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Verpackungsmüll Warum dem deutschen Bierkasten keine Gefahr aus Brüssel droht

Von der EU-Kommission anderen Ländern empfohlen: das deutsche Mehrwegsystem.
Von der EU-Kommission anderen Ländern empfohlen: das deutsche Mehrwegsystem.
Wirtschaftsverbände schlugen Alarm: Mit einer Novelle der EU-Verpackungsverordnung drohe deutschen Bierflaschen und Kästen das Aus. Ziel der Neufassung ist eine Eindämmung des ständig wachsenden Müllbergs, dem deutschen Mehrwegsystem will die EU aber nicht an den Kragen

Die Berge von Plastikmüll aus Verpackungen werden immer größer statt kleiner. 40 Prozent dieses Abfalls entfällt auf Lebensmittel- und Getränkeverpackungen. Weltweit herrscht Konsens, dass der Müllberg kleiner werden muss. Wohl steigt der Verbrauch von Plastikverpackungen am stärksten in Afrika, Asien und Lateinamerika – und auch stärker in den USA als in Europa. Trotzdem steuert die EU mit einer Novelle der Verpackungsverordnung dagegen. Denn auch im EU-Durchschnitt wird laut Euromonitor erwartet, dass jeder Bürger bis zum Jahr 2030 etwa ein Fünftel mehr Verpackungsmüll produzieren wird als noch 2018.

Warum wird die Verpackungsrichtlinie der EU verschärft?

Die EU-Kommission wirbt mit einer noch detaillierteren Prognose: Wenn nicht gehandelt wird, würde das die Menge an Verpackungsabfällen bis 2030 um 19 Prozent bei Papier und sogar um 46 Prozent bei Plastik steigen lassen. Schon heute fallen im Durchschnitt in Europa fast 180 Kilogramm Verpackungsmüll pro Kopf und Jahr an – das ist etwa ein halbes Kilogramm pro Tag und Verbraucher. Der Materialeinsatz dafür verbraucht 40 Prozent der Kunststoffe und 50 Prozent des Papiers in der EU.

Was sind die wichtigsten Ziele?

Die bestehenden Regeln in den Mitgliedstaaten beruhen auf einer fast 30 Jahre alten Richtlinie. Negative Umweltauswirkungen von Verpackungen seien dadurch nicht verringert worden, so die EU-Kommission. Problem bereiteten unter anderem verschwenderische und überflüssige Verpackungen, ein zunehmender Anteil nicht-recyclingfähiger Hüllen und irreführende Etiketten, die den Verbrauchern die Mülltrennung erschweren.

Die EU-Kommission will daher mit ihrem Vorschlag die Umweltbelastung senken. Ziel ist die Wende weg von einer Wegwerfmentalität und hin zu geschlossenen Materialkreisläufen: durch Vermeidung von Abfall, durch Wiederverwertung von Verpackungen und durch Recycling – und zwar in dieser hierarchischen Reihenfolge. Außerdem soll im Dienst größerer Nachhaltigkeit der Anteil an recycelten Kunststoffen in Verpackungen erhöht werden.

Verpackungsmüll: Warum dem deutschen Bierkasten keine Gefahr aus Brüssel droht

Wo kollidieren die Interessen?

Bei Lebensmittel- und Getränkeverpackungen kollidieren Interessen der Hersteller an Produktsicherheit, Attraktivität und möglichst niedrigen Kosten häufig mit Anliegen der Nachhaltigkeit. So sind vor allem bei Plastik recycelte Materialien weniger verfügbar und hochpreisiger als Primärmaterialien: Laut Informationen der ING Bank hätte es 2022 einen europäischen Getränkehersteller 20 Prozent mehr gekostet, ausschließlich in Flaschen aus recyeltem PET abzufüllen. Anders bei Getränkedosen: Dort sei recyceltes Material 20 Prozent günstiger als neues Aluminium. Bei Dosen reichen die Recyclingraten in Europa von 35 bis 99 Prozent.

