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Bernd Ziesemer Tollerort und das Tollhaus der China-Politik

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
China darf sich nun doch an einem Container-Terminal im Hamburger Hafen beteiligen. Ein fatales Signal zur falschen Zeit

Wenn wir in einigen Jahren darüber reden, wieso wir blind in die China-Falle laufen konnten, dann könnte man es vielleicht das Tollerort-Syndrom nennen. Auf der Landzunge Tollerort im Hamburger Hafen liegt einer der größten Container-Terminals Deutschlands. Ursprünglich verlief dort im 19. Jahrhundert die Grenze zwischen der Hansestadt und Dänemark, heute verläuft dort die Grenze zwischen Krämergeist und politischer Kurzsichtigkeit.

Die chinesische Staatsreederei Cosco darf sich nun nach einem langen Hin und Her doch mit 24,9 Prozent an den Kaianlagen beteiligen. Im Hamburger Rathaus wollte man den Deal unbedingt, Bundeskanzler Olaf Scholz setzte sich massiv dafür ein, so dass der versammelte Sachverstand des Bundeswirtschaftsministeriums und so gut wie aller wissenschaftlichen China-Experten am Ende ins Leere lief, auch wenn es zwischendurch so aussah, als ob die Beteiligung an einem Stück kritischer Infrastruktur doch noch kippen könnte. So weit, so schlecht.

Nun kann man gewiss darüber streiten, wie gefährlich der Tollerort-Deal wirklich ist. Dass immer noch Schlüsseltechnik unseres Mobilfunknetzes in den Händen des chinesischen Huawei-Konzerns liegt, ist beispielsweise viel schlimmer. Aber darum geht es gar nicht. Viel wichtiger ist: Die Bundesregierung hat sich praktisch einer chinesischen Erpressung gebeugt. Von Anfang an setzte die chinesische Seite ihre deutschen Partner, die Manager des Logistikkonzerns HHLA AG geschickt ein, um die immer gleiche dunkle Botschaft abzusetzen: Entweder dürfen wir uns an dem Container-Terminal beteiligen oder wir schneiden künftig den Hamburger Hafen. Natürlich formulierte man es etwas geschmeidiger, aber jeder wusste, was gemeint war. Und ebenso geschickt nutzte China auch die Widersprüche in der Bundesregierung und in der Koalition, die unsere gesamte China-Politik in letzter Zeit in ein einziges Tollhaus verwandelt haben.

China setzt auf viele kleine Tollerorts

Das Tollerort-Syndrom dürfte uns von nun an noch häufiger befallen. China sieht die Bundesrepublik als wichtigsten Domino-Stein in einer strategischen Kette. Fällt er, dann kippen aus Sicht Beijings auch die anderen Steine und der amerikanische Plan scheitert, die Volksrepublik durch den Chipkrieg und andere Maßnahmen vom Westen abzukoppeln. Und die KP Chinas weiß, wo Deutschland am besten zu packen ist: mit wirtschaftlichen Drohungen. Deshalb ist die Tollerort-Entscheidung ein so fatales Signal zur falschen Zeit.

China hat in den letzten zwei Jahren begriffen, dass es im Westen nicht mehr nur um eine der sporadischen Wellen der Empörung gegen das menschenfeindliche Regime geht, sondern um eine wirkliche Wende. Der Ukrainekrieg Russlands hat die Geopolitik mit einem Schlag zurück gebracht in politische Denken Europas – und damit auch die bereits vorhandene starke wirtschaftliche Abhängigkeit von China mit Wucht zum Thema gemacht.

Auf der großen politischen Bühne kann China gegenwärtig wenig machen, um die Dinge wieder in Richtung Xi Jinpings zu drehen. Deshalb setzt die KP Chinas auf viele kleine Tollerorts. Und mit jeder Erpressung, der wir uns beugen, können wir uns schon auf die nächste einstellen.

Bernd Ziesemer

ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

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