Mit der Farm-to-Fork-Strategie soll Europas Landwirtschaft endlich auf den Transformationspfad kommen. Die Ziele: 50 Prozent weniger Pestizide, 50 Prozent weniger Nähstoffverluste, 30 Prozent weniger Düngemittel bis spätestens 2030. Das ist ambitioniert und sorgt für heftigen Streit in Brüssel. Schließlich bleibt die Ernährungssicherung zugleich die Hauptaufgabe der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik.
Einige Experten und Verbände, darunter der Grüne Wirtschaftsdialog, sind überzeugt: Die Ziele sind nur erreichbar, indem die ökologische Transformation der Landwirtschaft mit der digitalen Hand in Hand geht. Stichwort: Smart Digital Precision Farming.
Bislang werden die Betriebsflächen überwiegend einheitlich bewirtschaftet, Düngemittel und Pestizide also gleichmäßig über das Feld ausgebracht. Ackerflächen weisen aber im Regelfall sehr heterogene Gegebenheiten auf. Bodeneigenschaften, Wasserspeicherung oder Schädlingsbefall können von Quadratmeter zu Quadratmeter variieren. Die Folge: Pflanzen werden an der einen Stelle über- und an der anderen unterversorgt.
Digitaler Präzisionsackerbau
Durch digitalen Präzisionsackerbau soll sich das ändern, Wasserverschwendung sowie Düngemittel- und Pestizideinsatz sollen verringert und gleichzeitig der Ertrag gesteigert werden. Denn mittels Satelliten- oder Drohnenbildern können die unterschiedlichen Bedingungen auf einer Fläche exakt bestimmt und ausgewertet werden. Die Daten werden dann auf eine Maschine übertragen, die mithilfe von GPS-Technik vollautomatisiert über das Feld fährt und punktgenau Wasser, Pestizide und Düngemittel ausbringt.
Was wie Zukunftsmusik klingt, ist technisch längst möglich und wird teilweise auch bereits angewendet. Doch die Hürden sind hoch. Die Umstellung ist mit enormem Aufwand, Unsicherheiten und vor allem Kosten verbunden.
Grüner Wirtschaftsdialog mahnt zur Eile
Um kleinere Betriebe bei der Transformation nicht abzuhängen, für ein Level-Playing-Field und für Planungssicherheit zu sorgen, müsse die Politik in Berlin und Brüssel die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Es bestehe dringend Handlungsbedarf, sagt Thomas Gambke, Vorsitzender des Grünen Wirtschaftsdialogs (GWD).
Laut dem Entwurf eines Positionspapiers des GWD, das Table.Media exklusiv vorliegt, gehört dazu:
- Digitale Infrastruktur sicherstellen, darunter insbesondere der Breitbandausbau und die Abdeckung mit 5G-Technologie.
- Standardisierung der Technologien und Daten, um für faire Wettbewerbsbedingungen zu sorgen und neue Abhängigkeiten sowie Monopolbildungen bei einzelnen Großkonzernen zu verhindern.
- Datenschutz sicherstellen. Andererseits aber auch den Zugang zu beispielsweise Wetter- und Geodaten vereinfachen sowie für Transparenz und Monitoring sorgen.
- Ausbildung und Beratung fördern, vor allem hinsichtlich der notwendigen IT-Kenntnisse, aber auch hinsichtlich Investitionsbedarf und Wirtschaftlichkeit.
Kostenteilung in Genossenschaften?
„Die Kosten der Transformation sind sehr hoch und die Frage, wie sich das gerade für kleinere Betriebe organisieren lässt, ist sehr wichtig“, sagt Gambke. „Eine mögliche Lösung wäre, die Anlagen durch Genossenschaften zu teilen.“ Das sei in der Landwirtschaft gut geübte Praxis.
Dabei dürfe die sozio-ökonomische Komponente nicht unterschätzt werden. „Das sind überwiegend Familienbetriebe. Kenntnisse über den eigenen Grund und Boden und die Praktiken wurden teils über mehrere Generationen weitergegeben. Eine digitale Transformation ist sinnvoll für die ökologische und ökonomische Fortentwicklung von landwirtschaftlichen Betrieben. Zugleich stellt diese einen tieferen Eingriff in die Autorität und Selbstbestimmung der Landwirte dar“, sagt Gambke. Er rät, die Branche bei der Schaffung politischer Rahmenbedingungen eng mit einzubinden.
Teilziel der GAP: Modernisierung
In Brüssel ist man sich des Potenzials bewusst. Digitale Technologien halten zunehmend Einzug in dieagrarpolitischen Rechtsakte der EU. So sieht etwa der Kommissionsvorschlag für eine neue Verordnung zur Verringerung des Pestizideinsatzes auch eine strategische Beratung und Förderung mit Blick auf Präzisionslandwirtschaft vor. Über weitere delegierte Rechtsakte sollen außerdem Kriterien für den Einsatz von Drohnen inklusive einer möglichen Ausbringung von Pestiziden aus der Luft festgelegt werden.
Auch im Rahmen der neuen Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) verfolgt die EU das Ziel einer Modernisierung der Landwirtschaft. So sind die Mitgliedstaaten dazu angehalten, in ihren nationalen Strategieplänen Investitionen in digitale Technologien zu unterstützen.
Besserer Zugang zu Daten
Parallel sollen „horizontale“ Rechtsakte aus dem Bereich der Digitalpolitik, darunter der DataAct, für den entsprechenden Rahmen beim Datenschutz und der Standardisierung sorgen und Landwirten einen besseren Zugang zu Geo- oder Wetterdaten ermöglichen.
Bei der nationalen Umsetzung verweist das Bundeslandwirtschaftsministerium auf die „digitalen Experimentierfelder“. Auf bundesweit 14 landwirtschaftlichen Betrieben wird seit 2019 der Einsatz digitaler Technologien erprobt. Daneben soll das neue Förderprojekt „Zukunftsbetriebe und Zukunftsregionen“ die nachhaltige digitale Transformation der Landwirtschaft vorantreiben. Beide Projekte sollen den Wissenstransfer in die Praxis beschleunigen und Landwirten die Möglichkeit geben, Vor- und Nachteile der Technologien in der Anwendung kennenzulernen.