
Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Autor. Zuletzt ist von ihm erschienen: „Zurück an die Arbeit - Wie aus Business-Theatern wieder echte Unternehmen werden", Linde Verlag, Februar 2016
Da hat sich ja wirklich eine enthusiastische Bewegung formiert: Unter der Flagge „New Work“, ein Begriff, der 2004 von Frithjof Bergmann eingeführt wurde, segelt eine immer ansehnlichere Flotte von Trainern, Coaches, Beratern und auch Unternehmen. Sie alle treffen sich auf interaktiven Großgruppenveranstaltungen, auf Open Spaces und Barcamps, und sie diskutieren und publizieren hoch emotional in Blogs und Plattformen im Internet. Ihnen geht es um mehr Sinn und Freude bei der Arbeit, um mehr Fairness in der Wirtschaft, um menschliche, artgerechte, erfüllende Arbeitsplätze. Und auch ich habe da kräftig mitgemacht – gemeinsam mit Mark Poppenborg als Gründer des Thinktanks und Netzwerkes intrinsify.me. Ich habe auch in meinem Blog New-Work-Unternehmen vorgestellt, als leuchtende Beispiele und Anregung, um die Arbeit im eigenen Unternehmen anders zu gestalten – bis ich meinen Denkfehler bemerkt habe. Denn mit dieser New-Work-Bewegung stimmt etwas nicht…
Der Denkfehler
Die New Worker regen sich gerne darüber auf, dass sich so wenige Top-Manager mit der besseren Gestaltung von Arbeit beschäftigen. Sie wünschen sich mehr Widerhall in den Unternehmen, die sie gerne leicht herablassend als „Old Economy“ bezeichnen. Auch ich habe mich eine Zeit lang gefragt: Warum nur sind so wenige Führungskräfte an New Work interessiert? Ja, warum sind diese blasierten Manager so ignorant? Warum verhöhnen sie die New Worker als Theoretiker oder gar Romantiker? Warum glauben sie einfach nicht an „intrinsische Motivation“, an Tischkicker, „Bring your own device“, Mitbestimmung, Flexibilität, Glück und Freiheit und behaupten, die schnöde Realität sei eben nun mal eine ganz andere? Ich fand das naiv und gefährlich. Warum sind die so spießig und stur? Die werden schon sehen! Denn ich war fest davon überzeugt, dass attraktiver gestaltete und zu mehr Komplexität und Dynamik fähige, „modernere“ Arbeit automatisch zu erfolgreicheren Unternehmen führen würde, die den Platzhirschen im Wettbewerb Feuer unterm Hintern machen würden. Tja. Mittlerweile habe ich verstanden, dass die Manager vielleicht sogar ziemlich klug sind, wenn sie sich NICHT mit New Work und ihren Leuchtturm-Beispielen beschäftigen. Warum? Weil New Work die Kausalität der Arbeit vertauscht.
Was folgt hier wem oder was?
Schauen wir ganz nüchtern drauf: Die Hauptaufgabe von Unternehmen ist es nicht, Arbeit zu schaffen, Arbeit zu gestalten, Arbeit menschenwürdig zu machen. Auch wenn das manche nicht gerne hören. In der Wirtschaft geht’s nicht primär um Arbeit! Nein, in der Wirtschaft dreht sich alles um den Kunden! Ein Unternehmen existiert alleine dadurch, dass es sich zur Aufgabe gemacht hat, Ansprüche, Bedürfnisse oder Wünsche von Kunden zu befriedigen. Der Grund, warum ein Unternehmen einst gegründet wurde, ist: Einige Menschen haben sich zusammengetan, um gemeinsam etwas zu schaffen, was eine ausreichende Anzahl Kunden gerne haben möchte. Die Arbeit entstand dadurch sekundär! Sie war plötzlich da und musste erledigt werden.
Arbeit folgt nicht den Wünschen von Chefs und Mitarbeitern, sie ist nicht ihr Verdienst. Arbeit folgt dem Markt, den Forderungen im Wettbewerb. Sie folgt immer nur der Lösung eines dezidierten Problems und diese Problemlösung ist die einzige Existenzberechtigung der Arbeit. Sie dient dem Überleben des Unternehmens, denn das wird nur weiterexistieren, wenn die Arbeit erledigt wird. Die Arbeit selbst ist nicht die Lösung. Sie irgendwie zu gestalten, erhöht also nicht notwendigerweise die Überlebensfähigkeit des Unternehmens. Wer das versucht, vertauscht doch glatt die Wirkungsrichtung! Ein Beispiel: Während alle von Digitalisierung reden, glauben die meisten, das würde bedeuten, jemand mache die Wirtschaft irgendwie digitaler. Aber das macht niemand, sondern das passiert ganz automatisch, wenn ein Unternehmen mit den Erfordernissen des Marktes Schritt halten möchte. Wenn sich dadurch Arbeitsplätze verändern, dann nicht deshalb, weil jemand die Arbeit irgendwie „digitaler“ machen wollte, sondern weil sich das Unternehmen anpassen musste, um zu überleben. Wer also Arbeit ohne Marktdruck umgestaltet, weil er sie irgendwelchen Trends folgend „moderner“ oder seinen eigenen Moralvorstellungen folgend „menschlicher“ machen will, kann damit krachend vor die Wand fahren. Das heißt: In manchen Branchen dürfen Sie gerade NICHT new-workig arbeiten, wenn Sie überleben wollen.
