Was ist ökologisch wertvoller? Die bepfandete Plastik-Einwegflasche, für deren Recycling Discounter Lidl gerade medienwirksam wirbt? Oder das bewährte Mehrwegsystem, welches das Vermeiden von Abfällen an erste Stelle rückt? Die EU hat die Frage für sich in der Logik der europäischen Abfallhierarchie schon beantwortet. Sie will den Anteil der Mehrwegflaschen im Handel stark ausbauen.
Im November hat die EU-Kommission dazu einen Vorschlag veröffentlicht, den auch die Bundesregierung unterstützt. Der Entwurf einer neuen Verpackungsverordnung (PPWR/Packaging and Packaging Waste Regulation) ist Teil des Green Deal der Europäischen Kommission zum Abbau von CO2 und Verpackungsmüll. Händler sollen nach diesen Plänen bis 2030 mindestes ein Zehntel aller Getränkeflaschen in Mehrwegverpackungen anbieten. Bis 2040 soll sich diese Quote auf 25 Prozent erhöhen.
Eine verbindliche Mehrwegquote gibt es auch in Deutschland nicht. Dass Sie bei nur 43 Prozent liegt – also weit entfernt von einer gesetzlichen Zielmarke von 70 Prozent – wird von Umweltschützern einer Verweigerungshaltung der Discounter zugeschrieben. Diese setzen allein auf Einwegpfandsysteme. Eine Mehrweg-Allianz fordert dagegen von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne), einen Kraftakt, um das Ziel zu erreichen.
Mehrwegsysteme sind nicht sehr verbreitet
Während im deutschen Kreislaufwirtschaftsgesetz die Wiederverwendung (Mehrweg) hierarchisch schon Vorrang vor dem Recycling (Einweg) hat, steht den meisten EU-Ländern diese Debatte noch bevor – denn Mehrwegsysteme sind nicht weit verbreitet. In den Hauptstädten und im Europäischen Parlament sind in den kommenden Monaten hitzige Debatten darüber zu erwarten, wenn um die Einzelheiten der Verordnung gerungen wird.
Von einer höheren Mehrwertquote verspricht die EU sich einen deutlichen Rückgang des Verpackungsmülls. Effiziente Systeme können auch PET-Mehrwegflaschen bis zu 25-mal wiederverwenden. Brüssel will aber auch den Anteil von Glas-Mehrwegflaschen erhöhen. Denn Einwegflaschen aus Glas wie Sektflaschen oder Gurkengläser sind ökologisches Schlusslicht, da sie beim Recyceln am meisten Energie verbrauchen.
Schon die Einführung von Pfand- und Rücknahmesystemen für Einwegflaschen, bei der Deutschland führend ist, ist für manche EU-Länder aber nicht selbstverständlich. Ein Überblick.
Pfandsysteme

Schon vor der EU-Verordnung hat Österreich rechtsverbindliche Mehrwegquoten vorgeschrieben, auch wenn die Deutsche Umwelthilfe von „Miniquoten“ spricht: Bis 2030 sind 30 Prozent anvisiert. Mehrwegflaschen aus Glas und PET für Bier und Mineralwasser sind in der Gastronomie und auch im Einzelhandel gängig. Auch ein generelles Einwegpfand für Dosen und Einwegplastikflaschen wird durch das neue Abfallwirtschaftsgesetz ab 2025 eingeführt. Kunden können die Verpackungen wieder in ein Geschäft, einen Bahnhof oder ein Altstoffsammelzentrum bringen. In Österreich sind pro Jahr 1,6 Milliarden Plastikflaschen und 800 Millionen Dosen im Umlauf. Es wurde aber nur eine Sammelquote von bis zu 75 Prozent erreicht.

In beiden Ländern hat die Einführung eines Pfandsystems für Kunststoffverpackungen, insbesondere Flaschen, zu einer gewaltigen Verbesserung der Recyclingquoten für Einwegplastik geführt. Die Länder teilen sich das Podium der führenden Kunststoffrecycler des Kontinents: Die Raten verbesserten sich von 16 bzw. 20 Prozent in 2004 auf mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Verpackungen. Bei einem Besuch in der Slowakei informierte sich die niederländische Königin Maxima über ein Rücknahmesystem aus ihrem Land (s.Bild). Auch in Litauen wurden fast 2700 Pfandautomaten im ganzen Land aufgestellt. Dort wurde das System mit einer Anfangsinvestition der Regierung in Höhe von 30 Mio. Euro etabliert.

Schweden ist neben Norwegen der eindeutige Pionier bei der Einführung von Pfandsystemen. Schon 1984 entstand das älteste System für die standardisierte 0,33-L-Glasflasche, dann kam ein Dosenpfand mit Rücknahmestationen wie in Stockholm (Bild), und in den 1990er-Jahren ein Pfand auf übrige Glas- und PET-Einwegflaschen hinzu. Die Rücknahme organisiert das Unternehmen Returpack größtenteils über Automaten und finanziert sich durch den Verkauf der gesammelten Einwegverpackungen. Die Rückgabequote erreicht etwa 85 Prozent und liegt nur knapp unter den gesetzlich geforderten 90 Prozent.

