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Westliche Unternehmen Russland: Wer handeln will, braucht das „Ja“ der Regierung

Das Moskauer Geschäftsviertel bei Nacht 
Das Moskauer Geschäftsviertel bei Nacht 
© IMAGO / ITAR-TASS
Die Liste der Unternehmen, die in Russland geblieben sind, ist länger als bisher angenommen, denn der Abzug rechnet sich nicht. Viele Unternehmen spielen auf Zeit und warten einfach ab 

Die „Liste der Schande“ listet globale Unternehmen in sechs Kategorien auf. In der besten Kategorie befinden sich die Unternehmen, die sich vollständig aus Russland zurückgezogen haben. Die schlechteste Kategorie, damit der Namensgeber der Liste, umfasst Unternehmen, die weiter mit Russland Geschäfte machen – als ob das Land nicht seit einem Jahr einen blutigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führen würde. Inzwischen sind mehr als 1000 Unternehmen in Kategorie A auf dieser Liste zu finden. Doch die Liste der Unternehmen, die geblieben sind, ist ebenfalls sehr lang.

Länger als bisher angenommen, wie die Ergebnisse einer neuen Studie der Wirtschaftsuniversität in St. Gallen zeigen. Demnach haben sich weniger als acht Prozent der westlichen Unternehmen vollständig aus Russland zurückgezogen. Das heißt: Alle Tochtergesellschaften sind verkauft, alle Produktionsstandorte wurden geschlossen. Warum also sind so viele Unternehmen noch in Russland? 

Die naheliegendste Erklärung ist, dass sie humanitäre oder lebenswichtige Geschäfte führen und deshalb nicht von den Sanktionen betroffen sind. Dazu gehören die meisten pharmazeutischen und landwirtschaftlichen Unternehmen. „Die Ernte kommt jedes Jahr, unabhängig davon, ob Krieg herrscht“, heißt es bei einem deutschen Agrarunternehmen im Gespräch. Ähnlich argumentieren Pharmafirmen. Während die deutschen Exporte nach Russland im November 2022 insgesamt um mehr als 50 Prozent niedriger waren als im Vorjahresmonat, sind die Ausfuhren deutscher Pharmaunternehmen nach Russland im vergangenen Jahr gestiegen. So hat der Pharmakonzern Bayer zum Beispiel seine Geschäftsaktivitäten in Russland mit ethischen Verpflichtungen begründet.

Putin will nicht

Andere, nicht essenzielle Unternehmen, die nicht von den Sanktionen betroffen sind, sind oft aus wirtschaftlichen Gründen an Russland gebunden. Die Liste der ausländischen Unternehmen, die Russland verlassen wollen, wird immer länger, sagt Michael Harms, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft. Aber Geschäfte in Russland zu schließen, wird von Tag zu Tag schwieriger. 

Der russische Präsident Wladimir Putin hat wenig Interesse daran, die westliche Wirtschaft gehen zu lassen. „Der russische Gesetzgeber hat sich das schon genau überlegt“, so Harms. Jeder Verkauf muss von der russischen Regierung abgesegnet werden – zum Teil auch von Putin selbst. Dazu hat er im Dezember letzten Jahres angeordnet, dass westliche Unternehmensanteile nur zu 50 Prozent des Marktpreises übernommen werden dürfen.

Da viele Unternehmen den Markt verlassen wollen, aber es nur eine begrenzte Zahl an Interessenten gibt, können potenzielle Käufer in Russland derzeit sehr günstig an ausländischen Besitz kommen. Die Interessenten kommen vorrangig aus Russland selbst, es gibt aber auch durchaus chinesische, türkische oder arabische Käufer, deren Länder Russland nicht sanktionieren, so Wirtschaftskreise.

Schwere Bedingungen auf dem russischen Markt

Theoretisch gäbe es genug Interesse an Unternehmen, die mit einem Abschlag von 50 Prozent verkauft würden, so der Verbandsvertreter weiter. Doch die schwierigen Bedingungen auf dem russischen Markt – Sanktionen, Fachkräfteabwanderung und steigende Inflation – lassen das Interesse schnell schwinden.

Wenn also kein geeigneter Käufer gefunden wird oder Putin dem Verkauf nicht zustimmt, müssen die russischen Anlagen praktisch verschenkt werden – und die Verluste dann in den heimischen Bilanzen abgeschrieben werden. So verkaufte beispielsweise der französische Automobilhersteller Renault seine russische Tochtergesellschaft Avtovaz für einen symbolischen Rubel. Dafür nahm das Unternehmen eine Abschreibung von zwei Milliarden Euro in Kauf. Auch Wintershall Dea wurde mehr oder weniger „enteignet“, wie Wintershall-Chef Mario Mehren in einem Interview mit der „Welt“ sagte. Nach langem Grübeln, aber offenbar auch Schwierigkeiten in Russland, verlässt die BASF-Tochter nun das Land. Dafür musste BASF aber einen Fehlbetrag von rund 1,4 Mrd. Euro hinnehmen, wie der Dax-Konzern mitteilte. 

Kleine Unternehmen können es sich nicht leisten

Doch nicht alle Unternehmen können sich das leisten. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen können einen solchen Verlust nicht verkraften. Laut einer Studie der Wirtschaftsforscher vom IfW sind diese Unternehmen sehr abhängig vom russischen Markt. Aus Wirtschaftskreisen hieß es gegenüber ntv.de, dass gerade im Bereich der Landwirtschaft viele mittelständische Unternehmen so stark in Russland verankert seien, dass sie diese Geschäfte nicht abschreiben könnten, ohne ihre gesamte Existenz zu gefährden. Auch ein Verkauf sei aktuell keine realistische Option. 

Selbst wenn ein Unternehmen alle Verluste übernehmen kann oder will, gibt es noch rechtliche Aspekte. Solange vertraglich bindende Vereinbarungen wie Wartung oder Sanierungen bestehen, muss ein Unternehmen zumindest eine Satellitengesellschaft in Russland unterhalten. Auch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der russischen Standorte können nicht so einfach entlassen werden.

Deshalb würden viele Unternehmen nur so viel Aktivität in Russland einstellen, wie sie verkraften können – und das notwendige Geschäft im Rahmen der Sanktionen weiterführen, heißt es von einem Unternehmen aus der Agrarbranche. Viele Unternehmer hätten noch Hoffnung, dass sich die Lage in Zukunft bessert und die Handelsbeziehungen mit Russland wieder aufgenommen werden können, heißt es aus Wirtschaftskreisen. Für die Wirtschaft sei seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine noch nicht so viel Zeit vergangen. Selbst wenn sich die politische Lage erst in drei oder vier Jahren bessert, würde sich ein Rückzug für viele Unternehmen nicht lohnen.

Dieser Artikel ist zuerst auf ntv.de erschienen 

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