Die Großhandelspreise für Strom und Gas sind wieder stark gesunken, davon profitiert allerdings nur ein Teil der Verbraucher. Neuverträge sind inzwischen wieder deutlich günstiger zu haben, doch Bestandskunden müssen weiterhin tief in die Tasche greifen. Der Verbraucherzentrale-Bundesverband (VZBV) warnt deshalb erneut vor einem Missbrauch und fordert das Bundeskartellamt zu einer schnellen Prüfung auf. Laut Strommarktexperten dürfte es sich allerdings nur in Ausnahmefällen um überzogene Preise handeln. Vielmehr sind die hohen Preise Folge einer langfristigen Einkaufsstrategie von Versorgern.
Udo Sieverding, Energie-Experte der Verbraucherzentrale NRW, sagte der „Rheinischen Post“: „Sowohl bei Stadtwerken und Regionalversorgern als auch bei Discountern beobachten wir, dass in einzelnen Tarifen Mondpreise verlangt werden. Hier muss das Bundeskartellamt schleunigst aktiv werden und das Missbrauchsverbot der Preisbremsen durchsetzen.“ Die Bundesregierung hat die Kartellwächter beauftragt, die aktuellen Preiserhöhungen unter die Lupe zu nehmen, Unternehmen müssen diese rechtfertigen. Denn mit den Preisbremsen übernimmt der Staat einen Teil der Kosten für Verbraucher: für einen Basisverbrauch die Differenz zwischen den festgelegten 40 Cent pro Kilowattstunde Strom beziehungsweise 12 Cent beim Gas und dem von den Versorgern verlangten Arbeitspreis.
Das verleitet das ein oder andere schwarze Schaf unter den Energieanbietern zu unangemessenen Preiserhöhungen. Thomas Engelke, Leiter des Energieteams des VZBV, monierte gegenüber der Zeitung: „Die Preise an den Gas- und Strombörsen sind seit September 2022 deutlich gefallen. Das heißt aber nicht, dass alle Verbraucher aufatmen können. Während die Preissenkungen für Verbraucher, die Neuverträge abschließen, durchaus ankommen, steigen die Preise für Bestandskunden leider weiter.“
Experte: 38 bis 53 Cent pro Kilowattstunde angemessen
Der Missbrauchsvorwurf wird nach Einschätzung von Strommarkt-Experte Tobias Federico in nächster Zeit noch öfter ertönen. „Preise wie 60 Cent in der Grundversorgung kann auch ich nicht nachvollziehen“, sagt Federico im Gespräch mit. Der Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Energy Brainpool geht aber davon aus, dass es sich beim Ausnutzen der Preisbremsen um Ausnahmen handelt. Teils hohe Preisunterschiede werden zunehmen, prognostiziert der Experte. „Je nach Einkaufsstrategie und Risikofreude der Anbieter gehen die Preise für die Verbraucher stark auseinander.“
Anbieter, die langfristig einkaufen, bilden ihre Preise auf Basis des Durchschnitts von zwei, drei Jahren. Das führt dazu, dass Neukunden aufgrund der aktuell wieder niedrigeren Einkaufspreise günstigere Angebote erhalten als Kunden mit bestehenden Verträgen. Denn für neue Kunden kaufen die Anbieter neu ein – zu momentan gesunkenen Preisen. Für Bestandskunden mussten sie teurer einkaufen. Mirko Schlossarczyk, Strommarkt-Experte beim Beratungsunternehmen Enervis, erklärt: „Bei plötzlich stark steigenden Börsenpreisen profitieren zunächst Bestandskunden, bei plötzlich stark sinkenden Börsenpreisen profitieren zunächst Neukunden.“
Das heißt jedoch nicht, dass alle hohen Preise für Bestandskunden gerechtfertigt sind. Nach Berechnungen von Energy Brainpool rangieren angemessene Preise bei bestehenden Verträgen aktuell zwischen gut 38 Cent bei einem Einkauf über drei Jahre und rund 53 Cent bei einer Beschaffung in nur einem Jahr. Bei neuen Verträge dürften demnach im nächsten Jahr je nach Beschaffungszeitraum weniger als 36 bis zu gut 40 Cent pro Kilowattstunde fällig werden. Aktuell liegen angemessene Preise für Neukunden laut Federico zwischen 38 und 42 Cent.
Im vergangenen Jahr profitierten Bestandskunden
Eine langfristige Einkaufsstrategie mag im Moment als Nachteil erscheinen, ist grundsätzlich für Verbraucher aber von Vorteil, weil sie stabile Preise garantiert. So waren Kunden solcher Anbieter im vergangenen Jahr vor den Preissprüngen an der Börse geschützt. „Die Börsenpreissteigerungen kamen zuerst bei den Neukunden an und erst mit deutlicher zeitlicher Verzögerung bei den Bestandskunden“, erläutert Schlossarczyk. „In diesem Fall haben Bestandskunden profitiert.“ Über einen längeren Zeitraum und bei geringen Schwankungen der Börsenpreise gleichen sich diese Unterschiede und das Preisniveau für Bestands- und Neukunden dem Experten zufolge aus.
Die Preise für Bestandskunden von Anbietern, die langfristig einkaufen, werden somit ebenfalls sinken, nur zu einem späteren Zeitpunkt. Für Kunden, die ihren laufenden Vertrag im Moment kündigen können, könnte sich ein Wechsel allerdings lohnen.
Dieser Artikel ist zuerst auf ntv.de erschienen