Anfang Juni wurde von der deutschen Bundesregierung ein Corona Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket mit einer weitreichenden, bedeutenden Änderung für die Umsatzsteuer verkündet. Befristet auf ein halbes Jahr sieht es für Umsätze ab 1. Juli 2020 bis zum 31. Dezember 2020 die Senkung des Umsatzsteuersatzes von 19 Prozent auf 16 Prozent und des ermäßigten Umsatzsteuersatzes von 7 Prozent auf 5 Prozent vor.
Schon kurz zuvor war eine auf ein Jahr befristete Senkung der Umsatzsteuer für sogenannte Restaurationsumsätze von 19 Prozent auf 7 Prozent verkündet worden, um die schwer in Mitleidenschaft gezogene Gaststätten- und Gastronomiebranche zu unterstützen. Die Politik verspricht sich von den umsatzsteuerlichen Maßnahmen ein Ankurbeln des Konsums. Gleichzeitig bedeutet es für die Unternehmer einen erheblichen Aufwand, alle notwendigen Anpassungen dafür in kürzester Zeit umzusetzen. Daraus ergeben sich viele Fragen, von denen die wichtigsten im Folgenden beantwortet werden:
Welche Unternehmen sind betroffen?
Betroffen sind grundsätzlich alle Unternehmen im Waren- und Dienstleistungsverkehr, die in Deutschland in dieser Zeitspanne steuerbare und steuerpflichtige Umsätze zu allen Regelsteuersätzen, also bisher 19 Prozent und 7 Prozent, erbringen und die innergemeinschaftliche Erwerbe von Waren oder Einfuhren zu besteuern haben. Diese Senkung um drei beziehungsweise zwei Prozentpunkte könnte man auch als Kaufprämie für Waren und Dienstleistungen bezeichnen. Der Aufwand und die Belastung, den die notwendigen Umstellungen für diesen kurzen Zeitraum erzeugen, werden aber bei den meisten Unternehmen gleichwohl beachtlich sein. Das betrifft vor allem den Zeitaufwand, die Organisation und das Personal (auch zur Schulung aller Schnittstellen im Unternehmen der Steuerabteilung und Buchhaltung zu Vertrieb, Einkauf) wie auch die erforderlichen systemseitigen Änderungen und erzeugt damit zunächst Kosten.
Welche Probleme erwarten die Unternehmen?
Die Probleme sind bedingt durch eine doppelte Umstellung zum 1. Juli 2020 und zurück nach dem 31. Dezember 2020. Im Rahmen dieser Umstellungen müssen beispielweise die Buchhaltungs-/ERP-Systeme angepasst werden. Das beschränkt sich nicht nur auf das Anlegen neuer Steuerschlüssel oder Steuerkonten – die bisherigen dürfen nicht einfach überschrieben werden –, sondern beinhaltet ebenso Anpassungen an der Ermittlungslogik bezüglich des Leistungszeitpunkts in den automatisierten Steuerfindungen im ERP-System, um ordnungsgemäße Rechnungen oder Gutschriften erstellen zu können. Auch Kassen, Preisauszeichnungen und Preislisten sowie Preisvereinbarungen in Verträgen müssen in kürzester Zeit umgestellt und viele Abgrenzungsfragen gelöst werden.
Was sind die größten Herausforderungen und Risiken?
Wichtig für die unternehmerische Praxis ist vor allem, die für ihre Geschäftsvorfälle und in bestimmten Konstellationen möglicherweise bestehenden Abgrenzungsfragen zu lösen und so idealerweise noch vor Ausführung des ersten Umsatzes ab 1. Juli 2020 die Buchung und Fakturierung sowie Erklärung des Umsatzes gegenüber dem Finanzamt richtig zu machen. Es gilt also für jeden Unternehmer, umsatzsteuerliche Risiken zu vermeiden. Diese könnten etwa dadurch entstehen, dass er als Leistender (Rechnungsaussteller) zu viel Umsatzsteuer fakturiert und abführt oder als Leistungsbezieher (Rechnungsempfänger) zu viel Vorsteuer geltend machen würde.
Wo entstehen Abgrenzungsprobleme?
Abgrenzungsfragen bestehen etwa bei der Erbringung wiederkehrender Leistungen (Dauerleistungen, zum Beispiel steuerpflichtige Mietverhältnisse, Leasing). Aber auch bei Umsätzen, die erst in der Zeitpanne der Steuersatzsenkung erfolgen, jedoch bereits mit Anzahlungs- oder Vorausrechnungen auf noch nicht oder nicht vollständig ausgeführte Lieferungen und Dienstleistungen abgerechnet werden, also vor dem 1. Juli 2020.
