„Ein mögliches Grundstück liegt im Dresdner Norden, quasi in Sichtweite von GlobalFoundries“, erklärte am Vormittag noch ein Sprecher des Verbands Silicon Saxony, indem sich Techunternehmen der Region zusammengeschlossen haben. „Das andere Grundstück wäre etwa 20 Minuten entfernt. Aber wir gehen davon aus: TSMC kommt in unsere Nachbarschaft.“ Im Silicon Saxony und bei GlobalFoundries, einem dort ansässigen Halbleiterhersteller, wirkte die Stimmung angespannt. Hier schaut man skeptisch und auch ein wenig angstvoll auf eine Milliarden-Investition, die eine Stunde später dann offiziell wurde: TSMC, der weltweit größte Auftragshersteller von Mikrochips, wird ein Werk in Deutschland bauen.
Die milliardenschwere Ansiedlung des taiwanischen Chipkonzerns in Dresden sei weitgehend beschlossene Sache gewesen, berichtete das „Handelsblatt“ schon am Montag. Nur die Details waren noch unklar. Am Dienstag kam der Vorstand des Unternehmens dann zusammen und entschied in einem Board-Meeting für den Standort Sachsen. Das Führungsgremium habe der Milliardeninvestition zugestimmt, teilte TSMC mit. Die Investitionssumme werde bei 10 Mrd. Euro liegen. Das Werk soll gemeinsam mit Bosch, Infineon und NXP gebaut werden.
Der Fabrikbau wird auch vom Bund unterstützt: Die Subventionen belaufen sich auf 5 Mrd. Euro, die aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) des Bundes kommen sollen. TSMC will in Dresden vornehmlich Chips für die Automobilindustrie herstellen. Wie auch der Konkurrent GlobalFoundries.
Der Konkurrent fühlt sich zurückgesetzt
Der kritisierte die Entscheidung der Bundesregierung, TSMC mit 5 Mrd. Euro anzulocken. Thomas Caulfield, Vorstandsvorsitzender von GlobalFoundries, erklärte gegenüber der „Financial Times“, dass das Unternehmen einen Wettbewerb auf Augenhöhe begrüße, warnte jedoch davor, dass die immensen Mittel für TSMC den Wettbewerb verzerren würden.
„Wenn eine Subvention einen marktbeherrschenden Akteur unverhältnismäßig stark begünstigt, besteht die reale Gefahr der Abhängigkeit von einem einzigen Lieferanten, was Marktabschottung und weniger widerstandsfähige Lieferketten zur Folge hätte“, so Caulfield.
Ein Regierungssprecher erklärte, dass alle staatlichen Beihilfen von der Europäischen Kommission genehmigt und daraufhin geprüft werden müssten, ob sie den Wettbewerb im EU-Binnenmarkt verzerrten.
Industrieförderung als Klimaschutzmaßnahme
Der Zuschuss vom Bund kommt aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF). Aus diesem Topf wurde schon die Geldspritze für Intel mitfinanziert. Die Mittel des KTF stammen vorwiegend aus dem Emissionshandel, sind also Einnahmen aus der CO2-Bepreisung. Der Staatsfonds soll zusätzliche Ausgaben ermöglichen für Maßnahmen, „die der Erreichung der Klimaschutzziele nach dem Bundes-Klimaschutzgesetz“ dienen.
Strittig ist, ob Industrieförderung dazu beiträgt. Die in der subventionierten TSMC-Fabrik produzierten Chips, werden in E-Autos verbaut, was als Beitrag zur Dekarbonisierung deklariert werden kann. Eigentlich hatte sich die Ampel darauf verständigt, zumindest einen Teil der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die Bürger zurückzugeben. So steht es im Koalitionsvertrag.
Nun sollen aus dem KTF allein in diesem Jahr Zuweisungen, Zuschüsse und Investitionen in Höhe von knapp 36 Mrd. Euro geleistet werden. Das sind 8 Mrd. Euro mehr als noch 2022. Viel Geld steht für die „Dekarbonisierung der Industrie“ bereit. Für 2023 sind 2,21 Mrd. Euro vorgesehen. Zusätzlich kann der Staat für diesen Zweck Kreditmittel in Höhe von 66 Mrd. Euro aufnehmen. 18 Milliarden mehr als noch im Regierungsentwurf vorgesehen.
