Noch immer treten Großbritannien und die EU in ihren Verhandlungen, um ein Brexit-Abkommen auf der Stelle. Während auf dem europäischen Festland alle Augen gebannt auf den Fortschritt der Verhandlungen gerichtet sind, ist die britische Boulevardpresse vor allem über einen Teilaspekt im Brexit-Streit erzürnt: Die Importbeschränkungen für britische Sausages und Fleischprodukte.
Denn Brüssel will den Import britischer Würste bei einem „No-Deal-Brexit“ nach Irland nur in tiefgefrorenem Zustand – erlauben. Grund sind die EU-Lebensmittelregeln für Drittstaaten, die ohne ein Handelsabkommen auch für alle Fleisch- und Wurstwaren aus Großbritannien gelten würden . Da Irland nach Ablauf der Frist als einziges Land des Vereinigten Königreichs noch im EU-Binnenmarkt bleibt, würde die neue Regelung auch für den irisch-britischen Handel gelten.
Britische Medien fürchten den „Wurst Case“
Den britischen Medien und auch einigen Politikern kommt das einem Importverbot gleich. London konterte daraufhin, dass es dieselben Maßnahmen bei einem „No-Deal-Brexit“ ebenfalls für Wurst- und Fleischwaren vom europäischen Festland in Erwägung ziehe .
In Großbritannien haben es die Würstchen daher längst in die Schlagzeilen geschafft, allen voran die Boulevardpresse sieht in der möglichen Importregelung einen Angriff auf die heimischen Produkte. „Negotiations take a turn for the wurst“, scherzt etwa die Zeitung The Week. Die Daily Mail scherzt ebenfalls man befürchte „the wurst“ . Und auch die sonst zurückhaltende Times berichtet über einen „Wurst-Krieg“ und erinnert an die Politik-Sitcom „Yes Minister“. Dort behauptete sich der fiktive Charakter Jim Hacker schon einmal gegen den Plan der EU, die beliebten „Bangers“ zu verbieten.
Sollten die EU und Großbritannien sich nicht einigen, so die einhellige Meinung der Medienlandschaft drohe ein gegenseitiges „Wurst-Verbot“, das für Europa damit enden könnte, dass „irische Würstchen nicht mehr in britischen Supermarktregalen ausliegen und deutschen Bratwürsten in Calais die Weiterfahrt verweigert wird“, so die Times.
Lebensmittel als Streitpunkt im Brexit
Die britische Fleischindustrie hofft indes auf eine Ausnahme von der EU-Regelung. Vor allem die nordirische Fleischwirtschaft, die einen Löwenanteil der britischen Exporte auf’s europäische Festland ausmacht, würden die neuen Regeln ab 1. Januar schwer treffen. Sie exportierte in 2018 300.000 Tonnen Fleisch mit einem Gegenwert von 1,3 Mrd. Euro in die EU. Der Import von tiefgekühlten Fleisch ist umständlicher und könnte Importeure der EU abschrecken, sorgen sich viele Produzenten. Zudem fehlen die Kühlkapazitäten, um die Waren bis zum Export entsprechend zu lagern.
Wurst- und Fleischprodukte sind dabei nicht die ersten Lebensmittel, die rund um den Brexit für Ärger sorgen. Die Lebensmittelbranche gilt als einer der wichtigsten Sektoren . Nach Angaben des britischen Landwirtschaftsministerium stammten knapp 45 Prozent der konsumierten Lebensmittel in 2019 aus dem Ausland, 26 Prozent davon von EU-Mitgliedsländern. Jedes Vierte wurde vom europäischen Festland importiert. Umgekehrt geht mehr als die Hälfte der britischen Lebensmittelexporte im Wert von 14,6 Mrd. Pfund an die EU-Mitgliedsländer.
Gerade die Neuregelungen von Produktionsstandards, Zertifikaten für Einfuhr oder der Kennzeichnung von Waren haben in den vergangenen Monaten immer wieder für Streit gesorgt. Eine kleine Auswahl zeigt diese Bilderstrecke.
Auch diese Lebensmittel sorgen rund um den Brexit für Ärger
Diese Lebensmittel geraten zwischen die Brexit-Fronten

Makrelen, Heringe, Schollen und Seezungen zählen zu einem der Hauptstreitpunkte in den Verhandlungen um ein britisch-europäisches Handelsabkommen. Anstatt um Lebensmittelstandards geht es dabei aber vor allem um den Fischfang. Mit dem Ende der Übergangsphase will Großbritannien dort deutlich mehr Zurückhaltung europäischer Fischer. Rund 80 Prozent des Fisches im Ärmelkanal fangen französische Fischer, ihre britischen Kollegen gerade mal neun Prozent. EU-Chefunterhändler Michel Barnier hatte bereits auf eine Senkung der Quoten um 15 Prozent plädiert, Großbritannien fordert aber deutlich mehr Zurückhaltung auf Seiten der EU. Erzielen beide Seiten bis zum 31. Dezember keine Einigung könnten laut der europäischen Fischereiallianz bis zu 6000 Fischereijobs verloren gehen. Betroffen wären davon vor allem Frankreich Belgien, Dänemark und die Niederlande.