Wie lässt sich der exakte Zeitpunkt für die Anwendung der gesenkten Steuersätze bestimmen?
Für die Anwendung der gesenkten Steuersätze ist grundsätzlich der Zeitpunkt maßgeblich, in dem eine Lieferung oder Dienstleistung ausgeführt wird. Für Einfuhrumsatzsteuersätze zählt der Zeitpunkt, wann die deutsche Einfuhrumsatzsteuer geschuldet wird. Eine Lieferung etwa gilt dann als ausgeführt, wenn die Verfügungsmacht an einem Gegenstand verschafft ist und das wirtschaftliche Eigentum auf einen Kunden übergeht (in der Regel am Beginn des Warentransports). Dienstleistungen gelten grundsätzlich als ausgeführt, wenn diese vollendet sind. Es bestehen nach deutschem Recht Besonderheiten für sogenannte Werklieferungen (Lieferung von Material mit Montage), Dauerleistungen oder wiederkehrende Leistungen. Hier ist für die einzelnen Leistungen zu bestimmen, wann umsatzsteuerlich die Leistung oder eine Teilleistung ausgeführt gilt. Denn nur dann kann auch bestimmt werden, welcher Steuersatz nun Anwendung findet.
Gibt es Sonderfälle, die berücksichtigt werden müssen?
Ja, die gibt es. Welcher Steuersatz findet beispielsweise bei der Ausgabe von Gutscheinen Anwendung, die später gegen Leistungen eingelöst werden? Wie sieht es bei der Vermietung eines Schließfachs für ein ganzes Jahr im Voraus oder dem Abschluss eines Hotline- oder Wartungsvertrags für ein Jahr und Rechnungsstellung jeweils bereits im Januar 2020 zu 19 Prozent aus? Was ist mit Ersatzteillieferungen im Rahmen einer Wartung noch vor Juli 2020 oder bei erzielten Mehr- oder Mindererlösen über dem Restwert aus der vorzeitigen Beendigung von Pkw-Leasingverträgen?
Wie verhält es sich mit dem ermäßigten Steuersatz für die Abgabe von Speisen?
Restaurationsumsätze beziehen sich auf die Abgabe von Speisen, die an Ort und Stelle, also in Restaurants, aber auch etwa in unternehmenseigenen und durch einen Unternehmer (Arbeitgeber) selbst betriebenen Kantinen ausgegeben und verzehrt werden. Die Senkung des Umsatzsteuersatzes ist auf ein Jahr befristet, soll also ab 1. Juli 2020 bis einschließlich 30. Juni 2021 für ausgeführte Restaurations- und Verpflegungsumsätze gelten. Für die berühmte „Pizza to Go“ oder den „Burger to Go“ findet damit der gleiche Umsatzsteuersatz Anwendung, wie wenn man die Pizza oder den Burger im Restaurant (an Ort und Stelle) verzehrt. Ohne die Erleichterung durch das Steuerhilfegesetz wäre die Pizza zum Mitnehmen mit 7 Prozent besteuert, die Pizza „zum hier Essen“ mit 19 Prozent. Anwendbar ist die Regelung für alle Unternehmer, die solche Leistungen erbringen, wie beispielsweise Gaststätten und Gastronomiebetriebe, Cateringunternehmen, Bäckereien, Metzgereien, Kantinen und Mensabetriebe der öffentlichen Hand oder von gemeinnützigen Einrichtungen.
Sind alle Restaurationsumsätze betroffen?
Nein, es gibt eine Ausnahme. Die Abgabe von Getränken (alkoholische wie alkoholfreie) wird von der Steuersatz-Ermäßigung nicht umfasst. Begünstigt ist also nur der Anteil der Speisen an der Restaurationsdienstleistung. So ist also ein Gesamtpreis bei einem Spar-Menü entsprechend aufzuteilen. Er zerfällt dann in einen Anteil für die begünstigten Speisen (7 Prozent, gegebenenfalls 5 Prozent) und einen Anteil für Getränke (19 Prozent, gegebenenfalls 16 Prozent). Ebenfalls wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass diese Steuersatzermäßigung in der Praxis auch für bestimmte „Kantinenumsätze“, zum Beispiel die selbstbetriebene Kantine durch einen Unternehmer/Arbeitgeber greift. Damit ist die Ermäßigung nicht nur für die typischen Gastronomiebetriebe beachtlich, sie wird auch für weitere Unternehmer bezüglich Aufwendungen aus Eingangsumsätzen und auf geschuldete und abzuführende Umsatzsteuer für erbrachte Restaurationsleistungen bedeutsam.
