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Migrationsabkommen Fachkräfte aus Afrika für den deutschen Jobmarkt: Wie soll das gehen?

Die kenianische Busfahrerin Millicent Awiti sitzt hinter dem Steuer eines Linienbusses im Betriebshof in Flensburg
Busfahrerinnen und -fahrer aus Kenia sind künftig für das Unternehmen Aktiv Bus in Schleswig-Holstein tätig
© Axel Heimken/dpa / Picture Alliance
Deutschland und Kenia haben ein Migrationsabkommen unterzeichnet. Erste Busfahrer aus dem ostafrikanischen Land sind bereits am Start – aber kann das Modell auch in größerem Umfang funktionieren?

Es sind drei Männer und zwei Frauen aus Kenia – alles angehende Busfahrer in der Stadt Flensburg. Sie und das Unternehmen Aktiv Bus wurden dieser Tage gefeiert, weil sie Teil eines Pilotprojekts sind. Sie leben vor, was ein zwischen Deutschland und Kenia geschlossenes Migrationsabkommen zur Regel machen soll: reguläre Arbeitseinwanderung aus Afrika erleichtern. 

Als Geschäftsführer Paul Hemkentokrax die Kenianer am Flughafen Hamburg willkommen hieß, sprach er von „einem deutlichen Zeichen für gesteuerte und gezielte Arbeitsmigration“. Die Rekrutierung und Fortbildung der Fachkräfte zeige, wie internationale Zusammenarbeit konkret dazu beitragen könne, heimische Probleme zu lösen. 

Die Probleme, das sind 800 Busfahrerinnen und Busfahrer, die allein im öffentlichen Nahverkehr in Schleswig-Holstein fehlen. Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) lobte das Modell von Aktiv Bus als eine wegweisende Initiative, die einen konkreten Beitrag zur Schließung der Fachkräftelücke im ÖPNV leisten könne. Aber kann sie das wirklich? Und wie kann sie andere Größenordnungen annehmen? Denn bundesweit tut sich – nur um das heutige Angebot aufrechtzuerhalten – bis 2030 eine Personallücke von 60.500 bis 65.500 nachzubesetzenden Fahrern auf.

Und der Nahverkehr ist nur einer von vielen Sektoren, in denen fehlende Fachkräfte hierzulande „ein Wachstumshemmnis und damit auch ein Geschäftsrisiko“ darstellen, sagt etwa der Ökonom Holger Schmieding. Der deutsche Arbeitsmarkt sei „leergefegt“, und wenn ab jetzt die Babyboomer in Rente gehen, werde die Personalnot sich noch verschärfen, wenn man nicht irgendwie gegensteuere.

Bahn frei für Arbeitszuwanderung und Rückführung

Den offiziellen Anstoß für das Migrationsabkommen mit Kenia gab der Bundeskanzler in Nairobi vor mehr als einem Jahr. Olaf Scholz sah „in Kenia ein großes Potenzial für die Fachkräftemigration in vielen Bereichen unserer Wirtschaft". Ein Abkommen solle sowohl reguläre – also legale – Arbeitszuwanderung nach Deutschland ermöglichen, als auch die Rückführung abgelehnter Asylbewerber erleichtern. Bereits geschlossen oder geplant sind derlei Vereinbarungen mit Georgien, Marokko und Kolumbien, oder Moldau, Kirgistan, Usbekistan und den Philippinen. Kenia schreibt der Sonderbevollmächtigte für Migrationsabkommen, Joachim Stamp (FDP), „geopolitisch große Bedeutung“ zu.

Für die Rückführung von Ausreisepflichtigen aus Deutschland erscheinen indes die wenigsten dieser Länder relevant. Als Herkunftsländer von Asylbewerbern spielen sie nur eine untergeordnete Rolle. In diesem Jahr wurden bis August 160.140 Erstanträge für Asyl gezählt, davon der Löwenanteil von mehr als 100.000 von Staatsangehörigen Afghanistans, Syriens und der Türkei. Anträge von Kenianern lagen 2024 im niedrigen dreistelligen Bereich. Das ostafrikanische Land, das an Somalia, Äthiopien, Südsudan, Uganda und Tansania grenzt, ist selbst Aufnahmeland von knapp 800.000 Geflüchteten und Asylsuchenden – neben Somalia vor allem aus Burundi und Kongo. 

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Doch will die Bundesregierung offenkundig ein Exempel statuieren. Es gebe „kaum ein anderes Land in Afrika, mit dem wir so eng und so gut zusammenarbeiten“, wie mit Kenia, betonte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nach einem Treffen mit Präsident William Ruto im Januar. Eine erleichterte Arbeitsaufnahme sei für beide Länder „eine Win-Win-Situation“, so Baerbock, „denn in Kenia gibt es eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, und für uns stärken wir so die legale Migration nach Europa". 

Rekrutierung und Begleitung nach Maß

Auch Schleswig-Holstein will Kenia keine Arbeitskräfte wegnehmen, die es selbst braucht. „Was wir hier machen, darf nicht zulasten der Republik Kenia gehen“, versichert der Verkehrsminister. Die Projektanbahner vom Start-up Skillution bauen als „Caring Talent Network“ ihre Strukturen zur Rekrutierung von Fachkräften mit einem „ethischen Ansatz“ auf, betont Mitgründerin Bärbel Boy. Das heißt: gezielt in afrikanischen Ländern, die einen guten Ausbildungsstand, aber hohe Arbeitslosigkeit haben. Neben Kenia – mit einem Durchschnittsalter von 19 bis 20 Jahren – zum Beispiel Südafrika. 

