In unserer Reihe Capital erklärt geben wir einen komprimierten Überblick zu aktuellen Wirtschaftsthemen. Diesmal: die Bundesliga-Saison – mit Redakteur Thomas Steinmann, der bei Capital schwerpunktmäßig für Energie- und Sicherheitspolitik und Fußball zuständig ist.
Am Wochenende setzt die Fußball-Bundesliga ihre Saison mit Geisterspielen und unter Einhaltung eines Hygienekonzepts fort. Ist dieses Konzept wirklich durchdacht?
Das Hygienekonzept wurde unter Mitwirkung zahlreicher Experten entwickelt. Es ist sehr umfangreich , da werden auf 50 Seiten selbst die kleinsten Details geregelt. Zum Beispiel, dass die Profis ihre Trainingskleidung selbst in die Waschmaschine packen sollen, um die Zeugwarte zu schützen, oder dass sie nach Toren nur per kurzen Fuß- oder Ellbogenkontakt jubeln dürfen. Auf dem Papier ist das also schon sehr durchdacht und geeignet, die Ansteckungsgefahr zumindest deutlich zu reduzieren. Aber entscheidend ist die Umsetzung. Und da lassen beispielsweise die Szenen aus der Kabine von Hertha BSC, die der Spieler Salomon Kalou kürzlich über Facebook Live dokumentiert hat, daran zweifeln, dass jeder Spieler oder Betreuer das Konzept im Alltag exakt befolgt. Im Bundesligabetrieb sind eben auch viele Menschen unterwegs, für die Corona erst einmal ein abstraktes Thema ist – so wie in anderen Bereichen auch.
Die Fußball-Bundesliga geht weiter, andere Mannschaftssportarten pausieren hingegen. Wieso diese Ausnahmeregelung?
Bei der Entscheidung, ob die verschiedenen Profiligen ihren Betrieb fortsetzen wollen oder die Saison abbrechen, waren bislang weniger die Politik oder die Behörden ausschlaggebend. Es ging eher um ökonomische Erwägungen. Dass der Fußball alles dafür tut, die Saison irgendwie mit Geisterspielen fortzusetzen, während etwa die Handball- und die Volleyball-Bundesliga einen Saisonabbruch bereits beschlossen haben, hängt mit einer wirtschaftlichen Ausnahmestellung zusammen: Der Profifußball finanziert sich in erheblichem Maße über die Vermarktung von Medienrechten. Die Bundesliga erzielte zuletzt fast 40 Prozent ihrer Erlöse aus dieser Quelle. Da das Geld der Rechteinhaber wie Sky nur dann vollständig fließt, wenn die Saison weitergespielt wird, ergeben Geisterspiele aus Sicht der DFL und der Vereine absolut Sinn, um die Medienerlöse zu sichern.
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Für andere Profiligen etwa im Handball oder Volleyball sind Geisterspiele dagegen unattraktiv. Denn in diesen Sportarten sind die Ticketerlöse die mit Abstand wichtigste Einnahmequelle und TV-Erlöse spielen nur eine untergeordnete Rolle. Spiele mit Publikum werden auf absehbare Zeit für keine Sportart erlaubt sein. Was die grundsätzliche Genehmigung des Spielbetriebs durch die Politik angeht, ist also keine Sonderregelung für den Fußball erkennbar. Das sieht man etwa daran, dass auch die Basketball-Bundesliga ihre Saison fortsetzen will. Sie plant mit einem Teil der Vereine eine verkürzte Finalserie an einem Austragungsort – ohne Zuschauer.
Enger Kontakt lässt sich im Fußball schwer vermeiden, etwa in Zweikämpfen. Besteht dabei nicht theoretisch Ansteckungsgefahr?
