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Pride-Badeanzug Adidas stürzt sich in den nächsten Kulturkampf

Kaum dass der Sportartikelhersteller seinen Pride-Badeanzug „Rich Mnisi“ veröffentlicht hatte, brach im Netz eine Welle der Empörung los
Kaum dass der Sportartikelhersteller seinen Pride-Badeanzug „Rich Mnisi“ veröffentlicht hatte, brach im Netz eine Welle der Empörung los
© PR
Gerade erst schien der deutsche Sportartikelhersteller seine Probleme mit Kanye West beigelegt zu haben – da sorgt ein Badeanzug für den nächsten Shitstorm in den USA

Das neueste Adidas-Problem ist gelb, pink und orange, hat fließende Designs, Farben und Muster –  und ist ein Badeanzug. Anders als zuletzt, im Fall der von Kanye West designten Sneaker, geht es bei dem neuen Problem des Sportartikelkonzerns aus Herzogenaurach aber nicht um die Diskriminierung bestimmter Gruppen, eigentlich stimmt sogar das Gegenteil. Der Badeanzug soll Menschen einschließen, explizit inklusiv sein. Und genau deshalb ist er zum Problem geworden, vor allem für Vertreter der Rechten. Die nämlich stören sich am neuesten Produkt von Adidas, einem bunten Badeanzug für alle Geschlechter, also einem Modell, das auch Männer tragen können. Und die Kritik geht so weit, dass manche Aktionäre schon Angst vor einer Boykottkampagne gegen Adidas haben.

Adidas wäre nicht das erste Beispiel dafür, dass eine LGBTQ*-Kampagne einen Shitstorm auslöst. Vor allem in den USA arbeiten sich Konservative gerade intensiv an dem Thema ab und rufen unter dem Slogan „Get Woke, Go Broke“ zum Boykott verschiedener Marken auf. Zuletzt bekam das etwa die größte amerikanische Biermarke Bud Light zu spüren. Auf eine Marketingkampagne mit der Transgender-Influencerin Dylan Mulvaney folgte ein Shitstorm von rechts. Musiker Kid Rock schoss sogar mit einer halbautomatischen Waffe auf Bud-Light-Bierdosen. Der Absatz der Marke brach um ein Viertel ein, auch heute liegt die Aktie noch zehn Prozent niedriger.

Aktionäre fürchten bei Adidas nun ein ähnliches Szenario. Tatsächlich hat die Kampagne der Kritiker für ordentlich Aufsehen gesorgt. Begriffe wie „Adidas Pride“ und „Adidas woke“ wurden vor allem in den USA sprunghaft häufiger gesucht – und vor allem in republikanisch geprägten Bundesstaaten wie South Dakota oder Mississippi. Angeheizt wurde die Debatte auch durch den früheren Trump-Anwalt Rudy Giuliani, der Adidas eine „Attacke auf Frauen“ vorwarf. 

In Deutschland zeichnet sich dieser Trend bislang nicht in den Suchanfragen ab. Auf Twitter entbrannte am Wochenende zwar kurzzeitig eine Diskussion, nachdem der CDU-Politiker Frank Somogyi den Produkt-Launch von Adidas aus Aktionärssicht scharf attackierte. Doch nach außen drang davon wenig. Somogyi hat seinen Tweet in der Zwischenzeit offenbar gelöscht. 

Harte Kulturkämpfe in den USA

Ohnehin scheinen die USA aber das deutlich heißere Pflaster für Unternehmen zu sein. Die „Get Woke, Go Broke“-Kampagnen werden dort immer häufiger und lauter. Der Begriff „woke“ bedeutet so viel wie „wach sein“ und bezog sich anfänglich auf rassistische Diskriminierung. Inzwischen nutzen ihn Konservative in den USA in abfälliger Weise und beklagen sich darüber, dass ihrer Einschätzung nach das Engagement gegen verschiedene Arten von Diskriminierung zu weit gehe. Sie laufen zum Beispiel Sturm dagegen, dass Kinder an Schulen über Transsexualität aufgeklärt werden. 

