CAPITAL: Herr Felbermayr, Ihr Institut sagt für 2020 einen Konjunktureinbruch um 0,1 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts voraus, ein um 1,2 Prozentpunkte geringeres Wirtschaftswachstum als Sie vor dem Ausbruch des Coronavirus geschätzt hatten. Wie kommen Sie darauf?
FELBERMAYR: Die genauen ökonomischen Kosten, die uns durch das Coronavirus entstehen, können wir momentan nicht seriös beziffern. Wir müssen mit Szenarien arbeiten, also: was-wäre-wenn. In unserer Rechnung haben wir unterstellt, dass die Corona-Pandemie bis zur Jahresmitte abflaut und es dann zu spürbaren wirtschaftlichen Aufholeffekten kommt. Dafür spricht, dass beispielsweise in China der Höhepunkt der Corona-Ausbreitung recht schnell überschritten war, die Ansteckungszahlen nun zurückgehen und Produktionen bereits wieder anlaufen. Dagegen spricht, dass momentan kaum abzusehen ist, wie stark die Krise Italien wirklich erwischt, welche Schwierigkeiten das für die Eurozone bringt und was Corona für die Wirtschaft in den USA bedeutet. Unsere Prognose ist daher mit einer erheblichen Unsicherheit behaftet, auch weil keiner weiß, wie die Menschen sich verhalten werden – allein aus Angst vor dem Virus.
Warum ist das so wichtig?
Wenn die Menschen ihr Verhalten ändern, wenn sie Angst haben, ins Restaurant zu gehen, nicht mehr ins Fitnessstudio gehen und nicht mehr reisen, dann wirkt das viel direkter auf die Wirtschaft als Krankheitsfälle in Unternehmen. Die Menschen kaufen nichts mehr, das hat direkte Folgen. Wie groß dieser psychologisch bedingte Schaden ausfällt, das ist schwer zu quantifizieren. Aber ich schätze 90 Prozent des Abschwächungseffekt auf die Wirtschaft kommt aus Panik.
Wie können wir den Schaden trotzdem möglichst gering halten?
Ganz wichtig ist eine gute Kommunikation der Politik. Wir müssen vermitteln, dass wir Messen absagen müssen, Versammlungen und Großveranstaltungen. Das sind harte Maßnahmen, die notwendig sind, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Aber gleichzeitig sollten Politiker deutlich machen, dass es unangebracht ist, in Panik zu verfallen.
Das ist der Nachfrageeffekt auf die Wirtschaft: Konsumieren die Menschen aus Angst nicht mehr, machen viele Unternehmen keinen Umsatz. Aber aus China kommen auch Teile, die wichtig für die Produktion in deutschen Unternehmen sind. Ist es eine berechtigte Sorge, dass die Fließbänder in Deutschland deswegen stillstehen?
Das ist auf jeden Fall eine berechtigte Angst. Wir haben mittlerweile in vielen Branchen just-in-time-Produktionen , bei der die Teile erst kurz vor der Verarbeitung geliefert werden. Das ist günstig für die Unternehmen. Die Lieferzeiten aus China betragen ungefähr vier bis sechs Wochen, jetzt im März wird sich daher das tatsächliche Ausmaß dieser Problematik zeigen. Wenn es für Teile aus China oder Italien keine Substitute gibt, muss nicht viel fehlen und die Produktion steht still. Wenn in einem Motor ein Teil fehlt, dann kann man ihn nicht bauen. Das wird zu einem Umdenken bei den Produzenten führen.
Sind Sie sich da sicher? Auch nach den letzten globalen Krankheitsausbrüchen hat sich wenig geändert an der Strategie der just-in-time-Produktion.
Das stimmt. Doch die letzten weltweiten Seuchen waren anders. Keine betraf eine so große Volkswirtschaft wie das aktuelle Virus. Weder Ebola noch SARS. Ebola war für die Weltwirtschaft irrelevant, weil die betroffenen Länder in Afrika für den Welthandel nahezu unbedeutend sind. SARS traf 2003 auf ein China, das wirtschaftlich ein Viertel so groß war wie heute. Heute kommen 28 Prozent der weltweiten Industrieproduktion aus China. Man kann also davon ausgehen, dass die Reaktion diesmal heftiger ausfällt. Es könnte sein, dass Unternehmen ihre Lieferketten peu à peu ändern. Die Managementpraktiken werden sich sogar ganz bestimmt verändern.
Eine kostengünstige Produktion vieler Teile in Deutschland dürfte kaum möglich sein. Was können Manager dann ändern?
