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Neue China-Strategie Kein Bruch – aber Anreize für Alternativen zu China

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat ihre neue China-Strategie präsentiert
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat ihre neue China-Strategie präsentiert
Mit ihrer China-Strategie will die Bundesregierung zeigen, dass sie aus Fehlern gelernt hat. Bei der Vorstellung macht Außenministerin Baerbock allerdings deutlich, dass die Lehren aus der Russland-Abhängigkeit nur begrenzt helfen

Die Ausgangslage ist klar: China wird global immer mächtiger und lässt es den Westen immer stärker spüren. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang brachte das im vergangenen Oktober auf die Formel, „Russland ist der Sturm, China ist der Klimawandel“.

Um damit umzugehen, hat die Bundesregierung eine China-Strategie erarbeitet. Das Vorhaben hatten die Ampelparteien schon im Koalitionsvertrag verabredet, durch den russischen Überfall auf die Ukraine wurde das Thema noch drängender: „Wir können uns einfach kein zweites Mal das leisten, was wir uns leisten mussten durch den russischen Angriffskrieg, nämlich über 200 Milliarden Euro gesamtgesellschaftlich dafür aufzuwenden, dass wir uns aus einer Abhängigkeit befreit haben“, sagt Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bei der Vorstellung der China-Strategie.

Baerbock präsentiert das brandneue 61-seitige Papier im Berliner Mercator Institute for China Studies (Merics). Schon das ist ungewöhnlich: Die Nationale Sicherheitsstrategie hatte Bundeskanzler Olaf Scholz im Juni zusammen mit vier Ministerinnen und Ministern in der Bundespressekonferenz vorgestellt. Ungewöhnlich ist auch, dass der Termin sehr kurzfristig angesetzt wurde. Erst am Mittwoch war bekannt geworden, dass das Kabinett die China-Strategie an diesem Vormittag verabschieden wollte. Offenbar war man selbst überrascht, dass das Papier noch vor der Sommerpause fertig wurde.

„Repressiver nach innen, offensiver nach außen“

China habe sich verändert, „und deshalb muss sich auch unsere China-Politik ändern“, sagt Baerbock. Sie greift den alten Satz auf, China sei für Europa Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale. Grundsätzlich solle das auch so bleiben, so die Außenministerin, nur dass der „Aspekt des systemischen Rivalen in den letzten Jahren immer stärker in den Vordergrund getreten“ sei. China sei „repressiver nach innen, offensiver nach außen“ geworden.

Das hat viel mit dem Machtanspruch des chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping zu tun, der Chinas globalen Anspruch deutlich offensiver vertritt als seine Vorgänger. So heißt es beispielsweise in einer ideologischen Handreichung der chinesischen Volksbefreiungsarmee: „Um den chinesischen Traum zu verwirklichen, müssen wir gleichzeitig eine Schicksalsgemeinschaft für die gesamte Menschheit schaffen.“ Diese „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“ werde „die Interessen des chinesischen Volkes und die der Weltbevölkerung so zusammenführen, dass sie ein und dasselbe sind“. Das kann man durchaus als Bedrohung verstehen, denn dahinter steht der alte Anspruch des Kommunismus auf weltweite Herrschaft: Peking wolle sein eigenes System, das es für überlegen hält, auf globaler Ebene nachbilden, fasst das Online-Magazin „The Diplomat“ in einer Analyse zusammen.

Die europäische Reaktion darauf hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit dem Begriff „De-Risking“ zusammengefasst. Er soll ausdrücken, dass die Europäische Union ihre Risiken im Umgang mit China reduzieren will. Dabei geht es ausdrücklich nicht um „De-Coupling“, also den vollständigen Bruch mit der Volksrepublik. Beide Begriffe hat die Bundesregierung übernommen: „Es ist nicht unsere Intention, den wirtschaftlichen Fortschritt und die wirtschaftliche Entwicklung Chinas zu behindern“, heißt es in der China-Strategie. „Dennoch ist eine Minderung von Risiken (De-Risking) dringend geboten; eine Entkopplung unserer Volkswirtschaften (De-Coupling) lehnen wir hingegen ab.“

Ein Bruch wäre nicht möglich

Baerbock macht deutlich, dass ein Bruch mit China nicht im deutschen oder europäischen Interesse wäre. „Wir brauchen China, aber China braucht auch uns in Europa.“ Allerdings lässt sie keinen Zweifel, dass eine Abkoppelung von China gar nicht möglich wäre: Der Handel mit China sei so sehr „das Rückgrat“ für die deutsche Volkswirtschaft, dass ein Ende der wirtschaftlichen Zusammenarbeit „ein Genickbruch“ wäre.

