FDP-Chef Christian Lindner hatte es nicht leicht, als er in der Talkshow von Anne Will rund um die Frage „Zwischen Konjunkturflaute und Klimaschutz – wie sicher ist Deutschlands Wohlstand?“ diskutierte. Zum einen, weil sich die Debatte relativ schnell nur noch um den Klimaschutz und Windenergie im Speziellen drehte, wie Lindner gegen Ende der Sendung kritisierte. Zum anderen, weil er für seine Ausführungen zur Windenergie gleich selbst gehörig Gegenwind bekam.
„Wir haben bei der Windkraft eine ganze Reihe von ungelösten Problemen“, bilanzierte Lindner. Eines davon sei, dass in Bundesländern wie Schleswig-Holstein „Geisterstrom“ in großem Umfang produziert werde. Da es an Stromleitungen aus dem Norden in den Süden fehle, würden jedes Jahr Millionen Euro Entschädigung an die Produzenten von Windenergie gezahlt, „ohne dass der Strom genutzt werden kann.“ Deutschland brauche daher ein Planungsbeschleunigungsgesetz, „weil uns gut 6000 Kilometer Stromleitungen fehlen“.
Das Phänomen „Geisterstrom“
Beim Publikum und den Mit-Diskutanten – darunter Grünen-Chefin Annalena Baerbock, CSU-Chef Markus Söder und DIW-Ökonomin Claudia Kemfert– sorgte Linders Wortwahl für Belustigung. Vor allem Kemfert reagierte prompt auf Lindners Ausführungen und setzte nach: „Geisterstrom? Das habe ich ja noch nie gehört“. Allerdings ist das Phänomen keineswegs unbekannt:
Erst im August gab die Bundesnetzagentur bekannt, dass im ersten Quartal 3300 Gigawattstunden Ökostrom wegen Überbelastung der Stromnetze nicht eingespeist wurde. Wegen besonders viel Wind hatten die Windparks in diesem Zeitraum rund ein Fünftel mehr Energie als noch im Vorjahresquartal produziert. Die Folge: Die Windräder mussten von den Netzbetreibern häufiger abgeregelt werden als in den Vorjahren und konnten keinen Strom einspeisen. Den Betreibern steht aber dennoch eine Entschädigung für die abgeregelte Strommenge zu – in diesem Falle schätzungsweise 364 Mio. Euro.
Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2018 konnten wegen Engpässen im Netz 5403 Gigawattstunden Ökostrom nicht eingespeist werden. Das entspricht in etwa 2,6 Prozent der Gesamtmenge an produziertem Ökostrom. Die entsprechenden Entschädigungsansprüche lagen mit 635,4 Mio. Euro deutlich über dem Wert von 2017 (rund 609,9 Mio. Euro).
Keine dezentrale Stromversorgung möglich
Genau über diese Summen ärgerte sich Lindner am Sonntagabend und fand mit dem schleppenden Netzausbau schnell einen Schuldigen. Seine Kritik an den 6000 fehlenden Kilometern Stromleitungen ist allerdings nicht ganz unberechtigt. So zeigen die Zahlen der Bundesnetzagentur von August: Rund 7700 Kilometer neue Höchstspannungsleitungen werden in Deutschland im Zuge der Energiewende benötigt, lediglich 1800 Kilometer davon sind genehmigt . Knapp 1000 Kilometer wurden davon bisher überhaupt gebaut. Ohne neue Leitungen kann der Windstrom, der schwerpunktmäßig im Norden und Osten der Republik produziert wird, nicht in die Verbrauchszentren im Westen und Süden transportiert werden.
Verantwortlich für den schleppenden Ausbau der Netze ist ein politisches Missmanagement der Energiewende auf vielen Ebenen: Jahrelang haben Entscheidungsträger im Bund, in den Ländern und in den Kommunen einen konsequenten Netzausbau verschleppt – teils aus Sorge um die eigene Beliebtheitswerte. Denn bei vielen potentiellen Wählern ist der Bau von Windparks und Stromtrassen unpopulär. Die Proteste und Klagen gegen Betreiber und geplante Projekte mehren sich – und lassen Pläne der Bundesregierung oft am Widerstand von Ländern und Kommunen scheitern.
Ob Christian Lindner das mit seinem „Planungsbeschleunigungsgesetz“ angehen will, führte er nicht mehr aus. Windpark-Betreiber Jan Lorenzen meldete sich als Gast aus dem Publikum zu Wort. Er merkte noch ein weiteres Problem der Abregelung an. „Wenn die Netze den Strom nicht aufnehmen können, würden wir den super gerne vor Ort jemand anderem anbieten. Das dürfen wir aber nicht“, sagt Lorenzen mit Blick auf die Regelungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz.
Gerade das könnte aber die gesellschaftliche Akzeptanz erhöhen – genauso wie die Möglichkeit von Anwohnern sich als Miteigentümer an Windparks und Trassen zu beteiligen. Könnten Anwohner so Rendite erwirtschaften, würde auch der Widerstand gegen die Projekte geringer, so sein Vorstoß. Auch diese Idee ist nicht neu – wurde von der Politik bislang aber auch nicht konsequent umgesetzt.
Trotz potentieller Lösungsvorschläge für das Grundproblem, blieb am Ende vor allem Lindners „Geisterstrom“ in Erinnerung: Anne Will schloss die Sendung mit den Worten „Wir haben heute viele schöne Wörter gelernt“. Ob die Talkshow-Gäste aus der Politik aber neben neuen Wörtern auch etwas über neue Ansätze in der Energiewende gelernt haben, wird sich zeigen.