. Steigen sie nun also weiter, auch wenn sich der Boom abschwächt? Das muss das Jahr erst noch zeigen. Ab dem 19. Februar steht das Geschehen an den Börsen zumindest unter einem guten Vorzeichen: Dann beginnt das Jahr des Schafes. Das verheißt traditionell Frieden, Freundlichkeit und viel Moral. Höchstleistungen sind von Schafsjahren eher nicht zu erwarten, dafür aber viel Harmonie – vielleicht auch an den Börsen.