Die jüngste Personalie in der deutschen Wirtschaftselite ließ sich nicht mehr gänzlich im Corona-Schatten abhandeln. Der Abgang von Co-CEO Jennifer Morgan bei SAP, der am Dienstagfrüh vom Unternehmen gemeldet wurde, machte über den Tag dann doch ein paar Schlagzeilen. Immerhin war die Amerikanerin Morgan bei dem Tech-Konzern vor einem knappen halben Jahr die erste Vorstandschefin in einem Dax-Konzern geworden. Und das Unternehmen aus Walldorf hatte sich mit seiner neuen Doppelspitze damals als fortschrittliches, globales, junges und karriereoffenes Unternehmen feiern lassen. Jetzt bleibt diese Doppelspitze nur ein kurzes und glanzloses Intermezzo in der männlichen deutschen Wirtschafts-Topetage.
Doch auch die SAP-Personalie hätte in normalen Zeiten sicher mehr Aufsehen erregt und mehr Fragen über die Lage bei dem Softwarekonzern ausgelöst. Gründe dafür gäbe es nämlich. Schon weil die offizielle Begründung für den Abgang recht rätselhaft ist, wenn sie die Corona-Folgen direkt zum Auslöser der Personalie erklärt: Einerseits ließ das Unternehmen wissen, dass angesichts der Krise schnelle Entscheidungen nötig seien, deswegen müsse die Doppelspitze mit Morgan nun – schnell – weg. Andererseits betonte der verbliebene und künftig alleinige CEO Christian Klein, wie tadel- und reibungslos er stets mit Morgan zusammengearbeitet habe, die wie er ein SAP-Eigengewächs ist.
Wer sich die Genese der jüngsten Personalentscheidungen anschaut, kann vermuten, dass auch bei SAP mehr inhaltliche und strategische Friktionen zum jetzigen CEO-Abgang geführt haben, die jetzt – auch, weil die Coronakrise vieles zudeckt – im Dunklen bleiben. Aber dazu später mehr.
Aus für den glücklosen Boss-Chef
Auffällig ist in jedem Fall, dass es zuletzt Unternehmen mit Wackel-Aufsichtsräten, Druck von aggressiven Investoren und strategischen Unklarheiten waren, die hinter dem Schleier der Krise ihre CEOs entsorgten, ohne einen direkten Nachfolger zu haben. Es begann schon Ende März beim kriselnden Modekonzern Boss. Die großen Schlagzeilen der Medien handelten von den Anfängen des Lockdown, von der ansteigenden Kurve der Infizierten und von den Einbrüchen im Aktienmarkt. Da blieb es eine Randnotiz, dass Boss-CEO Mark Langer nach einer Kette aus Gewinnwarnung, verfehlten Zielen und glücklosen Entscheidungen seinen Abschied erklären musste . Gerüchteweise standen bei Boss Aktivisten-Investoren wie US-Hedgefonds Elliott ante portas.
Öffentlich Druck machte Francesco Trapani, Ex-Chef beim Juwelier Bulgari, alter Partner von Elliott und mit dem Fonds Bluebell Minderheitsaktionär bei Boss. Er verlangte eine völlige strategische Kehrtwende bei dem Unternehmen. Es hätte Analysten aufschrecken, Wirtschaftsseiten füllen und die ramponierte Edelmarke weiter schädigen können – wenn nicht die Corona-Folgen alle Blicke auf sich gezogen hätten. Und wenn nicht die Wirkung zwangsweise geschlossener Boss-Filialen noch ein wenig größer wäre als die des jahrelangen Missmanagements in Metzingen. Einen neuen CEO hat der Konzern bis heute nicht benannt.
Einige Tage später handelte der Fernsehkonzern Pro Sieben Sat 1. Auch er ist von den Corona-Folgen schwer gebeutelt, weil Werbekunden ihre Budgets zusammenstreichen. Aber auch er war schon vorher schwer angeschlagen, aufgrund von Fehlentscheidungen, personeller Ausblutung, Kommunikationspannen, strategischem Wirrwarr. Ein jahrelang untätiger und unentschlossener Aufsichtsrat unter Multi-Aufseher Werner Brandt (der nur zufällig ein ehemaliger SAP-Manager ist) traf schließlich die Entscheidung: CEO Max Conze musste nach nicht einmal zwei Jahren mit umgehender Wirkung gehen. Auch er blieb bislang ohne Nachfolger.
Normalerweise wäre auch diese Personalie Anlass gewesen, über die fragile Zukunft und die teilweise verfehlte Konstruktion des Unternehmens nachzudenken, das immerhin über ein Jahr Gast im Dax 30 war. Doch das fiel wegen Corona weitgehend aus. Und fast im Stillen haben zwei umstrittene Investoren ihren Einfluss bei Pro Sieben Sat 1 ausgebaut, was in normalen Zeiten jede Menge grundsätzlicher medienpolitischer und -ethischer Fragen aufgeworfen hätte: Der tschechische Millardär Daniel Kretinsky und Italiens schillernder Medienmogul Silvio Berlusconi. Der gleichzeitig mit Conzes Abgang verkündete Rückbau auf das TV-Kerngeschäft bedeutet den Bruch mit allem, was Pro Sieben Sat 1 über ein Jahrzehnt lang versucht hat. Großartig aufgefallen ist das Desaster hier nicht.
Machtkampf bei SAP
So schlimm war die Lage bei SAP lange nicht. Doch der Bestellung von Morgan und Klein im vergangenen Oktober ging laut Konzernkennern ein veritabler Machtkampf voraus. Bei SAP hatte der vormalige CEO Bill McDermott immer aggressivere Renditeziele durchgesetzt, was bei Aufsichtsratschef und Großaktionär Hasso Plattner nicht immer auf Wohlgefallen gestoßen sein soll. Zumal McDermott im Einvernehmen mit dem Aggressiv-Investor Elliott zu handeln schien. Schließlich musste McDermott gehen.
Es gibt Experten, die wollten im Unternehmen einen Gegensatz zwischen „Amerikanisierern“ einerseits und „Germanisierern“ um Plattner andererseits beobachten. Dass nun auch noch die Amerikanerin Morgan gehen muss und Plattner-Intimus Klein als alleiniger CEO verbleibt, könnte demnach ein Sieg des Aufsichtsratschefs sein. Nur steht SAP jetzt nach dem Chefwechsel nicht so unter Beobachtung, wie es ohne Corona-Krise der Fall wäre.
Chefwechsel ohne Getöse – Corona macht’s möglich. Es ist wenig wahrscheinlich, dass SAP das letzte Unternehmen ist, dass von dieser Situation profitiert.
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