Die Dänen haben wie Isländer, Finnen, Norweger oder Esten schon vor dem Jahr 2007 ein funktionierendes Pfandsystem für Getränkebehälter eingeführt. Insgesamt sind es 13 europäische Länder. Angestoßen von der Single-Use Plastic-Richtlinie von 2019, wonach alle EU-Staaten bis 2029 eine getrennte Sammelquote von 90 Prozent für Plastikflaschen vorweisen sollen, wollen – wie Österreich – auch Portugal, Rumänien, Irland und Ungarn bis 2025 nachziehen. Mehrwegsysteme seien politisch jedoch in ganz Europa vernachlässigt worden, bedauert die EU-Kommission jetzt. So sei der Markt von Mehrwegbehältern insbesondere in Dänemark von 1999 bis 2019 um ganze 80 Prozent zurückgegangen – viel mehr als in Deutschland mit minus 19 Prozent.

Frankreich, hier eine Recycling-Anlage in Sainte-Marie-la-Blanche, hätte den größten Anreiz, nach den EU-Vorschlägen ein Pfandsystem für Mehrwegflaschen einzuführen. Im europäischen Ranking schneidet es beim Recycling von Verpackungsmüll mit am schlechtesten ab. In gelben Tonnen landen davon nur 60 Prozent. Nun wird ein Pfandsystem mit Rückgabeautomaten für Getränkeverpackungen als Abhilfe diskutiert. Die Regierung hat Konsultationen mit Industrie und Handel begonnen. Die von Brüssel geplante Einbeziehung von Weinflaschen dürfte da für größere Kopfzerbrechen sorgen: Bis 2030 sollen fünf Prozent, bis 2040 15 Prozent in Mehrwegverpackungen abgesetzt werden. Früher gab es die sogenannten Sternchenflaschen, Mehrwegweinflaschen mit 4–6 Sternen um den Hals. Die gibt es nur noch in Marokko.

Während Frankreich sich schon verpflichtet hat, die im Umlauf befindlichen Einwegplastikflaschen bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren, schwenken auch Südländer in der EU allmählich auf neue Recycling-Routen ein. Laut Greenpeace ist Spanien – hier eine Sammelstelle an der Costa del Sol – fünftgrößter Hersteller von Einwegplastikflaschen in Europa, von 455 kg Verpackungsmüll pro Kopf werden aber nur 86 kg recycelt. Ein Flaschenpfandsystem soll laut einem Gesetz von 2022 eingeführt werden, wenn 2023 keine Sammelquote von 70 Prozent für Einwegplastikflaschen erreicht wird. Mehrwegsysteme kannte Spanien wie Frankreich nur von Weinflaschen. Nun sollen in Hotels und Gaststätten bis 2025 aber 80 Prozent des Biers und 30 Prozent des Wassers in Mehrwegflaschen verkauft werden.

Im Kampf gegen eine „Vermüllung“ der Landschaft wurde in den Niederlanden schon 2006 über ein Pflichtpfand für PET-Flaschen und Dosen diskutiert, aber zunächst darauf verzichtet. Nach Erfahrungen mit Selbstverpflichtungen von Regierung, Städtebund und Arbeitgebern zur Ahndung von illegaler Entsorgung kam dann doch ein Pfand („statiegeld“) auf PET-Flaschen über einem Liter – seit 2021 auch auf kleinere Einwegflaschen. Ein Dosenpfand gilt nun seit Anfang April (s. Bild). Bei vielen Einzelhändlern stehen Automaten ähnlich wie in Deutschland. Für Bierflaschen gibt es ein Mehrwegsystem.

Ein Versuch der Schotten, in ihrem Territorium ein Pfandsystem für Einwegflaschen einzuführen, wurde von London blockiert. Die Briten legten den Fokus zuletzt auf besseres Recycling im Rahmen einer „erweiterten Herstellerverantwortung“ (EPR), die Produzenten verpflichtet, sich um die Rücknahme, das Recycling und die Entsorgung von Produkten zu kümmern. Für Einwegplastik sollte dies 2023 entschieden werden, doch die Maßnahme verzögert sich, obwohl Großbritannien 2,5 Millionen Tonnen Plastikmüll aus Verpackungen produziert. Theoretisch verfolgt die Regierung das Ziel, bis 2025 alle Verpackungen dem Recycling, der Wiederverwertung oder dem Kompostieren zuzuführen.

Laut der Verordnung über Getränkeverpackungen (VGV) von 2000 kann das Umweltministerium ein Pfand vorschreiben, wenn Getränkeverpackungen aus Glas, PET und Aluminium keine Verwertungsquote von je mindestens 75 Prozent nachweisen können. Bei eingesammelten Behältern aus Glas und Aluminium sowie von PET-Flaschen findet laut dem Branchenverband Swiss Recycling von dem, was landesweit konsumiert wird, 81 bis 94 Prozent eine neue Verwendung. Ein Verein PET-Recycling Schweiz ist für die flächendeckende getrennte Sammlung von PET-Einweggetränkeflaschen verantwortlich. Ihm sind 97 Prozent der Getränkeproduzenten, Importeure, Abfüller und Einzelhändler angeschlossen. Sie lehnen ein Pfandsystem ab.