Der Berufsstand Busfahrer könne für die gesteuerte Einwanderung um andere Gruppen wie Mechaniker oder Catering-Kräfte erweitert werden, sagt Beraterin Boy. Man fange mit dem Nahverkehr an, dessen erste Bewerber in dem Pilotprojekt nun Aufenthaltserlaubnis und Arbeitsvisum für fünf Jahre bekommen haben. Weitere handverlesene Anwärter mit meist christlichem Hintergrund erhalten in Kenia schon Deutschunterricht. Sie haben einen Persönlichkeitstest zu durchlaufen, später auch einen Integrationscheck. Mit Skillution vereinbaren interessierte Arbeitgeber das Ausmaß der Begleitung in der neuen Heimat – etwa bei Gängen zu Ämtern oder der Wohnungsbeschaffung. Die letzte Rate gebe es nach Ablauf der Probezeit, so Boy. Der Familiennachzug für die Busfahrer winkt nach einem Jahr. 

Am Tag der Unterzeichnung des Migrationsabkommens durch Innenministerin Nancy Faeser und Kenias Außenminister Musalia Mudavadi schloss dessen Ministerium noch eine weitere Absichtserklärung: für die Anwerbung von IT-Fachkräften mit Remote-Arbeitsplätzen in Kenia. Unter der Ägide der Hamburger Handelskammer und der liberalen Friedrich-Naumann-Stiftung (FSF) sollen so deutsche Unternehmen mit IT-Dienstleistern etwa zur Softwareentwicklung oder dem Kunden-Support zusammengebracht werden. Neben der bekannteren Silikon-Savannah in Nairobi tut sich dafür das County Nakuru mit einer hohen Konzentration von Tech-Arbeitern hervor. 

Kenia hat viel in die innovative Digitalwirtschaft investiert, betonte Staatschef Ruto bei der Zeremonie in Berlin. Sie sei zentral für die Entwicklung der Volkswirtschaft und bereit für Gelegenheiten von Win-Win-Kooperationen und Partnerschaften. „Kenias Humankapital gehört zu den besten der Welt.“ Vor kurzem habe er mit Microsoft den Bau des ersten grünen Datenzentrums in Kenia vereinbart. Rund 500.000 IT-Kräfte stünden – hochqualifiziert und ehrgeizig – in den Startlöchern, um anspruchsvolle Jobs anzunehmen, ergänzte FSF-Vorstand Karl-Heinz Paqué, der auch den Kostenvorteil Kenias unterstrich. Eine IT-Kraft gehöre mit 300 Dollar im Monat zur (unteren) Mittelschicht.

Hürden abbauen! Was bringt ein Migrationsabkommen?

Während die ersten Remote-Dienstleister noch in diesem Jahr von Hamburger Firmen angeheuert werden sollen, stehen den Busfahrern in Flensburg noch bürokratische Hürden im Weg, bevor sie ihre erste Schicht antreten können. So lernen sie nicht nur in der betriebseigenen Sprachschule weiter Deutsch. Vor allem müssen sie ihre Fahrerlaubnis neu erwerben, da nicht einmal der Pkw-Führerschein von außerhalb der EU anerkannt wird. Zusätzlich steht noch eine Handelskammerprüfung an. Bis zu sechs Monate kann das alles dauern.

An die Ausgestaltung des Migrationsabkommens hat Beraterin Boy daher auch zwei zentrale Wünsche zum Abbau bürokratischer Hindernisse: Es wäre zum einen ein Fortschritt, wenn die Führerscheine von deutschen Behörden anerkannt würden. Zum anderen könnten die Handelskammern die erforderliche Prüfung der Grundqualifikation auch in Englisch oder anderen Fremdsprachen anbieten. Mit dem Fall der Sprachbarriere könnten viel schneller, viel mehr Menschen in Arbeit gebracht werden. 

In jedem Fall erhofft sich das Start-up von dem Abkommen aber mehr Dynamik und Tempo in der Aufnahme von Arbeitskräften. Im nächsten Jahr könne allein Skillution zwischen 250 und 500 Fachkräfte nach Deutschland bringen. Und es gebe für die Anwerbung auch andere Dienstleister, etwa im medizinischen Bereich. Skillution setzt zunächst auf Mobilität und verhandelt nach eigenen Angaben mit dem größten deutschen Busunternehmen und einem internationalen privaten Bahnunternehmen für die Rekrutierung von Triebfahrzeugführern. „Wir könnten mehr vermitteln als es Nachfrage gibt“, sagt Boy. Unternehmen müssten wohl solche Mobilitätspiloten erst testen und Ängste abbauen. 

Bundeskanzler Scholz erklärte, die Partnerschaft mit Kenia könne helfen, den eklatanten Fachkräftemangel zu bewältigen, und die Rückführung von aus Kenia gekommenen Menschen ohne Bleiberecht erleichtern. Vor allem aber war er voll des Lobs für kenianische Talente: Die in den USA entwickelten Large Language Modelle zum Einsatz in der künstlichen Intelligenz wären ohne unglaublich viele IT-Experten mit großer beruflicher Expertise aus Kenia nicht so vorangekommen. „Da ist sehr viel Manpower hineingeflossen.“ 

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