Anfang Januar 2021 brach für den Messenger-Dienst Signal ein neues Zeitalter an: Der US-Kurznachrichtendienst, bis dato ein Nischenanbieter, zog binnen weniger Tage Dutzende von Millionen neuer Nutzer an. Die Gründe: Die Facebook-Tochter Whatsapp kündigte neue Nutzungsbedingungen an, die den Eindruck erweckten, der Dienst werde künftig mehr Daten mit dem Mutterkonzern teilen. Ein Tweet von Tesla-Chef Elon Musk, der für Signal warb, sorgte dann für den Rest. Die Nachfrage bei Signal explodierte. Für den Messenger, der von einer gemeinnützigen Stiftung vertrieben wird, ist die enorm gestiegene Nachfrage Fluch und Segen zugleich. Capital.de sprach mit Jun Harada, der bei Signal für „Wachstum und Kommunikation“ zuständig ist.
Was haben Sie gedacht, als im Januar 2021 Ihre Nutzerzahlen durch die Decke gingen?
Ich glaube, ich werde diesen Monat niemals vergessen. Es war ein unglaublicher Moment für uns. Es muss um 4. Januar herum gewesen sein, als wir plötzlich sahen, wie die Downloads deutlich in die Höhe gingen. Aus der ganzen Welt kam das. Uns war erst nicht wirklich klar, woran das eigentlich lag.
Sie hatten wirklich keine Ahnung?
Naja, irgendwann sagte einer unserer Kollegen: Hey, vielleicht liegt das an dieser Mitteilung, die Whatsapp an seine Nutzer geschickt hat. Wir hatten keine Ahnung, wen das alles betreffen würde, wir kannten das Ausmaß nicht. Aber dann sahen wir immer mehr Meldungen auf Twitter, die Gerüchteküche schwoll an. Und dann wurde uns klar: Offenbar sind die Leute ziemlich frustriert und kommen jetzt zu Signal. Und das fanden wir natürlich cool. Und dann kam Elon...
Also der Moment, an dem Tesla-Chef Elon Musk auf Twitter schrieb: „Use Signal ...“
Genau. Das war am 7. Januar. Und dadurch wurde das ganze zu einer Art viralem Ereignis. Es ist nicht ganz klar, ob Elon der Auslöser war oder einfach ein Teil des Momentums, das sich da entwickelt hat. Aber es brachte ohne Zweifel einen enormen Schub. Wir wurden in vielen Ländern die am häufigsten heruntergeladene App. Auch in Deutschland.
Gab es Kontakt zu Elon Musk , oder hat er das einfach so gemacht?
Elon ist einer der Spender bei Signal gewesen. Aber sein Tweet kam von ihm selbst. Er hat uns nicht vorgewarnt, und wir haben auch nicht damit gerechnet.
So ein plötzlicher starker Anstieg bei den Downloads – wurden Sie damit technisch fertig?
Wir hatten einiges zu tun, weil das Ausmaß einfach grotesk war. Es war eine gigantische digitale Wanderungsbewegung. Wir veröffentlichen ja keine Zahlen über Downloads. Aber es gab Momente, da hatten wir eine Million Anfragen pro Sekunde. Die Zahlen waren einfach irre.
Warum veröffentlichen Sie eigentlich keine Zahlen? Es könnte ja auch neue Nutzer dazu ermutigen, Ihren Messenger herunterzuladen.
Wir verstehen uns eben als nicht-profitorientierte, unabhängige Plattform.
Aber dann müsste es doch sogar umso wichtiger sein, mit den Download-Zahlen an die Öffentlichkeit zu gehen.
Das stimmt natürlich. Für uns ist das ein bisschen zwiespältig. Wir haben uns ja dafür entschieden, so wenige Daten zu sammeln wie möglich. Es gibt keine Tracking-Funktionen, keine Analyse in der App. Uns ist es wichtig, als Organisation keinerlei Anreiz zu bekommen, bestimmte Zielwerte zu verfolgen. Die Mission ist es, möglichst vielen Menschen in der Kommunikation den Schutz ihrer Daten zu ermöglichen. Dem möchten wir alles unterordnen. Und das wäre dann gefährdet, wenn wir die App mit dem Ziel gestalten, möglichst viele Nutzer zu bekommen oder sie möglichst viel Zeit in der Anwendung verbringen zu lassen. Da geht es um Geschäftsmodelle, die dem Ziel des Datenschutzes entgegenstehen.
Das Datenschutz-Problem ist ja nicht neu, es begleitet alle Internet-Dienste seit langem. Warum sollte es jetzt wichtiger für die Menschen werden?
Ich habe schon den Eindruck, dass die Bedeutung zunimmt. Wir sind mit Signal 2013 gestartet und sind eigentlich seitdem exponentiell gewachsen. Es ist für die Leute nicht so ganz einfach, das Problem Datenschutz wirklich zu verstehen und zu durchdringen. Aber das ist nur eine Frage der Zeit.
Warum glauben Sie das?