Geht es Mehrwegflaschen an den Kragen?

Grundsätzlich zielt Brüssel auf höhere Mehrweganteile. Doch sorgte ein Alarmruf des Deutschen Brauer-Bundes und des Getränkefachhandelsverbands für Aufregung, wonach mit der Neuregelung für Verpackungen einschließlich der Pfandsysteme Milliarden deutsche Bierflaschen vernichtet werden müssten: Denn sie müssten mit Prägelogo und Seriennummer neu hergestellt werden. Laut Brauer-Bund haben die rund 1500 Brauereien in Deutschland aktuell rund vier Milliarden Pfandflaschen im Umlauf.

So ein Einschmelzen drohe aber nicht, stellte die Deutsche Vertretung der EU-Kommission klar: Das „entspricht nicht den Fakten“. Vielmehr schreibe der Kommissionsvorschlag für jede Verpackung ein Etikett samt QR-Code vor. Daraus solle hervorgehen, woraus die Verpackung besteht und in welchen Abfallbehälter sie gehört. Wohl müsse diese Information dauerhaft angebracht sein. Aber: „Ablösbare Papier-Etiketten, die im deutschen Flaschenpfandsystem üblich sind, können diese Bedingung (auch) erfüllen“, so die Klarstellung.

Komme die Flasche im Umlauf zurück und das Etikett löse sich beim Waschvorgang ab, so müsse für die weitere Wiederverwendung ein neues angebracht werden. „Es ist aber nicht notwendig, die Information in die Flasche einzugravieren. Diese Form der Kennzeichnung ist im Kommissionsvorschlag nur als Option genannt.“

Aber droht trotzdem den Bierkästen Gefahr?

Brauer-Bund und Fachhandel übertreiben nicht, wenn sie das deutsche Mehrwegsystem für Pfandflaschen als europaweit einmalig und erfolgreich loben. Vergleichbar etablierte Systeme gibt es vor allem in den EU-Südländern nicht. So werden 80 Prozent des Biers in Deutschland in Mehrwegflaschen verkauft. Die dafür üblichen Bierkästen sind bis zu 15 Jahre im Umlauf. Auch diese müssten geschreddert werden, so die Verbände. Der Grund: Der EU-Plan verlange, dass die Transportverpackung eines Produktes nicht mehr als 40 Prozent größer sei als das Produkt selbst.

Tatsächlich zielt die EU-Kommission im Sinne von Abfallvermeidung darauf ab, Füllmaterialien einzudämmen und Leerraum zu begrenzen. Eine solche Obergrenze wurde vor allem mit Blick auf Transportverpackungen von Online-Käufen vorgeschlagen, so die Brüsseler Reaktion, bei denen viele zusätzliche Füllmaterialien anfallen. Befürchtungen der Brauer, dass dies ein Ende der Pfandkästen bedeute, seien jedoch unbegründet: „Aus Sicht der Kommission spricht nichts dagegen, Transportverpackungen in bestehenden Mehrwegsystemen, wie zum Beispiel Bierkästen, von dieser Regel auszunehmen.“ Das Pfandsystem in Deutschland sei ein Erfolg, und die Kommission ermuntere auch andere Mitgliedstaaten und Wirtschaftszweige, solche Systeme einzuführen.

Wie soll der ökologische Fußabdruck gemindert werden?

Während Mehrweg- und Einwegsysteme darüber streiten, ob Wiederverwendung oder effektives Recyceln der Königsweg ist, hat der Thinktank der ING-Bank sich 20 führende Lebensmittel- und Getränkekonzerne angesehen und festgestellt, dass einige davon bereits über den CO2-Fußabdruck ihrer Verpackungen berichten. Demnach hätten „Bierbrauer und Softdrink-Hersteller in Relation den größten Verpackungsanteil in ihrem Gesamtfußabdruck“. Das liege hauptsächlich an der für die Herstellung von Flaschen und Dosen benötigten Energie. Softdrink-Produzenten verbrauchten überdies große Volumina an Plastikverpackungen, von den die meisten nicht angemessen recycelt würden. Für Lebensmittel mache der Verpackungsanteil im Fußabdruck im Allgemeinen weniger als zehn Prozent aus.

