Die Ernten einiger der wichtigsten landwirtschaftlichen Produkte der Ukraine könnten in diesem Jahr um die Hälfte zurückgehen. Das droht die ohnehin schon knappe weltweite Versorgungslage weiter zu verschärfen und die Preise in die Höhe zu treiben.
Der Einmarsch Russlands kam zu einem für die Ernten entscheidenden Zeitpunkt. Die landwirtschaftlichen Betriebe haben gerade mit der Aussaat von Mais und Sonnenblumen begonnen, die nun durch Minen und einen Mangel an Treibstoff und Düngemitteln behindert wird. Der Weizen, der Monate vor dem Krieg gesät wurde, steht auf Feldern, die großteils von Truppen besetzt sind.
Landwirte erwägen Produktionsumstellung
Da die meisten Seehäfen nicht genutzt werden können, erwägen die Landwirte eine Umstellung auf Produkte, die eher für den lokalen Verbrauch als für den Export geeignet sind. Zu diesem frühen Zeitpunkt der Anbausaison sieht die Lage düster aus: Analysten rechnen mit einem Rückgang zwischen 30 Prozent und 55 Prozent, je nach Pflanzenart.
„Klar ist, dass nichts normal sein wird“, meint Alex Lissitsa, Chief Executive Officer des in Kiew ansässigen Agrarunternehmens IMC.

Die Ukraine ist ein wichtiger Lieferant von Mais, Sonnenblumenöl und Weizen. Seit Ausbruch des Krieges sind Mengen jedoch stark zurückgegangen. Der typische Handelsweg ist per Schiff, und der ist vielfach unmöglich. Ausfuhren per Bahn über die westliche Grenze sind gestiegen, können das aber nicht wettmachen.
Die Krise hat die Getreidepreise im vergangenen Monat auf ein Allzeithoch getrieben und im Nahen Osten und Afrika, einige der wichtigsten Abnehmer der Ukraine, Sorgen um die Ernährungssicherheit geschürt. Auch die Einkommen der ukrainischen Landwirte leiden. Zusätzlich sind sie mit dem Problem konfrontiert, dass ihre Speicher bei der nächsten Ernte noch mit dem nicht aufgelieferten Getreide gefüllt sein könnten.
„Wenn man keinen Treibstoff hat, kann man keine großen Flächen bepflanzen“, sagte Elena Neroba, Analystin bei Maxigrain. „Einige Landwirte haben immer noch keinen Zugang zu Saatgut und Düngemitteln.“

Während sich die Bahntransporte beschleunigen, stauen sich die Waggons an der Grenze und es mangelt an Speichern, so Neroba. Bei einer maximalen Kapazität von einer Million Tonnen pro Monat könnte es nach Schätzungen des Ukrainian Agribusiness Club zwei Jahre dauern, bis der Rückstau abgearbeitet ist. Selbst wenn die Häfen wieder geöffnet werden, wird es einige Zeit dauern, bis Minen und beschädigte Schiffe weggeräumt sind.
Die Regierung hat die Landwirte ermutigt, auf Getreide für den heimischen Konsum oder ertragsärmere Ölsaaten umzusteigen, die bei der Ernte weniger Lieferengpässe verursachen. Viele folgen der Anregung: Die Continental Farmers Group etwa nimmt das ukrainische Grundnahrungsmittel Buchweizen in ihre Anbauliste auf und baut verstärkt Kartoffeln an.
Mitarbeit: Volodymyr Verbyany
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