In den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft herrscht große Sorge um die digitale Zukunftsfähigkeit von Unternehmen und Geschäftsmodellen. Dieses Bild zeichnet eine Studie der Bertelsmann Stiftung und der Universität Witten/Herdecke, für die 2019 knapp 1000 Führungskräfte befragt wurden. Die Ergebnisse lagen Capital vorab vor.
So ist laut Studie nur ein Fünftel der befragten Manager überzeugt, das eigene Unternehmen sei bei Zukunftstechnologien wie künstlicher Intelligenz, Big Data, Blockchain oder Industrie 4.0 auf der Höhe der Zeit. 49 Prozent der Befragten attestieren ihren Firmen beim Thema Digitalisierung „großen Nachholbedarf“.

Zwar sei die digitale Transformation nach Ansicht von 61 Prozent firmenintern ein wichtiges strategisches Thema, doch werde das Thema „vorwiegend unter Kostengesichtspunkten betrachtet“, wie knapp 40 Prozent der Befragten einräumen – nicht unbedingt gute Vorzeichen angesichts knapper Kassen infolge der Corona-Krise. Für den digitalen Rückstand verantwortlich machen 45 Prozent der Führungskräfte die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die nicht innovationsfördernd seien.
Die wenig zuversichtliche Einschätzung der eigenen Lage hat Studienautor Guido Möllering vom Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung überrascht: „Wir haben uns gewundert, wie verbreitet die Einschätzung ist, im Rückstand zu sein“, so Möllering. „Wir waren davon ausgegangen, dass im Jahr 2019 viele Unternehmen ein positiveres Bild haben würden. Denn Digitalisierung ist ja kein völlig neues Thema mehr.“
Bemerkenswert ist für Möllering auch, dass viele Unternehmenslenker in der Befragung nicht klar antworteten. So wusste auf die Frage, ob der eigene Arbeitsbereich von den Veränderungen durch die Digitalisierung bereits stark betroffen sei, fast ein Drittel keine eindeutige Antwort. „Dass so viele Führungskräfte kein klares Bild zum Thema Digitalisierung haben, ist besorgniserregend“, sagt der Studienautor. „Denn eine Führungskraft, die selbst noch im Dunklen tappt, ist auch nicht diejenige, die ein Thema besonders stark vorantreibt. Es ist grundsätzlich nicht verkehrt abzuwägen – aber wenn man zu lange wartet, verpasst man Chancen.“
Möllering vermutet als Grund dafür, „dass wir einen Hang zum Perfektionismus haben – dass lieber gar nichts unternommen wird anstatt etwas Halbgares auszuprobieren“. Er sieht aber eine Chance in der aktuellen Coronakrise: „Weil sie zeigt, dass Improvisation wichtig ist – wer dazu nicht in der Lage war, steht heute eher schlechter da.“ Möglicherweise seien Führungskräfte „nun schneller bereit, digitale Strategien und Arbeitsweisen auszuprobieren“.
Um die Defizite zu beheben, empfiehlt der Forscher zum einen Hilfe zur Weiterbildung – auch im Management. „Von künstlicher Intelligenz haben die meisten Führungskräfte nur eine grobe Vorstellung“, so Möllering. „Um sich mit den Technologien vertrauter zu machen, „sollten auch sie dabei unterstützt werden, sich weiterzubilden.“
Zum anderen hofft er auf einen Kulturwandel in den Managementebenen: „Führungskräfte schrecken bisweilen vor großen strategischen Entscheidungen zurück, weil sie diese allein treffen müssen – und dann die gesamte Verantwortung tragen.“ Hier beobachtet Möllering eine Veränderung zum Guten: „Das Bild von einsamen Wolf, der allein entscheidet, ist überholt – gerade jüngere Manager treffen Entscheidungen lieber gemeinsam, ergänzen sich dabei gegenseitig und verteilen strategische Verantwortung.“
Der Beitrag erscheint in Capital 7/2020 erschienen. Interesse an Capital ? Hier geht es zum Abo-Shop , wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes und GooglePlay