Natürlich besteht durch engen Körperkontakt ein Risiko, das Virus zu übertragen. Deshalb ist es ja das oberste Ziel des Hygienekonzepts der DFL, von Vorneherein zu verhindern, dass infizierte Spieler überhaupt auflaufen. Das soll dadurch sichergestellt werden, dass man die Profis engmaschig testet. Die Spieler müssen alle paar Tage zum Test.
Wie verfährt man, sollte einer der Spieler positiv getestet werden?
Der Spieler muss umgehend in Quarantäne, auch wenn er keine Symptome zeigt. Da erfahren Fußballprofis die gleiche Behandlung wie jeder andere Infizierte. Was ein positiver Fall für den Rest der betroffenen Mannschaft bedeutet, entscheiden die Gesundheitsämter vor Ort – je nachdem, mit welchen und wie vielen Mitspielern oder Betreuern der infizierte Spieler Kontakt hatte. Vergangene Woche wurde etwa der gesamte Kader des Zweitligisten Dynamo Dresden in Quarantäne geschickt, weil zwei positiv getestete Spieler am Mannschaftstraining teilgenommen hatten. Dadurch kann Dresden mindestens zwei Ligaspiele nicht austragen.
Wettbewerbsverzerrungen drohen
Welche Folgen haben solche Quarantänemaßnahmen für die Pläne der DFL?
Wenn es bei einem Klub bleibt, der aufgrund von Quarantänemaßnahmen nicht zu Bundesligaspielen antreten kann, lässt sich das noch über Nachholtermine kompensieren. Wenn aber weitere komplette Teams in Quarantäne müssen und dadurch eine Zeitlang ausfallen, dürfte dann das gesamte Konzept der DFL ins Wanken geraten. Denn zum einen drohen Wettbewerbsverzerrungen, wenn Mannschaften über Wochen nicht trainieren können, weil sie in Quarantäne sind. Zum anderen ist der Zeitplan sehr eng: Eigentlich will die DFL die Saison spätestens am 30. Juni beenden, weil an diesem Tag Dutzende Arbeitsverträge von Spielern auslaufen.
Was würde passieren, wenn die Saison nicht beendet werden kann?
Ein vorzeitiger Abbruch der Saison hätte für viele Klubs dramatische Konsequenzen. Die Corona-Krise hat offengelegt, wie hart am Wind manche Vereinsmanager segeln. Selbst Großklubs wie etwa der FC Schalke 04 haben offenkundig kaum finanzielle Puffer und müssen jetzt schon ihre Dauerkartenbesitzer anpumpen. Nicht wenige Klubs haben die Medienerlöse schon verplant oder sogar verpfändet, weil einfach undenkbar war, dass diese einmal ausfallen könnten. Wenn nun eine vorzeitige Beendigung der Saison dazu führen würde, dass die Rechteinhaber weniger Geld zahlen müssen als einkalkuliert, würde das manche Klubs an den Rand der Insolvenz bringen.
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Gibt es einen Plan B, wenn Geisterspiele nicht funktionieren?
Für die DFL wäre es fahrlässig, wenn sie sich keine Gedanken über einen Plan B machen würde. Schon kurz nach dem Beginn der Corona-Krise im März hat DFL-Chef Christian Seifert deshalb die japanische Investmentbank Nomura beauftragt, einen Notfallplan zu entwickeln, wie die Bundesliga Liquidität zur Überbrückung beschaffen könnte. Da ging es offensichtlich auch um die Option, Kredite bei großen Private-Equity-Firmen wie beispielsweise KKR aufzunehmen. Inzwischen haben die Medienpartner der DFL, allen voran Sky, zwar schon einen Teil der ausstehenden Fernsehgelder für diese Saison überwiesen – allerdings in der Annahme, dass auch tatsächlich gespielt wird. Falls die Saison nicht bis zum 34. Spieltag ausgetragen werden kann, kommt die Liquiditätsfrage sehr schnell wieder auf den Tisch. Und nach dem jetzigen Stand muss man sogar davon ausgehen, dass die Krise sich bis weit in die nächste Saison hinziehen wird.
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