Verpackungsmüll: Warum dem deutschen Bierkasten keine Gefahr aus Brüssel droht
© ING Research

Die EU-Kommission rechnet vor: Werden alle Maßnahmen des Vorschlags umgesetzt, so würde dies die durch Verpackungen verursachten Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 auf 43 MillionenTonnen gegenüber 66 MillionenTonnen im Szenario mit unveränderten Bedingungen senken. Das würde die Voraussetzungen schaffen, um die Branche auf den Weg zum Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu bringen.

Kommt bislang die Vermeidung von Verpackungsabfall zu kurz?

Laut der EU-Abgeordneten Delara Burkhardt hat das derzeitige Verpackungsabfall-Regelwerk die Spitze der Abfallhierarchie zu sehr vernachlässigt. Mit den neuen Vorschlägen zum Verbot bestimmter unnötiger Verpackungsformate und verbindlichen Wiederverwendungsquoten, sieht sie eine Chance mit diesen Versäumnissen aufzuräumen. „Wir können uns nicht aus der Abfallkrise herausrecyceln“, sagt die SPD-Politikerin. Abfallvermeidung und Wiederverwendung müssten an der Spitze der Verpackungsvorschriften stehen.

Welche Streitpunkte gibt es im Europaparlament?

Im Europäischen Parlament, das neben dem Ministerrat über den Verordnungsvorschlag mitentscheidet, liegt die Federführung für die „Packaging and Packaging Waste Regulation“ (PPWR) beim Umweltausschuss. Die liberale belgische Berichterstatterin Frederique Ries hat im Mai in ihrem Berichtsentwurf eine weitere Konfliktlinie gezogen: Sie strich die geplante Vorschrift für Gastronomiebetriebe, für Getränke und Mahlzeiten außer Haus (To Go oder Takeaway) eine Mindestquote von Mehrweggeschirr zur Verfügung zu stellen, ersatzlos. „Reuse or Refill“ sollte es für 20 Prozent der To-Go-Getränke bis 2030 heißen. Stattdesssen sollen Betriebe Behälter akzeptieren, die Kunden zum Mitnehmen selbst mitbringen.

Während das konservative Lager sich dem anschließt, halten Sozialdemokraten und Grüne an der Pflicht zur Wiederverwendung fest. Andernfalls würde das zu fördernde Mehrwegprinzip unterlaufen. Eine Mehrwegpflicht solle auch nur für größere Ketten – nicht für kleinere Gaststätten und Cafés gelten, sagt Burkhardt. Die Grünen betonen, dass die Wirtschaft gemäß dem Verursacherprinzip über ein Mehrwegsystem stärker in die Verantwortung genommen werde als beim Recycling. Schließlich seien 2019 ganze 16 Milliarden Takeaway-Behälter verbraucht worden – und meist nicht in der gelben Tonne gelandet. Und das war vor dem Anstieg von Online-Bestellungen in Handel und Gastronomie während der Coronakrise.

Wie hoch soll die Recycling-Quote steigen?

Die Neuauflage der Verpackungsvorschriften legt daher Mindeststandards für den in Kunststoffverpackungen enthaltenen Recyclinganteil für 2030 fest: beispielsweise 30 Prozent für Einweg-Getränkeflaschen. Die Quote soll bis 2040 weiter steigen. In den wichtigsten EU-Ländern liegt der Anteil der recycelten Materialien in Kunststoffverpackungen derzeit bei lediglich fünf bis sieben Prozent. Es wird auch gefordert, dass Verpackungen bis 2030 vollständig wiederverwertbar sein müssen, bestimmte Verpackungsformate sollen ganz verboten werden. Das wird die Gestaltungsmöglichkeiten für Unternehmen einschränken.

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