62.000 unbesetzte Stellen
Sollten die staatlichen Investitionen zu erfolgreichen Ansiedlungen führen, kommt das nächste Problem auf: Es mangelt an geeigneten Arbeitskräften. Berechnungen der Beratungsgesellschaft „PwC Strategy&“ zufolge könnte in der Branche 2030 mehr als jede zweite Stelle unbesetzt bleiben. 350.000 Beschäftigte, so warnt PwC, würden am Ende der Dekade in Europa fehlen. Und das große Ziel der EU-Kommission, den Weltmarktanteil bei Halbleitern auf 20 Prozent zu erhöhen und damit zu verdoppeln, könnte scheitern.
Allein in der Region Dresden werden 2030 rund 100.000 Hightech-Arbeitsplätze zu besetzen sein, schätzt der Branchenverband Silicon Saxony. Das sind gut 30 Prozent mehr als heute. Und schon jetzt kann die Branche viele Jobs nicht besetzen. Wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ermittelte, fehlen hierzulande 62.000 Fachkräfte in Berufen der Halbleiterindustrie.
Der US-amerikanische Hersteller Wolfspeed hat bei der Personalsuche einen unkonventionellen Weg eingeschlagen. In einem bewussten Schritt siedelte sich das Unternehmen in der Region Saarland an, die bisher nicht mit Halbleiterproduktion in Verbindung gebracht wurde. In enger Kooperation mit dem Autozulieferer ZF, der im Saarland nahezu 10.000 Mitarbeiter beschäftigt, plant Wolfspeed, bis zur Inbetriebnahme der neuen Fabrik im Jahr 2027 mehrere Hundert Fachkräfte von ZF einzustellen und zu schulen.
Ist das eine Blase?
Der ursprüngliche Grund für das Lockangebot an TSMC war die Chip-Knappheit des vergangenen Jahres. Darauf gehe, so der Branchenanalyst Alan Priestley vom IT-Marktforscher Gartner, eben jener groß angelegte Ausbau der Produktion zurück. Die Branche investiert schon seit den ersten Anzeichen von Engpässen zu Beginn der Coronapandemie in neue Fabriken. „Deshalb werden wir wahrscheinlich 2023 oder 2024 Überkapazitäten haben“, prognostizierte Priestley.
Dieses überschüssige Angebot werde aber im Laufe der Zeit durch die steigende Nachfrage aufgebraucht. Priestley betonte, dass dieses Wechselspiel charakteristisch für die Chipindustrie sei. „Sobald Nachfrage und Angebot im Gleichgewicht sind, wird investiert, um Kapazitäten für den nächsten Nachfrageschub zu haben.“ Die Chipkrise des letzten Jahres war besonders stark ausgeprägt, da in bestimmten Bereichen nicht ausreichend in die Erweiterung investiert wurde und gleichzeitig die Nachfrage für Remote-Lösungen bei Arbeit und Bildung während der Coronapandemie sprunghaft gestiegen sei.
Im Silicon Saxony ist das alles eigentlich Grund zur Freude. Auch der neue Nachbar wird in einem offiziellen Statement herzlich willkommen geheißen. „Das Silicon Saxony begrüßt den taiwanesischen Halbleiterhersteller in der großen Familie der europäischen und deutschen Halbleiter- und Hightech-Unternehmen.“ Das Netzwerk freue sich auf eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit TSMC und werde sich dafür einsetzen, dass das Unternehmen in Sachsen schnell heimisch wird und seine Geschäftstätigkeit erfolgreich aufnehmen kann.
Und auch der genaue Standort der neuen Fabrik ist nun klarer. „Dem Vernehmen nach baut TSMC auf dem Gelände hinter dem Bosch-Werk.“ 1500 Meter entfernt und in Sichtweite von Konkurrent GlobalFoundries.