Lasst den Kunden nicht im Regen stehen!
Wenn Sie es genau nehmen, will ein Teil der New-Work-Bewegung genau das: Die Wirtschaft ihren Moralvorstellungen anpassen. Zwar regen sich diese New Worker sehr über die alten, tayloristischen Managementmethoden des 20. Jahrhunderts auf, bei denen die ganze Arbeit den bürokratischen internen Referenzen von Anweisungen, Vorgaben, Zielen, Budgets, Mitarbeitergesprächen, Boni und diesem ganzen damit einhergehenden Theater folgt – während der arme Kunde da draußen im Regen stehen gelassen wird. Und sie regen sich zu Recht darüber auf! Doch dann tappen sie in die gleiche Falle wie der Taylorismus, sie ersetzen einfach eine interne Referenz durch eine andere, nämlich durch ihre persönlichen Vorstellungen von artgerechter, menschlicher Arbeit. Der Kunde steht derweil weiter im Regen. Dabei ist die externe Referenz, der Markt, der Wettbewerb, der Kunde, der bestimmende Faktor in dem ganzen Spiel! Wenn die Arbeit auch noch so schön und menschlich gemacht wird, der Wettbewerber aber mit seinen weniger menschlichen Standards schon längst vorbei und auf und davon gezogen ist und den Kundenbedarf glatt abgefrühstückt hat, dann tritt der GAU ein, der größte anzunehmende Unmenschlichkeitsfall: Die Arbeitsplätze sind nicht mehr rentabel und fallen weg. Großartig! Sehr menschlich! Und die moralische Entrüstung bringt die Jobs dann auch nicht wieder zurück!
Eine Differenzierung, die es in sich hat
Gut. Aber wie kommen wir aus diesem Dilemma nun heraus? Wir wollen ja eigentlich sowohl sinnstiftende, erfüllende Arbeit als auch Erfolg am Markt. Wie geht das? Ich mache Ihnen da mal ein Angebot. Eine Differenzierung: Trennen Sie doch bitte mal in Gedanken Arbeit und Zusammenarbeit. Arbeit ist das, was für den Kunden getan werden muss. Die Wertschöpfung. Die wirtschaftliche Realität. Das Einzige, was am Ende in harter Währung zählt. Diese Arbeit folgt alleine (!) der externen Referenz, dem Kunden. Und Zusammenarbeit? Das ist die unternehmensinterne Perspektive. Die Art und Weise, wie die Arbeit organisiert wird. Die Methodik, die Verfahren. Der Clou, der Kniff, der von den Mitarbeitern gefunden wurde, um in der ganz spezifischen Marktsituation die Arbeit auf eine ganz bestimmte, besondere Weise gemeinsam zu erledigen. Die Arbeit ist das „Was“, die Zusammenarbeit ist das „Wie“. Die Arbeit ist das Handwerk, das „Wie“ ist die Kunst. Die Zusammenarbeit muss die Arbeit organisieren. Und die besten, die modernsten, die fittesten Unternehmen erkennen Sie daran, dass sie die Zusammenarbeit auf ihre ureigene Weise besser hinbekommen als der Wettbewerb. Sie bringen das „Was“ und das „Wie“ besser in Einklang als die anderen. Und machen genau deshalb den Könnern und Talenten in ihren Reihen Freude. Sie bieten ihnen einen Sinn an und stehen ihnen weder mit diesem überflüssigen Management-Theater noch mit ihren Moralvorstellungen im Weg herum. Sie sind nicht nur Handwerker, sondern sie sind Künstler, die ihr Handwerk beherrschen. Und dafür feiere ich sie! Sie „machen“ irgendwie auch New Work, ja, das stimmt. Aber diese „neue Arbeit“ ist, vom Ende her betrachtet, nichts wirklich Neues. Nennen wir es einfach: Fortschritt.
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