Nach Fisch und Würstchen hat vor allem die britische Boulevardpresse längst ein neues Aufreget-Thema gefunden: Nach den Würstchen sei auch das inoffizielle Nationalgericht „Fish and Chips“ in Gefahr. Denn ohne Handelsabkommen dürfen britische Speise- und Saatkartoffeln nicht mehr in die EU importiert werden. Das bestätigt auch die britische Regierung auf ihrer Internetseite. Grund sind die EU-Standards im Bezug auf die Produktion und Pflanzengesundheit, die einer separaten Vereinbarung mit Großbritannien bedürfen. Noch fehlt diese Vereinbarung allerdings. Die Folge dürften viele irische „Chip shops“ zu spüren bekommen. Sie setzen bei der Herstellung der Katoffelstäbchen auf britische Kartoffeln, die ab 2021 aus einem Drittland stammen.

Ein weiterer Sektor, den der Brexit trifft, ist die nordirische Whiskey-Produktion. Ähnlich wie Milchbranche setzt sie auf Lieferketten über das gesamte Königreich verteilt und das seit Jahrzehnten. Aktuell stammt rund ein Viertel aller verkauften Whiskeys aus Zutaten sowohl aus der Republik Irland als auch aus dem Rest des Vereinigten Königreichs. Nach der Übergangsphase wird genau das zum Problem. Denn ein EU-Label kann nicht gelten, wenn ein Teil der Zutaten und der Produktion außerhalb Irlands und damit des EU-Binnenmarktes liegt. Zwar hatte der Verband der Irish Whiskey Association mit Brüssel lange über eine Sonderregelung diskutiert. Im Juni stellte die Kommission allerdings klar: Stammen bedeutende irische Zutaten aus nicht aus Irland, kann der betroffene Whiskey nicht zollfrei in der EU vertrieben werden. Auch für andere Handelspartner wie Australien – einer der größten Abnehmer – fielen dann Zölle in Höhe von fünf Prozent an.

Im Streit zwischen den Verhandlungspartnern geht es nicht immer nur, um die Angleichung bestehender Regeln. Auch mit Zolldrohungen versucht London immer wieder seine Verhandlungsmacht zu stärken. Ende Januar, nur wenige Tage vor dem offiziellen Brexit kündigte Premierminister Boris Johnson daher an, bei einem No-Deal-Brexit könnte das Vereinigte Königreich die Zölle auf einige französische Käsesorten um 30 Prozent anheben. Frankreich exportierte im vergangenen Jahr Nahrungsmittel im Wert von 5,5 Mrd. Euro nach Großbritannien. Neben Käse und weiteren Milchprodukten fallen dort auch Wein und Getreide ins Gewicht. Spanien zitterte zwischenzeitlich um geplante britische Zölle auf Clementinen- (16 Prozent) und Orangenimporte (3,5 Prozent). Spanien ist mit 90.000 Tonnen Hauptlieferant von Orangen für das Vereinigte Königreich.

Auch der süße Brotaufstrich sorgte aufgrund des Brexit für Reibereien. Allerdings nicht zwischen den Verhandlungspartnern, sondern zwischen einem deutschen Abgeordneten des EU-Parlaments und der britischen Klatschpresse. Angesichts des Brexits schrieb der SPD-Europaabgeordnete Jakob von Weizsäcker im Jahr 2017 eine schriftliche Anfrage an die EU-Kommission. Die Frage: Könne man nach dem Brexit die Bezeichnung für Marmelade ändern? Seit einer entsprechenden EU-Verordnung von 1979 und deren Neufassung von 2001 gelten nach britischem Vorbild nämlich nur Brotaufstriche als Marmelade, die mindestens 20 Prozent Zitrusfruchtanteil beinhalten. In Großbritannien trifft das ausschließlich auf das Traditionsprodukt Orangenmarmelade zu. Alle weiteren Brotaufstriche gelten dagegen als Konfitüre. Vor allem in der britischen Klatschpresse erhitzte die Anfrage die Gemüter und sorgte für bissige Spitzen in den Kommentarspalten. Die EU-Kommission antwortete dagegen nüchtern, dass eine solche Änderung nicht vorgesehen sei.

Die erste Folge des Brexit bekamen viele Briten fast unmittelbar nach dem Referendum in 2016 zu spüren: Der Brotaufstrich Marmite, der im Vereinigten Königreich äußerst beliebt ist, war vorübergehend nicht im Online-Sortiment der größten Supermarktkette Tesco erhältlich. Der Grund: Hersteller Unilever hatte angesichts des Wertverlusts des Britischen Pfund unmittelbar nach dem Brexit-Votum einen Preisaufschlag von zehn Prozent gefordert. Tesco lehnte ab und nahm die Produkte des britisch-niederländischen Konzerns aus dem digitalen Sortiment. Sehr zum Ärger der Briten. Die Zeitung „Guardian“ titelte der Streit sei der erste Vorbote über die wahren Kosten des britischen EU-Austritts und die Financial Times bezeichnete den Umstand als „Marmite-Krieg“. Nach wenigen Tagen legten beide Unternehmen den Streit allerdings bei.