Natürlich haben die ihre Optimierungskalküle bei den Produktionskosten. Die werden sie auch nicht ändern. Was sich ändert, ist ihre Wahrnehmung. Sie merken jetzt, dass sie die Fragilität der Lieferketten bisher womöglich unterschätzt haben. Also werden die Lieferketten in Zukunft in den Optimierungskalkülen der Manager ein höheres Gewicht bekommen.
Könnten Unternehmen durch das Coronavirus also wieder vermehrt auf die Produktion in Deutschland setzen?
Das Virus per se wird keine so großen Effekte haben auf die Lieferketten. Aber wir hatten schon Brexit, Trump und den Handelskrieg. Wir sind in einem Umfeld, in dem die Globalisierung zum Stillstand gekommen ist. Der Welthandel wächst seit einer Dekade nicht mehr. Unternehmen sind also schon jetzt ein Stück weit dabei, durch Automatisierung und andere Mittel die Produktion näher an sich zu binden. Wenn es ein Risiko gibt, dass plötzlich ein neuer Zoll erlassen werden kann, dann macht das die Kosten unkalkulierbar und dann geht der Trend in die Richtung, die gesamte Wertschöpfungskette näher am Endverbraucher zu platzieren. Diesen Trend gab es bereits und der wird durch das Coronavirus natürlich verstärkt.
Kaum breitete sich das Virus aus, wurden Rufe nach Staatshilfen laut. Sind die Unternehmen bei den Lieferketten vielleicht ein zu hohes Risiko eingegangen, weil sie wissen, dass sie zur Not unterstützt werden – ähnlich wie Banken?
Das Geschäftsmodell der Investmentbanken ist das Spiel mit dem Risiko. Sie können Staatshilfen in ihre Risikobewertung einkalkulieren. Aber diese Bail-Out-Logik gibt es bei produzierenden Unternehmen in dem Ausmaß nicht. Sie machen Geschäfte mit realen Produkten. Wenn sie ihre Vorprodukte nicht geliefert bekommen, bedeutet das einen Produktionsausfall. Da lohnt es sich nicht auf Rettungsaktionen der Politik zu setzen. Was wir jetzt sehen sind konjunkturelle Maßnahmen wie Kurzarbeit. Das ist auch richtig so. Denn es hilft den Unternehmen, die Strukturen und Arbeitsplätze über die Krise zu retten.
Die amerikanische Zentralbank hat als Reaktion auf das Coronavirus den Leitzins gesenkt, die EZB hat diese Woche beschlossen, ihre Anleihekäufe auszuweiten. Bringt billiges Geld überhaupt etwas, wenn Menschen aus Panik nicht mehr konsumieren und die Produktion wegen ausbleibender Lieferungen aus China stillsteht?
Die Geldpolitik kann die Lieferketten nicht wiederherstellen, aber sie kann der Panik an den Märkten entgegenwirken. Man kann nämlich verhindern, dass es bei Unternehmen Finanzierungsengpässe gibt. Wenn ein Unternehmen nicht produziert, dann kann es andere Lieferanten nicht bezahlen. Also müssen Banken zusätzliche Liquidität zur Verfügung stellen, um sie vor der Insolvenz zu schützen. Das kann eine lockere Geldpolitik unterstützen. Auch der Staat sollte Unternehmen jetzt bei Liquiditätsengpässen unterstützen und zwar über die aktuell beschlossenen Maßnahmen hinaus. Er sollte beispielsweise Steuerstundungen für betroffene Unternehmen beschließen.
Auch wenn wir das Coronavirus ohne größere Schäden überstehen sollten, scheint es, dass wir in einer globalisierten Welt immer wieder mit globalen Gesundheitskrisen rechnen müssen. Wie können wir uns vorbereiten?
Es ist an der Zeit darüber nachzudenken, ob wir global gut aufgestellt sind. Man muss sich ansehen, ob wir die Mittel haben, diese Krisen effektiv zu bekämpfen. Wenn wir uns die WHO ansehen, die hat ein lächerlich kleines Budget gegenüber dem Budget anderer internationaler Organisationen. Das muss sich ändern. Auch für die Entwicklungspolitik sollte die Seuchenbekämpfung eine hohe Priorität bekommen. Viele Staaten sind institutionell nicht so gut vorbereitet wie wir. Doch wenn dort eine Epidemie ausbricht, kann sie sich viel schneller ausbreiten als bei uns, und das hat dann nicht nur vor Ort Auswirkungen, sondern auch in Europa. Was passiert zum Beispiel, wenn ein Virus sich in Ägypten festsetzt? Das ist vor unserer Haustür. So eine Epidemie hat viel schneller und in höherem Ausmaß negative externe ökonomische Effekte für uns als eine Migrationswelle.