Schließlich ist China als Handelspartner ungleich wichtiger als Russland es war. Dennoch sollten Risiken „soweit möglich“ gemindert werden, Unternehmen auch gegen Erpressungsversuche aus China geschützt werden. „Wir haben im Falle Litauens gesehen, dass das keine theoretische Debatte ist.“ Nachdem Taiwan eine diplomatische Vertretung in Litauen eröffnet hatte, reagierte China mit Sanktionen gegen das EU-Mitglied.

Das Rezept der Bundesregierung dagegen lautet, mehr Kontakte in andere Länder zu knüpfen, um Alternativen aufzubauen. Das erklärt auch, warum der Kanzler und sein Kabinett so häufig in Länder wie Brasilien, Südafrika oder Vietnam unterwegs sind. „Je diverser unsere Handels- und Lieferketten aufgestellt sind, desto widerstandsfähiger ist der europäische Wirtschaftsstandort, der Wirtschaftsstandort Deutschland“, sagt Baerbock. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Entwicklung Zeit braucht: Die EU importiere 98 Prozent ihres Bedarfs an Seltenen Erden aus China, so Baerbock. Das könne man nicht auf Knopfdruck ändern.

Zugleich solle die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China noch ausgebaut werden, „weil wir sie brauchen“. Vor allem bei der Bekämpfung der Klimakrise: China baue weiter Kohlekraftwerke, produziere aber auch mehr Solarenergie als der Rest der Welt zusammen. „Ohne China werden wir es weder schaffen, die Klimakrise wirksam einzudämmen, noch zu mehr fairem Wohlstand auf der Welt zu kommen.“

Die konkreten Folgen bleiben vage

Was schon auf der abstrakten Ebene kompliziert und widersprüchlich klingt, ist es in der Praxis erst recht. In einer Diskussionsrunde nach Baerbocks Vortrag wird deutlich, dass die China-Strategie letztlich nur ein Aufschlag ist, um mit Verbänden und Unternehmen zu diskutieren, was dieses „De-Risking“ konkret für sie bedeutet. Klar ist aus Sicht der Bundesregierung, dass Unternehmen, die sich in hohem Maße vom chinesischen Markt abhängig machen, „das finanzielle Risiko verstärkt selbst tragen müssen“, wie Baerbock sagt.

Eigentlich hätte die China-Strategie längst vorgestellt werden sollen. Die Ausarbeitung verzögerte sich, weil die Bundesregierung mit ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie nicht fertig wurde, die naturgemäß auch Passagen zu China enthält und deshalb zuerst erarbeitet werden sollte. Zudem ist auch innerhalb der Bundesregierung nicht immer klar, wie „De-Risking“ aussehen soll. Fragen nach Meinungsverschiedenheiten zwischen ihr und Scholz in der China-Politik übergeht Baerbock: Sie wolle nicht über „vergossene Milch“ sprechen, erwidert sie, als ein Journalist wissen will, ob es mit der China-Strategie möglich gewesen wäre, einen Einbau von Komponenten des chinesischen Herstellers Huawei ins deutsche 5G-Netz zu verhindern oder einen Einstieg des chinesischen Staatskonzerns Cosco in den Hamburger Terminal Tollerort zu blockieren. Es war Scholz, der gegen den Willen von Grünen und FDP die Cosco-Beteiligung in Hamburg durchdrückte.

Jetzt soll es immerhin eine Grundlage geben, um solche Konflikte zu klären: Ein „KRITIS-Dachgesetz“ soll definieren, welche Sektoren und Unternehmen zur kritischen Infrastruktur gehören und damit „resilienter gemacht“ werden müssen. Dennoch dürfte hier gelten, was für die Unternehmen ebenfalls gilt: Was „De-Risking“ konkret heißt, wird eine Aushandlungsfrage bleiben. Baerbock sieht darin kein Problem: In demokratischen Gesellschaften könnten Dinge nun einmal nicht durchdekretiert werden.

Dieser Artikel erschien zuerst bei n-tv.de

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