Offline gehen wir wie selbstverständlich von einer gewissen Privatsphäre aus. Wenn wir uns in einem Café treffen und über eine heikle Sache sprechen, dann tun wir das mit gesenkter Stimme oder an einem etwas abgelegenen Tisch. Wir haben also sehr natürliche Wege, sicherer zu kommunizieren. Im digitalen Raum aber gibt es diese Wege noch nicht. Das muss und das wird sich ändern.
Aber reden die Leute nicht nur darüber – und am Ende zählt dann doch das lustige Feature in der App?
Wenn man die Leute direkt fragen würde, ob sie mehr oder weniger Datenschutz wollen, würden die allermeisten wohl für mehr plädieren. Die Frage ist, wie man das Angebot dafür möglichst einfach macht. Wir haben Kommunikation sehr stark vereinfacht, wir haben Internetsuche vereinfacht und auch den Austausch von Informationen. Aber all das bringt halt einen Preis mit sich, der den Leuten nicht bewusst ist. Das ist eine Bildungslücke, die wir füllen müssen. Aus unserer Sicht funktioniert das nur mit einem nicht-profitorientierten Unternehmen.
Sie haben sich ja für eine solche Form entschieden, ein Stiftungsmodell. Ähnliches gibt es bereits für Browser. Könnte es generell ein Konzept für Internetdienste werden?
Ganz bestimmt. So etwas wie nachhaltige Software entsteht unserer Ansicht nach nur, wenn man nicht um jeden Preis nach Wachstum strebt. Facebook und Google verfolgen ziemlich gnadenlose Geschäftsmodelle, die fast etwas Unmenschliches haben. Wir wollen bei Signal beweisen, dass es auch andere Wege gibt, eine moderne und beliebte Technologie zu entwickeln. Wir haben bei uns einige der besten Softwareentwickler der Welt.
Aber andererseits brauchen Sie das Geld von reichen Spendern wie Elon Musk oder Brian Acton, der Whatsapp mitgründet hatte und dann bei Ihnen investierte.
Natürlich profitieren wir von solchen Großspendern, die haben uns vor allem am Anfang sehr geholfen. Aber die Frage ist doch, was zuerst da war. Unsere Idee oder das Geld?
Sie planen in Deutschland eine Kampagne, in der sie auf Datenschutzprobleme bei den großen Plattformen aufmerksam machen wollen. Warum?
Deutschland ist ein Land, in dem der Datenschutz immer eine große Rolle gespielt hat. Und Signal war dort immer sehr populär. Seit Januar hat das noch einmal deutlich zugenommen. Wir sind in Deutschland eine der beliebtesten Apps. Nun könnten wir natürlich einfach normale Werbung machen, aber das widerstrebt uns. Wir wollten nicht einfach Anzeigen schalten, in denen steht „Ladet Euch Signal runter!“
Es geht also um eine Art Werbekampagne?
Das auch, aber es geht uns auch um einen Bildungseffekt. Wir hatten das Gefühl, dass es ein Momentum gibt, das man nutzen kann, um auf den Wert von größerem Datenschutz hinzuweisen. Wir dachten also: Lasst uns zeigen, was genau passiert, wenn jemand Facebook oder Instagram nutzt. Warum man Werbeanzeigen zu sehen bekommt, die auf die eigenen Interessen zugeschnitten sind. Wieviel diese Plattformen über ihre Nutzer wissen.
Warum starten Sie damit in Deutschland?
Wir hatten das Gefühl, dass Deutschland ein guter Ort ist, um damit anzufangen. Die Aktion soll danach aber auf andere Länder ausgedehnt werden.
Die Deutschen sind davon überzeugt, besonders viel Wert auf Datenschutz zu legen. Stimmt das überhaupt?
Ja, das denken wir schon. Deutschland hat eine Menge dafür getan. Wir haben festgestellt, dass Amerikaner sehr viel genauer mit Online-Werbung angesprochen werden können als Leute in Deutschland.
Messenger wie Signal, die besonders sicher sind, haben oft ein ähnliches Problem: Es ist auch attraktiv für Kriminelle und Terroristen – was das Image belastet. Wie lässt sich das verhindern?
Signal soll für besonders viele Menschen sinnvoll sein. Datenschutz ist besonders hilfreich für Randgruppen und verfolgte Gruppen, aber letztendlich für alle. Kriminelle hingegen hatten schon immer Zugang zu Verschlüsselungsprogrammen oder Software, mit der sich Kommunikation anonymisieren lässt. Wir wollen diese Technologien allen zugänglich machen. Bei uns gibt es keine Features, die für Kriminelle oder Hassprediger interessant sind – wie bei anderen Plattformen. Zum Beispiel ist es bei uns nicht möglich, Hunderttausende von Nutzern anzusprechen wie bei Telegram.
Telegram ist also aus Ihrer Sicht keine sinnvolle Alternative?
Wir werden oft mit Telegram in einen Topf geworfen. Aber es ist letztendlich eine ganz andere Plattform, die auch dazu da ist, sehr große Gruppen anzusprechen. Ihre Verschlüsselung basiert nicht auf Open Source-Software und ist wenig transparent. Es gibt wenig Gemeinsamkeiten, außer dass wir beide Apps anbieten, die man sich aufs Smartphone laden kann.

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