Worauf müssen Unternehmen bei der Umstellung ihrer ERP-Systeme achten?
Typischerweise müssen in drei Bereichen im ERP Änderungen vorgenommen werden: In der Steuerfindung auf Einkaufs- und Vertriebsseite sowie in der Buchhaltung. Unternehmen sollten anhand ihrer Daten zunächst sorgfältig analysieren, wo sie Anpassungen vornehmen müssen. Dies beginnt mit einer Aufnahme der umsatzsteuerlichen Transaktionen und ihrer Leistungszeitpunkte. Ausgehend davon muss in der Steuerfindung untersucht werden, ob für die Lieferungen und sonstigen Leistungen der jeweils richtige Leistungszeitpunkt ermittelt wird. Zum Beispiel wird in der vertriebsseitigen Steuerfindung in SAP ECC Standard bei der auftragsbezogenen Fakturierung grundsätzlich das Fakturadatum als Leistungserstellungsdatum herangezogen, was nicht selten bei Werklieferungen im Rahmen eines Steuersatzwechsels unzutreffend sein kann, da die Leistungserbringung nicht zwingend mit dem Fakturadatum übereinstimmt. Daher sind offene Aufträge diesbezüglich im Übergangszeitraum zu überprüfen. Nur so kann das richtige Leistungserstellungsdatum und damit der richtige Mehrwertsteuersatz über neu zu erstellende Konditionssätze durch das System ermittelt werden. Sofern eingangsseitig Steuerkennzeichen in einer Steuerfindung automatisiert ermittelt werden, müssen offene Bestellungen und langfristige Verträge diesbezüglich ebenfalls unter die Lupe genommen werden.
Ebenfalls wichtig: Die Anpassung der Rechnungslayouts auf die neuen Steuersätze, welche allerdings meist anhand der neuen Steuerkennzeichen automatisiert ermittelt werden können. Auch Reisekostenabrechnungsprozesse, Kassensysteme und deren Buchungsvorgänge sind betroffen und müssen verändert werden.
Geht es auch einfacher? Könnte man nicht die bisherigen Steuerschlüssel einfach überschreiben?
Davon ist klar abzuraten. Zum einen ist davon auszugehen, dass die bisherigen Steuerkennzeichen und ihre Steuersätze (19 Prozent und 7 Prozent) weiterhin neben den neuen (16 Prozent und 5 Prozent) benötigt werden zum Beispiel für Korrekturen und Abrechnungen über Leistungen, welche erst ab 2021 ausgeführt werden. Zum Anderen wären beim bloßen Überschreiben die Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD) wohl nicht gewahrt, da ein sachkundiger Dritter (Betriebsprüfung) aufgrund der einheitlichen Steuerschlüssel für unterschiedliche Steuersätze sich nicht in angemessener Zeit einen Überblick verschaffen kann.
Wie sollten Unternehmen mit offenen Aufträgen und vorgemerkten Bestellungen umgehen?
Offene Aufträge und Bestellungen, die zu den bisher geltenden Steuersätzen erstellt wurden, sollten gründlich auf ihren Zeitpunkt der Leistungserbringung geprüft werden. Das ist nicht so aufwendig, wie es den Anschein hat – man kann diese Datenprüfung automatisieren. Damit lässt sich sicherstellen, dass sich der manuelle Änderungsaufwand in Grenzen hält und eine taggenaue Anpassung gewährleistet ist. Wichtig ist es für die Unternehmen auch, Anzahlungsfälle zu überprüfen, damit die zu berichtigenden Anzahlungsrechnungen erkannt und geändert werden können. Ansonsten müssen die Anzahlungen über die Endrechnungen richtiggestellt werden. Aber auch hier ist eine Automatisierung möglich, zum Beispiel über die Integration einer systemseitigen Analyse in Form eines Abgleichs der Daten von Vereinnahmung, Anzahlung und Leistungserbringung.
Wie kann ich als Unternehmen sicherstellen, dass Eingangsrechnungen mit zu hohem Steuersatz gleich herausgefiltert und zurückgewiesen werden?
Man kann den Unternehmen nur empfehlen, frühzeitig damit zu beginnen, ihre Systeme und Prozesse für eine Prüfung des Leistungsdatums in Verbindung mit dem jeweils zutreffenden Steuersatz einzurichten. Nur so ist es möglich sicherzustellen, dass Rechnungen mit nichtzutreffendem Steuersatz zurückgewiesen werden.
Heidi Friedrich-Vacheist Steuerberaterin bei Rödl & Partner in München.Holger Maier ist Leiter Digitale Steuerprozesse bei Rödl & Partner Stuttgart.