Das Thema emotionalisiert, und wahrscheinlich ist es unter US-Politikern auch deshalb so beliebt. Zwar fühlt sich nur etwa ein Prozent der US-Bevölkerung keinem biologischen Geschlecht zugehörig. Trotzdem wurden in diesem Jahr schon hunderte Gesetze verabschiedet, die Toilettenbesuche regeln, Transfrauen vom Frauensport ausschließen oder Drag Shows verbieten.

Unternehmen bewegen sich deshalb auf einem schmalen Grat, wie offensiv sie das LGBTQ-Publikum ansprechen wollen. Das gilt auch und insbesondere für Adidas, das gerade erst einen Kulturkampf mit dem US-Rapper Kanye West hinter sich hat. Viele Jahre hatte West dem deutschen Konzern mit seinen „Yeezy“-Sneakern Milliarden eingebracht, stand zuletzt für 7,5 Prozent des Gesamtumsatzes. Doch West wurde immer erratischer, bezichtigte Adidas, seine Designs zu stehlen, und verbreitete nebenbei zahlreiche Verschwörungsideologien. Als West sich im vergangenen Jahr mehrfach antisemitisch äußerte, zog Adidas, selbst ein Unternehmen mit NS-Vergangenheit, schließlich die Reißleine. 

Damit verzichten die Herzogenauracher nicht nur auf rund 1,2 Mrd. Euro Umsatz jährlich, sondern auch auf einen seiner wichtigsten Markenbotschafter. Markenexperten wie Florian Riedmüller halten den Schritt trotzdem für notwendig: „In dem Moment, wo Kanye West gegen den festgeschriebenen Wertekanon von Adidas verstößt, mussten sie den Vertrag auflösen. Das wäre mit jedem anderen Star und bei jeder anderen Marke auch so gewesen. Nike hat das beispielsweise mit Tiger Woods gemacht, obwohl die Kooperation sehr erfolgreich war.“

Interessant ist aber auch der Zeitpunkt, zu dem Adidas seinen Pride-Badeanzug veröffentlichte. Denn quasi zeitgleich zum Launch verkündete der Konzern, die restlichen Yeezy-Sneaker für einen guten Zweck zu verkaufen. Eine neue Kollektion werde es nicht geben. Für Aktionäre war das ein wichtiger Schnitt, denn er verschafft Planungssicherheit. Adidas aber öffnet mit dem Produkt des südafrikanischen Designers Rich Mnisi nun direkt die nächste Flanke. Wie viel Kalkül dahintersteckt, lässt sich nur schwer abschätzen. Adidas selbst will sich auf Anfrage nicht zum Produkt äußern – und auch nicht zur Frage, ob der Badeanzug trotz der Kritik im Shop bleiben werde.

Gulden will Adidas beruhigen

Eigentlich kann die Aufregung aber nicht im Sinne des neuen CEO Björn Gulden sein. Der 57-Jährige will Adidas wieder in ruhigere Fahrwasser lenken, und zwar durch eine Rückbesinnung auf alte Stärken. Im ersten Halbjahr unter Gulden passierte auffällig wenig, was, so heißt es, auch genauso gewollt war. Dafür räumte der Norweger intern auf, befriedete den schwelenden Margenkonflikt mit Fachhändlern und legte den inhaltlichen Schwerpunkt wieder auf Sportartikel und damit ein Stück weit weg von Mode – einem der Kernbereiche von Ex-Chef Kasper Rorsted. Bis sich dieser Strategieschwenk allerdings in neue Produkte übersetzen wird, dürfte es viele Monate dauern, vielleicht sogar Jahre.

Die wahrscheinlichste Variante lautet daher so: Adidas hat die Reaktionen unterschätzt. Denn der Badeanzug wird optisch nicht nur durch einen (rein biologisch gesehenen) Mann bebildert, sondern auch mit einer Frau. Das Produkt richtet sich nicht nur an queere Menschen, sondern auch an sie. Und so beschreibt Adidas sein neuestes Problem auch selbst: „Wir sind alle einzigartig, doch die Liebe verbindet uns miteinander.“ Mit dem zweiten Teil der Beschreibung hat sich Adidas allerdings verschätzt. Der lautet: „Der auffällige Print sorgt dabei für jede Menge gute Laune und positive Vibes.“

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